Preisuntergrenze bei Rohstoffen bietet Chancen

Da Turbulenzen nicht ausbleiben werden, ist ein aktiver Anlage- und Risikomanagementansatz unerlässlich

Preisuntergrenze bei Rohstoffen bietet Chancen

Die Rohstoffmärkte sehen sich gegenwärtig diversen Herausforderungen gegenüber. Gerade auch angesichts der aktuellen Preisschwäche bei Rohstoffen drängt sich die Frage auf, wie es weitergehen wird. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die Faktoren, die den Rohstoffpreisen am ehesten zu neuem Aufschwung verhelfen könnten.Eine Kombination aus Makro- und Mikrofaktoren hat die Rohstoffpreise in diesem Jahr stark belastet. Der dominierende Faktor für die Preisschwäche bleibt das Überangebot, das auf verstärkte Investitionen infolge der höheren Preise zwischen 2007 und 2011 zurückzuführen ist. Den Rohstoffmärkten hat diese Entwicklung einen Kapazitätsüberschuss beschert, der wieder abgebaut werden muss. Die gesunkenen Preise für Rohöl lassen sich beispielsweise auf die starke Entwicklung der Schieferölproduktion in den USA seit 2008 zurückführen. China gibt Anlass zur SorgeAn der wirtschaftlichen Front gibt China weiterhin Anlass zur Sorge. Klar ist, dass das starke Wirtschaftswachstum aus den Jahren vor 2008 nicht aufrechtzuerhalten war und das Land seine Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht bringen muss – weg von der starken Abhängigkeit von Exporten und Investitionen und hin zu mehr Inlandskonsum. Dies wird jedoch seinen Preis haben und zu unerwünschter Unsicherheit führen. In anderen Regionen waren die Zentralbanken sehr darum bemüht, in wirtschaftlich schwächelnden Ländern durch eine lockere Geldpolitik für Impulse zu sorgen, und dürften dies auch weiter tun.Die wirtschaftlichen Auswirkungen von hohen Rohstoffpreisen sind hinreichend bekannt. Höhere Preise schaffen Investitionsanreize für die Rohstoffindustrie (Öl, Gas und Bergbau). Diese Investitionen führen zu einem verstärkten Angebot an lukrativen natürlichen Ressourcen. Für die Rohstoffbranche wird es attraktiv, neue Technologien zur Verbesserung und Gewinnung von Rohstoffen zu entwickeln. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung von Schieferöl und -gas in den USA. Bei niedrigeren Rohstoffpreisen wäre dies wirtschaftlich uninteressant. Substitution hat GrenzenMan darf jedoch nicht vergessen, dass hohe Preise unausweichlich dazu führen, dass die Nachfrage sinkt und Ersatzprodukte für die hochpreisigen Rohstoffe gesucht werden. Der Nachfragerückgang wurde beispielsweise indirekt am Rückgang des Benzinverbrauchs erkennbar, der in “gefahrenen Fahrzeugkilometern” gemessen wird. In den USA und Teilen Europas zeigen die Statistiken eindeutig, dass die gefahrenen Fahrzeugkilometer 2008 ihren Höhepunkt erreichten und dann immer weiter zurückgingen, bis 2013 offensichtlich die Talsohle erreicht war. Auf ähnliche Weise haben die Endverbraucher von Kupfer in China versucht, das Metall so weit wie möglich durch billigere Alternativen zu ersetzen – in diesem Fall durch Aluminium.Substitution und Nachfragerückgang haben jedoch ihre Grenzen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich die Rohstoffindustrie bei sinkenden Preisen wieder auf ihre Kapitaldisziplin besinnt, meist aufgrund des Drucks der Aktionäre. Niedrigere Rohstoffpreise zwingen die Branche, die Investitionen herunterzufahren und sich auf weniger kapitalintensive Projekte zu konzentrieren. Mit einer gewissen Zeitverzögerung wirkt sich die Reduzierung der Investitionen auch auf das Angebot aus und schafft so eine “natürliche” Untergrenze für die Rohstoffpreise. Bei dieser Untergrenze handelt es sich im Prinzip um die langfristigen Grenzkosten für die Bereitstellung eines Rohstoffs, wenn das Kernangebot erhalten werden, das Angebot aber nicht steigen soll.Ein gutes Beispiel für die Funktionsweise dieser Dynamik ist kostengünstiges konventionell gewonnenes Rohöl (zum Beispiel aus Saudi-Arabien) und kostenintensives nicht-konventionell gewonnenes Rohöl (zum Beispiel Schieferöl aus den USA oder Öl aus kanadischen Teersanden). Wir gehen davon aus, dass die Grenzkosten der Gewinnung von kostengünstigem konventionellem Rohöl zwischen 15 und 40 US-Dollar pro Barrel liegen und hohe Kosten in der Regel bei 60 