Reifenhersteller

Pirelli fährt einen flotten Reifen

Der italienische Reifenhersteller Pirelli übertrifft derzeit die Erwartungen der Analysten, die daher ihre Gewinnziele für die Unternehmen nach oben korrigieren.

Pirelli fährt einen flotten Reifen

Von Gerhard Bläske, Mailand

Der italienische Reifenhersteller Pirelli hat im zweiten Quartal 2021 die Erwartungen dank eines besseren Verkaufsmixes und höherer Verkäufe deutlich übertroffen. Effizienzgewinne überkompensierten negative Entwicklungen wie steigende Rohstoffpreise. Nach einem Verlust von 140 Mill. Euro in der gleichen Vorjahresperiode wies das Unternehmen einen Nettogewinn von 89,4 Mill. Euro aus. Der Umsatz stieg um 72,6% auf 1,3 Mrd. Euro. Das Unternehmen hob die Guidance für 2021 an und erwartet nun statt 4,7 bis 4,8 Mrd. Euro Erlöse von 5 bis 5,1 Mrd. Euro.

Analysten zeigten sich darüber sehr erfreut. Andrea Balloni von der Mediobanca hob das Kursziel von 4,80 auf 5,60 Euro an, hält aber an der „Neutral“-Bewertung fest. Trotz negativer Effekte durch steigende Rohstoffpreise und den Chipmangel ist er auch für den Rest des Jahres optimistisch und hat die Umsatz- und Ertragserwartungen nach oben korrigiert. Christoph Laskawi von der Deutschen Bank hob das Kursziel auf 5,50 Euro an (Hold), Jose M. Asumendi stellte den Wert von „Verkauf“ auf „Neutral“ – mit Kursziel 5,60 Euro. Von den 21 Analysten, die laut Bloomberg Pirelli betreuen, empfehlen nur zwei einen Verkauf. Sieben empfehlen den Kauf, zwölf raten zum Halten. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 5,50 Euro.

Positive Kursentwicklung

Die Kursentwicklung der letzten zwölf Monate war sehr positiv. Der Aktienkurs stieg um 40,4% auf zuletzt 5,14 Euro. Der seit fast 30 Jahren amtierende CEO und Aktionär Marco Tronchetti Provera setzt nach dem Verkauf des Industriereifengeschäfts auf High-Tech-Reifen auch für Elektro-Autos, Green Economy und den Ausbau der Produktionskapazitäten. Das Unternehmen bietet beispielsweise Produkte mit Sensoren an, die Reifendruck und Temperatur messen und die Daten an den Bordcomputer oder das Handy des Fahrers übermitteln. 2023 will er dann das Steuerrad (vermutlich) an den 61-jährigen Giorgio Bruno übergeben, der seit kurzer Zeit Co-CEO des Unternehmens ist. Tronchetti Provera ist einer der bekanntesten und schillerndsten Manager Italiens. Der inzwischen 73-Jährige wurde in den 90-er-Jahren mit dem legendären Fiat-Chef Gianni Agnelli verglichen. 1978 heiratete er Cecilia Pirelli, die Urenkelin des Firmengründers Giovanni Battista Pirelli. An die Unternehmensspitze kam er, als sich sein Schwiegervater Leopoldo Pirelli mit der Akquisition des deutschen Konkurrenten Continental verhob. Nach der gescheiterten Transaktion war Pirelli hoch verschuldet und geriet Anfang der 1990er-Jahre in Turbulenzen.

