Psychologischer Fallen bewusst sein

Das A und O der Vermögensdisposition

Psychologischer Fallen bewusst sein

Der Deutsche Leitindex Dax hat seit seinem rechnerischen Start am 31. Dezember 1987 bis zum 31. Dezember 2017 eine kumulierte Wertentwicklung in Höhe von fast exakt 1 200 % zu verzeichnen. Wer also vor gut 30 Jahren 1 000 Euro – beziehungsweise damals ca. 500 D-Mark – investiert hat, kann sich über eine Rendite in Höhe von durchschnittlich knapp 9 % pro Jahr oder ein auf 13 000 Euro gesteigertes Vermögen freuen.Das gilt allerdings nur, wenn dieser Anleger die berühmte André-Kostolany-Strategie – auch “buy and hold” genannt – angewendet hat. Einmal Aktien gekauft und mit einem langfristigen Anlagehorizont im Blick sehr lange im Depot liegen gelassen, ergeben sich tatsächlich die angesprochenen Renditen. In diesem Fall hätte der Anleger die zwischenzeitlichen Turbulenzen an den Börsen nicht mitbekommen und könnte über eine entsprechende Entwicklung seines angelegten Kapitals froh sein. Alles halb so schlimmEin Blick auf den Verlauf des Index in den vergangenen Jahrzehnten zeigt jedoch, dass sich die Rendite in Höhe von 9 % alles andere als linear und stetig ergeben hat. Ganz im Gegenteil gab es zwischenzeitlich heftige Turbulenzen und Verwerfungen an den internationalen Kapitalmärkten, die auch deutsche Aktien zeitweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen haben. Nur wer in diesen emotional extrem belastenden Phasen trotz Verlusten von bis zu 70 % die Nerven behalten und sich nicht aus Angst vor weiteren Kursverlusten von seinen Positionen getrennt hat, kann sich heute freuen.Im Rückspiegel betrachtet sieht alles halb so schlimm aus. Wenn man sich aber mitten in einer Finanzkrise befindet, ist es unglaublich schwer, Ruhe zu bewahren und nicht wie alle anderen mit wehenden Fahnen vor der Börse zu fliehen. Genauso schwer ist es, in Zeiten allgemeiner Euphorie nicht ebenfalls blindlings überteuerte Aktien zu kaufen, in der Annahme, die Kurse würden nie wieder fallen, etwa weil althergebrachte Börsenkennzahlen wie ein Kurs-Gewinn-Verhältnis nicht mehr gelten, weil beispielsweise die “New Economy” Einzug gehalten hat.Solche Phasen können nur Anleger aushalten, die sich im Vorwege eine robuste Strategie zurechtgelegt haben und diese auch in der größten Krise konsequent umsetzen. Andere verlieren früher oder später die Nerven, kaufen zu Höchstkursen, realisieren im folgenden Abschwung unglaubliche Verluste und schwören sich zumeist, nie wieder an die Aktienmärkte zurückzukehren. Die Entwicklung des DaxBereits kurz nach seinem Start erlebte der Dax am 16. Oktober 1989 seine erste Krise, den “schwarzen Freitag”. Der Dax verlor 13 % an einem einzigen Tag. Demgegenüber positiv war 1996 der Börsengang der T-Aktie – die Geburtsstunde des “zarten Pflänzchens” der deutschen Aktienkultur. Viele bis dato nicht in Aktien investierende Anleger wagten sich in dieser Phase erstmals an die Aktienbörsen. Schließlich erreichte die Internetblase am 7. März 2000 ihren Höhe- und Wendepunkt. Es folgte eine dreijährige Tristesse, in der der Dax rund 70 % an Wert verlor. Der Anschlag auf das New Yorker World Trade Center im September 2001 vollendete damals die schlechte Stimmung.Am 12. März 2003 folgte dann wieder ein Wendepunkt. Der deutsche Leitindex stieg wie Phönix aus der Asche innerhalb von rund vier Jahren auf das alte/neue Allzeithoch bei knapp 8 000 Punkten. Aber die Finanzkrise machte der aufkeimenden Euphorie schon bald wieder einen Strich durch die Rechnung: Ein Absturz um 56 % bis März 2009 war die Folge.Seither geht es sukzessive und nachhaltig nach oben – trotz diverser Krisen, wie der Reaktorkatastrophe in Fukushima, Staatsschuldenkrisen und diversen geopolitischen Auseinandersetzungen. Nicht einmal der geplante Ausstieg Großbritanniens aus der EU (Brexit) konnte den Dax aus diesem langfristigen positiven charttechnischen Trend herausbringen, wenngleich es zwischenzeitlich auch zu mittelfristigen und zum Teil schmerzenden