GELD ODER BRIEF

Qualcomm hat sein Potenzial ausgereizt

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt Börsen-Zeitung, 15.11.2019 Fast jeder Konsument hat mit den Produkten des amerikanischen Chipherstellers Qualcomm täglich zu tun, ohne dass er sich dessen bewusst ist. Das aus Sicht der deutschen Sprache etwas...

Qualcomm hat sein Potenzial ausgereizt

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt Fast jeder Konsument hat mit den Produkten des amerikanischen Chipherstellers Qualcomm täglich zu tun, ohne dass er sich dessen bewusst ist. Das aus Sicht der deutschen Sprache etwas unglücklich benannte Unternehmen stellt nämlich die “Systems on a Chip” (SoC) und Baseband-Prozessoren her, mit denen sehr viele der modernen Smartphones laufen. Mit der Snapdragon-800er-Serie sind es insbesondere die High-End-Smartphones, die mit diesen Prozessoren ihre hohe Leistungsfähigkeit erhalten.Eine hohe Leistungsfähigkeit beweist das Unternehmen auch am Aktienmarkt. Im bisherigen Jahresverlauf hat sich die Aktie um fast 60 % verteuert, auf Sicht von einem Jahr um fast 75 %. Mit 94,03 Dollar hat die Aktie am 8. November ein Allzeithoch markiert. Für die Einstellung des vorigen Rekordhochs hat die Aktie immerhin 19 Jahre gebraucht, denn Qualcomm war eine der Titel, die in der Dotcom-Blase der Jahre 1999 und 2000 extrem emporgeschnellt war. Analysten skeptischDer durchaus rasant zu nennende Kursanstieg des laufenden Jahres hat viele Analysten vorsichtiger werden lassen. Von 30 Häusern, die die Aktie laut Bloomberg auf ihrem Radarschirm haben, rät nur noch die Hälfte zum Kauf. 14 Analysten legen ihren Kunden nahe, die Aktie zu halten. Es gibt allerdings nur eine einzige Verkaufsempfehlung. Potenzial besteht gemäß der Konsensschätzung der Analysten kaum noch. Das durchschnittliche Kursziel für die kommenden zwölf Monate liegt bei 94,20 Dollar, was bezogen auf den aktuellen Kurs einem Anstieg von 4 % entspricht. Die Analysten von Morgan Stanley haben Qualcomm zuletzt von “Overweight” auf “Equal-weight” heruntergestuft. Sie verweisen dabei auf das mittlerweile erreichte Bewertungsniveau.Der Endspurt auf das Rekordhoch war dem jüngsten Quartalsbericht geschuldet, der etwas besser ausfiel als erwartet. Zwar gaben die Erlöse um 19 % auf 4,7 Mrd. Dollar nach, sie trafen aber den Mittelwert der vom Unternehmen genannten Guidance-Spanne. Dasselbe gilt für den Gewinn je Aktie von 71 US-Cent. Vor allem aber sieht die Prognose für das neue Geschäftsjahr einen Anstieg der Erlöse um 14 % und des Ergebnisses je Aktie um 19 % vor. Impliziert wird damit ein deutlicher Anstieg der Chip-Verkäufe sowie höhere Lizenzeinnahmen.Enthalten in den Lizenzeinnahmen sind nicht genau bekannte Zuwendungen von Apple an Qualcomm aus der im April erfolgten Einigung in einen Patentstreit, der Zahlungen über sechs Jahre vorsehen. Die Summen, die Qualcomm zufließen, werden auf 4,5 bis 4,7 Mrd. Dollar geschätzt. Qualcomm hatte Apple vorgeworfen, Erfindungen des Konzerns zu nutzen, ohne dafür eine Lizenz zu haben. Qualcomms Lizensierungpraxis ist allerdings umstritten. Apple-Chef Tim Cook hat einmal gesagt, Qualcomm erinnere ihn an einen Sofahersteller, der unterschiedliche Preise nehme abhängig davon, in welches Haus das Sofa geliefert werde. Apple wird aber jetzt wieder Chips von Qualcomm beziehen. Zuletzt war der Konzern aus Cupertino auf Modems von Intel ausgewichen. Markt zeigt SchwächeMomentan zeigt der Markt für Smartphones deutliche Schwäche, was sich auch in dem aktuellen Umsatzrückgang von Qualcomm widerspiegelt. Der ausgesprochene Optimismus für das neue Jahr basiert darauf, dass die Smartphone-Verkäufe mit Blick auf die bald abhebende 5G-Technologie wieder deutlich zulegen sollen. In der Tat gilt Qualcomm als gut positioniert, um von der neuen Technologie zu profitieren. Das Unternehmen kontrolliert 43 % des Weltmarktes für Baseband-Prozessoren, dies sind die Chips im Smartphone, die für die Funkverbindung zuständig sind. Qualcomm bietet bereits 5G in den High-End-SoC an. Im neuen Jahr soll dies auch für die Mittelklasse und die Low-End-Geräte gelten.Allerdings schwebt über der Aktie ein Damoklesschwert: der von US-Präsident Donald Trump losgetretene Handelskrieg gegen China. Entgegen der manchmal vorherrschenden Meinung an den Kapitalmärkten ist nicht mit einer umfassenden und dauerhaften Beilegung des Streits zu rechnen. Die USA streben nach dem Vorbild des Kalten Krieges eine Abkopplung des Westens von China an, um sich so die vorherrschende Position in weiten Teilen der Welt zu bewahren. Das amerikanische Handelsembargo gegen Huawei ist nur ein Vorgeschmack. Derzeit nutzen noch viele chinesische Smartphone-Hersteller Qualcomm-Chipsätze. Insofern würde Qualcomm besonders unter einer derartigen Abkopplung leiden. Zwar betont das Unternehmen, die optimistische Prognose für das erste Quartal rechne keinerlei Umsätze mit Huawei ein. Dennoch sieht bereits die mittelfristige Perspektive mit Blick auf China nicht gut aus. Huawei verwendet nur noch Smartphone-Prozessoren der eigenen Chip-Tochter Hisilicon. KollateralschadenPeking wird sicherlich Wert darauf legen, dass auch die anderen chinesischen Hersteller bald auf einheimische Chips ausweichen. Das von Huawei vorgestellte alternative Smartphone-Betriebssystem Harmony OS, das Huawei auch den anderen chinesischen Herstellern kostenfrei anbietet, hat eine andere Architektur als Android. Damit werden auch andere Prozessoren benötigt als diejenigen von Qualcomm, die auf Designs der britischen ARM Holding beruhen. Die chinesische Regierung stellt zudem hohe Summen bereit, um chinesische Hersteller bei der Entwicklung hochwertiger Chips zu unterstützen, bei denen diese noch Nachholbedarf haben. Qualcomm läuft also Gefahr, zu einem Kollateralschaden der US-Strategie gegen China zu werden. Mit Blick auf die erheblichen China-Gefahren, die anspruchsvolle Bewertung und die zunehmende Skepsis der Analysten ist es fraglich, ob auch der kommende 5G-Boom die Erwartung einer Fortsetzung der Rally der Aktie rechtfertigt.