US-Dollar pro Barrel beginnen. Der jüngste Verfall der Ölpreise hat zu unterschiedlichen Ansichten darüber geführt, welches Niveau der Rohölpreis erreichen könnte. Im Endeffekt sind solche Annahmen irrelevant, denn in der Realität wird kostengünstiges konventionelles Rohöl aus einer kleinen Zahl von riesigen, älteren Ölfeldern mit steigenden Rückgangsraten gewonnen. Strittige ThematikAußerdem muss das kostengünstige konventionelle Rohöl durch Rohöl aus kostenintensiverer konventioneller Tiefseegewinnung und nicht-konventionelles Rohöl aus Schieferöl und Teersanden ausgeglichen werden. Wie bereits erwähnt, haben die hohen Rohölpreise von über 75 US-Dollar pro Barrel in den Jahren von 2010 bis Ende 2014 den Boom der Schieferölproduktion in den USA ermöglicht. Die Gewinnung von Schieferöl ist ein strittiges Thema, und die Kosten sind nach wie vor hoch, vor allem im Vergleich zu konventionellem Rohöl. Der Verfall des Ölpreises seit Ende 2014 wird sich letztendlich auch auf das Angebotswachstum auswirken. Praktisch keiner der Schieferölproduzenten in den USA erzielte bei Ölpreisen von über 80 US-Dollar pro Barrel positive freie Cash-flows.Bei den seit Anfang dieses Jahres geltenden Durchschnittspreisen von etwa 50 US-Dollar pro Barrel dürfte die Erzielung von freien Cash-flows noch schwieriger sein. Die jüngsten Daten der Schieferölproduzenten für die erste Jahreshälfte 2015 zeigen, dass sie für jeden US-Dollar, den sie durch den laufenden Betrieb verdienen, 2,20 US-Dollar investieren. Die Schulden wachsen weiter, und da bei vielen Produzenten in den nächsten Monaten eine Neubewertung der Schulden ansteht, wird die Refinanzierung zur Herausforderung. Das bedeutet, dass ihre Fähigkeit zum Bohren und Fertigstellen von Bohrlöchern eingeschränkt ist und das Angebotswachstum zurückgehen wird.Das genannte Schieferöl-Beispiel in den USA verdeutlicht, wie steigende Preise Anreize für neue Technologien und die Erschließung von kostenintensiven Minerallagerstätten schaffen, die zu einem Anstieg des Gesamtangebots führen. Doch selbst bei verbesserter Technologie und potenziell niedrigeren Einsatzkosten lassen sinkende Rohstoffpreise die Gesamtangebotskurve fallen, so dass die Überschusskapazitäten abgebaut werden können und das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wiederhergestellt wird.Investoren verfolgen die Rohstoffmärkte heute mit großer Vorsicht. Bei Rückenwind durch das Überangebot und Gegenwind durch den globalen Verbrauch stellt sich die Frage, wie es mit den Rohstoffpreisen weitergehen wird. Diese Überlegungen sind berechtigt, und für den Anleger empfiehlt es sich, die Rohstoffpreise aus der Vogelperspektive zu betrachten. Nach unserer Ansicht befinden sich einige Rohstoffmärkte, vor allem für industrielle Rohstoffe wie Rohöl und industrielle Basismetalle wie Kupfer und Nickel, in einer Phase, in der die Preise sich an die Grenzen herantasten und unter die langfristigen Grenzkosten der Produktion fallen.Dieser Prozess wird wahrscheinlich bis Ende 2015 und möglicherweise bis ins Jahr 2016 andauern. Dabei wird es durch Marktanpassungen gelegentlich kurze Rohstoffpreisrallys geben. Die Überkapazität auf der Angebotsseite muss durch die globale Wirtschaft absorbiert werden. Man schätzt, dass zurzeit ein Überangebot an Rohöl von 2 Mill. Barrel pro Tag vorhanden ist. Dadurch werden die Märkte immer enger und es entsteht eine starke Basis für die Rohstoffpreise. Die Anpassung wird wahrscheinlich schmerzlich sein, aber auch Chancen für Anleger mit sich bringen.Auch wenn die Performance von Rohstoffen hinter der anderer Anlageklassen zurückgeblieben ist, sind wir der Ansicht, dass sich für Anleger Chancen ergeben, die nach attraktiven Risiko-Rendite-Profilen Ausschau halten. Ein aktiver Anlage- und Risikomanagementansatz ist dabei unerlässlich, da Turbulenzen nicht ausbleiben werden. Denken Sie vor allem daran, dass die Grenzkosten der Produktion entscheidend für die Preisuntergrenze von Rohstoffen sind. Hier gilt der Satz von Warren Buffett: “Sei ängstlich, wenn andere gierig sind. Sei gierig, wenn andere Angst haben.”—Jeremy Baker, Senior Commodity Strategist bei Harcourt, die auf alternative Anlagen spezialisierte Boutique von Vontobel Asset Management