Rasche Erholung eingepreist
Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtAuf den ersten Blick wirkt die Reaktion des Aktienmarktes seltsam. Die US-Regierung berichtet, dass im April mehr als 20 Millionen Stellen in den Vereinigten Staaten verloren gegangen sind, so viel wie noch nie seit dem Beginn dieser Statistik im Jahr 1939. Dennoch bauen die Aktienmärkte ihre Avancen aus.Erklärbar ist die Reaktion dennoch. Dass die Konjunkturdaten ebenso wie die Quartalsberichtssaison ein sehr düsteres Bild abliefern, überrascht angesichts des durch die Pandemie ausgelösten weitgehenden globalen Stillstands der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens niemanden. Zudem stellt sich angesichts des täglichen Bombardements mit Horrormeldungen ein Gewöhnungseffekt ein. Vor allem aber nehmen die Aktienmärkte zukünftige Entwicklungen voraus – oder versuchen das zumindest. Anders ausgedrückt: Derzeit überwiegen angesichts der zwar allmählichen, aber doch an Fahrt gewinnenden Aufhebungen der Beschränkungsmaßnahmen die Hoffnungen, dass sich die Wirtschaft rasch erholen und in nicht allzu ferner Zeit wieder einigermaßen den Stand von vor der Pandemie erreichen wird.Allerdings ist Letzteres noch mit vielen Fragezeichen zu versehen. Experten rechnen mit einer sich eher lang hinziehenden Rückkehr zum alten Stand, und es ist derzeit unklar, ob nicht zuletzt aufgrund der Lockerungsmaßnahmen die Infektionszahlen anziehen, was erneute und für die Wirtschaft sehr teure Beschränkungen zur Folge hätte. Durch die starke Gegenbewegung der Aktienmärkte ist jedenfalls bereits vieles, das gut laufen könnte, enthalten, Risiken wie eine weitere Infektionswelle, welche die Wirtschaft teuer zu stehen käme, oder die sich im zweiten Quartal absehbar weiter verschlechternden Konjunktur- und Unternehmensdaten dagegen nicht. Immerhin hat sich der Dax, auf Basis des am Freitag erreichten Hochs von 10 918 Zählern, seit dem Mitte März erreichten Tief von 8 256 Punkten in der Spitze um etwas mehr als 32 % erholt.Nach vorn stellt sich die Frage, wie weit sich die Schere zwischen der Kursentwicklung auf der einen und der fundamentalen Realität auf der anderen Seite noch öffnen kann. Es müsste wohl einiges an guten Nachrichten eingehen, um die Kurse in nächster Zeit deutlich weiter nach oben zu tragen. Denn die Erholungsrally vollzieht sich vor dem Hintergrund eines beispiellosen wirtschaftlichen Absturzes. Die Gewinnschätzungen der Analysten zeigen das deutlich. Der Konsens für den Gewinn je Aktie des Dax in diesem Jahr ist innerhalb von drei Monaten um nahezu 30 % auf jetzt rund 650 Indexzähler abgesackt. Im Ergebnis ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis des Konsens für dieses Jahr auf 16,7 gestiegen. Das ist bereits an sich ein recht stolzes Bewertungsniveau, und es passt nicht wirklich zu einem Umfeld, das wie selten zuvor von extremer Unsicherheit geprägt wird. Zumindest dürfte die Luft für weitere Avancen mittlerweile recht dünn geworden sein.