Kursrückschlägen kam.Verhaltensökonomen wissen, dass uns mögliche Verluste stärker schmerzen, als uns Gewinne glücklich machen. Für die meisten ist es unangenehmer, 100 Euro zu verlieren, als dass sie der Fund von 100 Euro freuen würde. Daher werden einzelne Aktien, die sich schlechter als erwartet entwickeln, oft zu spät verkauft und bleiben zu lange im Depot. Verluste werden erst dann realisiert, wenn die Schmerzgrenze nicht mehr auszuhalten ist. Zwischenzeitlich werden schlechte Entwicklungen verdrängt.Eine weitere psychologische Falle ist ein zu großer Fokus auf nahestehende Branchen oder Regionen. So haben deutsche Anleger – wenn sie denn überhaupt Aktien besitzen – in der Regel ein deutliches Übergewicht auf deutschen Aktien. Die Vertrautheit erzeugt in uns ein Gefühl der Sicherheit. Stimmungen beeinflussenDie Phasen der “Behavioral Finance”-Kurve reichen von Depression (Aktientiefststände) bis zu Euphorie (Aktienhöchststände). Diese emotionalen Extremphasen führen oftmals zu systematisch falschen Transaktionen, es wird “unten” verkauft und “oben” gekauft. So entstehen systematisch Verluste. Rationales Handeln findet dabei kaum statt.Stimmungen und menschliches Denken stehen in einer engen Wechselbeziehung. Unsere Gedanken beeinflussen die Stimmung, und die Stimmung nimmt wiederum Einfluss auf die Bewertung von Sachverhalten. In gedrückter Stimmung erwartet man positive Ereignisse eher mit niedriger Wahrscheinlichkeit, negative Ereignisse dagegen mit hoher Wahrscheinlichkeit. Diese Stimmungen beeinflussen auch unsere Anlageentscheidungen. Wie Menschen reagierenGlückliche Menschen sind entscheidungs- und risikofreudiger, neigen eher zur Selbstüberschätzung und übersehen gerne Detailinformationen. Eine im Verlust stehende Position wird nicht verkauft, da man sich selbst einen Fehler beim Kauf eingestehen müsste. Dies bekommt der Anleger am Ende häufig teuer zu spüren. Eine Entscheidung, ein Wertpapier zu behalten, ist nichts anderes als eine virtuelle neue Kaufentscheidung für dasselbe Wertpapier. Damit steht auch im Raum, sich für eine bessere Anlage zu entscheiden. Umgekehrt können Entscheidungen aber auch dadurch zustandekommen, dass Anleger das Gefühl des Bereuens fürchten, wenn sie eine sich als lohnend erweisende Investition verpassen.Wichtig ist, neben einer breiten Streuung des Anlagekapitals über verschiedene Anlageklassen, Regionen und Branchen vor allem das emotionslose und stringente Quoten- beziehungsweise Risikomanagement. Im aktuellen Marktumfeld mit extrem niedrigen Anleiherenditen und hohen Zinsänderungsrisiken, bei gleichzeitig hohen Schwankungen in Aktien-, Währungs- und Rohstoffmärkten, steigt der Bedarf an systematisch erzielbaren risikoadjustierten Renditen noch weiter.Sowohl private Anleger als auch Stiftungen, Pensions- und Krankenkassen suchen daher verstärkt nach quantitativ gesteuerten Investments mit einem attraktiven Risiko-Rendite-Profil. Dabei können risikoorientierte, über Algorithmen gesteuerte Anlagestrategien helfen. Der “Cost Average”-EffektEin ebenfalls erfolgversprechender Weg der Aktienanlage ist die Nutzung des sogenannten “Cost Average”-Effektes durch den regelmäßigen Kauf von Wertpapieren über einen Sparplan. Dank des Durchschnittskosteneffektes kann man sowohl steigenden (höhere Bewertung) als auch fallenden Kursen (günstige Kaufkurse) etwas Positives abgewinnen. Eigentlich ist erfolgreiches Agieren an den Aktienbörsen also gar nicht so schwer. Wer sich seiner eigenen emotionalen Schwächen bewusst ist, hat den halben Weg zum Anlageerfolg bereits zurückgelegt. Wer dann noch eine für sich selbst aushaltbare Anlagestrategie definiert hat und diese auch in schwierigen Zeiten konsequent umsetzt, hat gute Chancen, die Kursgewinne des Dax in den kommen-den 30 Jahren für sich zu nutzen. Gerade dem in Aktien schon immer massiv unterinvestierten deutschen Anleger wäre das zu wünschen.—-Carsten Mumm, CFA, Chefvolkswirt und Leiter der Abteilung Kapitalmarktanalyse bei der Privatbank Donner & Reuschel