Tronchetti Provera machte Pirelli mit einer Rosskur wieder fit. Er verkaufte etwa die kleine Glasfasersparte zu einem attraktiven Preis und vereinfachte die verschachtelte Konzernstruktur. Doch dann erwies sich der mit einigen Verbündeten eigentlich klug eingefädelte Einstieg bei Telecom Italia (TIM) als fataler Fehlschlag. Pirelli stieg einige Jahre später mit hohen Verlusten wieder aus. Der Reifenproduzent trennte sich vom Kabelgeschäft, das heute unter dem Namen Prysmian separat börsennotiert ist. Und Pirelli wurde vom Jäger zum Gejagten. Die russische Rosneft stieg ein, und 2015 erwarb Chem China für 7 Mrd. Euro die Mehrheit. 2017 ging Pirelli zurück an die Börse. Der Anteil der Chinesen sank auf 46% (37% gehören dem Chemiekonzern, 9% dem chinesischen Silk Road Fund).

Doch Tronchetti Provera ist ein alter Fuchs. Bei allen Veränderungen konnte er sich stets an der Spitze halten. Beim Einstieg der Chinesen ließ er per Statut sicherstellen, dass der Firmensitz sowie ein Großteil der Forschung und Entwicklung in Italien verbleiben. Geändert werden können diese Regeln nur mit einer Mehrheit von 90% des Kapitals. Da die von ihm geleitete Holding Camfin, die er über die MTP&C kontrolliert, 14,1% des Kapitals kontrolliert, kann der chinesische Großaktionär hier keinerlei Änderungen vornehmen. Camfin hat ein Vetorecht. Die Rollen des Managements, das italienisch bleibt, und des Aktionärs sind klar getrennt.

Tronchetti Provera setzt große Hoffnungen in das von Ministerpräsident Mario Draghi präsentierte europäische Wiederaufbauprogramm. Er glaubt, dass auch Pirelli, das „immer grünere Reifen“ entwickle, davon profitieren werde. Es sei eine Herausforderung, leise Pneus mit geringem Rollwiderstand für Elektroautos zu entwickeln, um Batterieleistung zu schonen. Außerdem könne man vom Ausbau des 5G-Breitbandnetzes profitieren, sowohl im Hinblick auf die höhere Effizienz für das ganze System, die daraus entsteht, als auch im Hinblick auf die teilweise mit dem Netz verbundenen Reifen.

Pirelli setzt ganz auf Hochleistungsreifen und sieht sich als Hauptlieferant für die leistungsstärksten Modelle der Autoproduzenten. In den nächsten fünf Jahren sollen 2 Mrd. Euro investiert werden, vor allem in Technologien und Projekte für die Green Technology. Von 2023 will das Unternehmen auch die Produktionskapazitäten erhöhen, in China, Mexiko, Russland und Rumänien, aber auch in Italien – immer im oberen Preissegment. Tronchetti Provera sagte kürzlich der Börsen-Zeitung, diese Strategie habe sich ausgezahlt. „Wir sind in dem resilientesten Marktsegment tätig, das vor der Krise am stärksten gewachsen ist und unter der Krise am wenigsten gelitten hat, weil der Wachstumseinbruch viel geringer war als bei anderen Produkten. Die Wachstumsaussichten für das obere Marktsegment sind noch immer sehr positiv.“

Pirelli setzt vor allem China und generell Asien, „weil da die Zahl der Fahrzeuge bezogen auf die Einwohner sehr gering ist und das obere Marktsegment stärker wächst. Auch die USA bieten ein enormes Wachstumspotenzial“, so Tronchetti Provera. Deutschland trägt etwa ein Drittel zum Europa-Umsatz bei, der bei Pirelli rund 40% der Gesamteinnahmen ausmacht.

Übernahmen spielen keine zentrale Rolle in der Strategie, wenn sich aber Möglichkeiten ergäben, die wertschöpfend seien, „wären wir offen dafür“, so der CEO. Lohnenswerte Ziele sehe er derzeit aber weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene. Während Pirelli kürzlich nach 24 Jahren als Haupt-Sponsor des aktuellen italienischen Fußballmeisters Inter Mailand ausgestiegen ist, wird an dem Engagement als einziger Reifenlieferant der Formel1 festgehalten. Das sei ein Labor, um sichere Materialien in extremen Situationen zu erproben und Hybridmotoren, für die elektrischen Komponenten entwickelt würden.

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