SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (8)

"Planetare Belastungsgrenzen" in der Kapitalanlage

Börsen-Zeitung, 10.3.2018 Nachhaltige beziehungsweise umweltorientierte Kapitalanlagen sind zweifellos eines der ganz heißen Themen in der Assetmanagement-Industrie. Sie spielen eine immer größere Rolle in privaten, aber auch in institutionellen...

"Planetare Belastungsgrenzen" in der Kapitalanlage

Nachhaltige beziehungsweise umweltorientierte Kapitalanlagen sind zweifellos eines der ganz heißen Themen in der Assetmanagement-Industrie. Sie spielen eine immer größere Rolle in privaten, aber auch in institutionellen Portfolios. Die Zahlen des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) sprechen eine eindeutige Sprache, was das Volumenwachstum von Anlagelösungen mit Nachhaltigkeitskomponenten betrifft.Im Publikumsfondsgeschäft sind die Mittelzuflüsse für die meisten Anbieter bislang hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Die Breite der öffentlichen Diskussion passt nicht so recht zu der Summe der investierten Mittel. Worin liegen die Gründe für die relative Zurückhaltung vieler Investoren bei der nachhaltigen Kapitalanlage?Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass der Nachhaltigkeitsbegriff weit gefasst ist und sehr unterschiedlich interpretiert wird. Es liegt stark an den individuellen Wertvorstellungen des Anlegers, welche Bereiche er als “nachhaltig”, welche er als “tolerierbar” und welche er nicht mehr als investierbar ansieht. Sehr kontroverse Geschäftszweige wie Hersteller von Massenvernichtungswaffen oder Streubomben sind ohne jeden Zweifel für einen nachhaltig denkenden Anleger ein Ausschluss. Auch bei Verhaltensweisen wie Kinderarbeit, Förderung der Prostitution und Sklaverei sind die moralischen Wertvorstellungen vergleichsweise homogen. Jedoch schon bei der Anlage in Tabak- oder Alkoholherstellern besteht keine Einigkeit mehr – und dieses Muster setzt sich in anderen Lebens- und Gesellschaftsbereichen fort.Für einen Assetmanager ist es eine Herausforderung, eine Strategie zu formulieren, die den unterschiedlichen Wertvorstellungen genügt und gleichzeitig das Image des Ausschlusses, der Einschränkung und des Verzichts vermeidet. Zwar hat die Empirie mittlerweile nachweisen können, dass SRI-Anlagen – SRI steht für Socially Responsible Investments – keine negativen Auswirkungen auf die erwarteten Anlageergebnisse haben müssen. In der Wahrnehmung der Anleger ist dies noch nicht so recht angekommen. Wie also kann man die Akzeptanz erhöhen und gleichzeitig die Renditeerwartung nach oben schrauben? Die Lösung liegt in einer Orientierung der nachhaltigen Kapitalanlage an der Innovation zugunsten einer effizienteren Ressourcenausnutzung, also in einer thematischen Herangehensweise. Hierbei ist es von Vorteil für den langfristigen Anlageerfolg, wenn ein Anlagethema “Ressourceneffizienz” beziehungsweise “Umweltlösungen” einen soliden akademischen Unterbau besitzt, man sich also von der zyklischen Natur mancher Erneuerbare-Energien-Aktien abkoppelt. Akademisches KonzeptEine der jüngeren akademischen Forschungsinitiativen für die Zukunft unseres Planeten hat das “Konzept der Planetaren Belastungsgrenzen” herausgearbeitet. Ein weltweites Netzwerk von Wissenschaftlern unter der Leitung des Stockholm Resilience Centre (einem Institut der Universität von Stockholm, www.stockholmresilience.org) hat insgesamt neun Dimensionen definiert, in denen die Tragfähigkeit der Erde für menschengemachte Veränderungen gemessen wird. Der in der Wahrnehmung dominierende Klimawandel ist nur eine der Dimensionen. Ebenso große Bedeutung für das Überleben der Menschheit besitzen die Erhaltung der Biodiversität, der Schutz der Frischwasserressourcen, die Landnutzung, chemische Verschmutzung, der Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre, die Überdüngung mit Phosphat- und Stickstoffverbindungen, die Versauerung der Ozeane und schließlich die Verunreinigung der Atmosphäre mit Partikeln. Sicheres operatives UmfeldDie Leistung der Forschungsinitiative besteht darin, die Problembereiche nicht nur zu benennen, sondern erstmals auch das Ausmaß der Belastung messbar zu machen sowie eine Berechnung darüber anzustellen, welcher Wert in der längeren Frist für einen Exzess steht, der unser Überleben gefährdet. Es werden Grenzen der Belastbarkeit unseres Planeten definiert, an denen Staaten und Organisationen ihr Handeln ausrichten können. Werden die Belastungsgrenzen bei der Nutzung von Frischwasserreserven dauerhaft überschritten, gefährden wir für zukünftige Generationen die Verfügbarkeit ausreichender Wasservorkommen. Aktivitäten unterhalb der Belastungsgrenze werden als “sicheres operatives Umfeld” genannt.Aber nicht nur staatliches Handeln ist durch diese Methodik messbar, sondern auch die Umweltauswirkungen einzelner Unternehmen. Die gesamte unternehmerische Aktivität kann auf die Einhaltung oder Überschreitung der Planetaren Belastungsgrenzen hin überprüft werden, und zwar nicht nur auf Ebene des produzierten Guts (wie bei den gängigen Nachhaltigkeits-Scorings), sondern über den gesamten Lebenszyklus des Produktes hinweg. Denn die Umweltauswirkungen sind viel weitreichender: von der Förderung der Rohstoffe, dem Produktionsprozess, der gesamten Nutzungsdauer bis hin zur Entsorgung bzw. dem Recycling werden alle neun Planetaren Auswirkungen erfasst. Belastbare Auswahl Dadurch wird das Konzept auch für eine nachhaltige Kapitalanlage interessant. Es können Unternehmen selektiert werden, die sich innerhalb des sicheren Umfelds der Planetaren Belastungsgrenzen bewegen, das heißt durch ihr gesamtes unternehmerisches Tun zu einer Zukunftsfähigkeit beitragen. Das Spektrum an Unternehmen dieser nachhaltigen Gruppe ist erstaunlich groß. Wenn man dies noch kombiniert mit einem thematischen Ansatz “Umweltlösungen” (wie zum Beispiel Wärmedämmung, Elektromobilität, Wasseraufbereitung, um nur einige wenige zu nennen), steuert man auf eine Auswahl von Firmen, die erstaunliche Eigenschaften haben: Sie besitzen eine ausgesprochene Exposition zu Innovation und damit zu überdurchschnittlichen Wachstumschancen. Höheres UmweltbewusstseinLösungsanbieter profitieren damit von einem gestiegenen Umweltbewusstsein und der zunehmenden Bereitschaft, in die Reinhaltung von Wasser, Luft und Land zu investieren. Technologie kann bei der Effizienz der Ressourcennutzung helfen, neue Verfahren verbreiten sich rasch zu kommerziell bedeutsamen Geschäftsmodellen. Dadurch wird die nachhaltige Kapitalanlage moderner, innovativer und wachstumsstärker – und gleichzeitig ist sie für den Anleger erlebbar und positiv besetzt. Es geht schließlich weniger um Verzicht und Einschränkung, sondern um eine positive Gestaltung unserer Zukunft.—-Walter Liebe, Senior Investment Advisor, Pictet Asset Management