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Real braucht Klarheit über Fiskalpolitik

Von Martin Marinov *) Börsen-Zeitung, 17.11.2020 Brasilien gehört mit 5,7 Millionen Corona-Fällen zu den von Covid-19 am stärksten betroffenen Ländern der Welt. Nur in den USA und in Indien gibt es höhere Fallzahlen. Kein Wunder also, dass auch...

Real braucht Klarheit über Fiskalpolitik

Von Martin Marinov *)Brasilien gehört mit 5,7 Millionen Corona-Fällen zu den von Covid-19 am stärksten betroffenen Ländern der Welt. Nur in den USA und in Indien gibt es höhere Fallzahlen. Kein Wunder also, dass auch Brasilien mit massiven wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen und auch die Währung stark gelitten hat. Diese musste im Jahresvergleich – neben der türkischen Lira – den stärksten Wertverlust innerhalb der globalen Schwellen- und Industrieländer hinnehmen. Doch das hängt nicht nur mit der Pandemie zusammen. Denn Brasiliens Fiskalproblematik reicht wesentlich weiter zurück – die Krisenjahre 2015/2016 haben, in Zusammenhang mit den politischen Turbulenzen, die strukturellen Probleme des Landes in den Vordergrund gestellt. Schon vor Covid-19 war die Staatsverschuldung des Landes rasant angestiegen und hat den brasilianischen Real stark in Mitleidenschaft gezogen. Unterbrochen wurde die negative Entwicklung durch die Einführung einer “Ausgaben-Obergrenze” von Interimspräsident Temer, doch wegen Covid-19 wurde dieses Gesetz ausgesetzt. Rekordhohe SchuldenquoteDank der wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen, insbesondere direkter Geldtransfers, wird Brasiliens Staatsverschuldungsquote zum Jahresende mit etwa 100 % vom BIP ein neues “Allzeithoch” erreichen. Wie fast überall weltweit sind die dafür emittierten Staatsanleihen von den lokalen Banken gekauft worden, da sich internationale Investoren im Zuge der Krise aus Emerging Markets zurückgezogen hatten. Dies hat auch Druck auf die Währung ausgeübt. Immerhin konnten die unterstützenden Maßnahmen des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro den starken Abwärtssog der heimischen Wirtschaft einbremsen. Dessen lockerer Umgang mit der Pandemie wurde nicht nur in Brasilien selbst, sondern auch weltweit stark kritisiert. Dennoch dürfte der erwartete Wirtschaftseinbruch wesentlich geringer ausfallen als in etlichen anderen Schwellenländern der Region, wie beispielsweise Mexiko, wo der Staat einen anderen Umgang mit der Krise gewählt hat. Was die Verschuldung betrifft, stößt Bolsonaro bzw. Brasilien mehr und mehr an seine Grenzen. Für eine Weiterführung des sehr populären direkten Unterstützungsprogramms auf Kredit gibt es eigentlich keinen Spielraum mehr, sollte die Schuldenobergrenze nächstes Jahr, wie im Budgetvorschlag für 2021 angekündigt, wieder in Kraft treten.Nun ist die Regierung bemüht, “alternative Finanzierungsmöglichkeiten” zu finden. Dabei waren auch schon Umschichtungen von Bildungsausgaben im Gespräch, die nicht zur Schuldengrenze gerechnet werden. Das hat den Märkten gar nicht gefallen, der Vorschlag wurde zurückgezogen. Notwendig wären Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen, doch laufen gerade Kommunalwahlen – ein ungünstiger Zeitpunkt für die Diskussion unpopulärer Maßnahmen. Eine weitreichende Steuerreform ist ohnehin der nächste geplante Reformmeilenstein für die Regierung für 2021, jedoch muss zuerst die notwendige Diskussion geführt werden, um den politischen Konsens herauszufinden. Zudem scheint der Fokus derzeit auf der Vereinfachung zu liegen, weniger auf signifikanter Änderung der Einnahmen-Ausgaben-Bilanz. Diese Strukturreform dürfte positive Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Eine kurzfristige Lösung für das Dilemma des Präsidenten ist das jedoch nicht. Die Währungsinvestoren sowie die Ratingagenturen sind alarmiert und würden einen weiteren Anstieg der Verschuldung sicherlich abstrafen.Was den Real betrifft, so notiert dieser aktuell bei einem Wert von ca. 5,40 pro Dollar (Stand 12. November 2020) und hat somit seit Jahresbeginn knapp 30 % seinen Wertes gegenüber der US-Währung eingebüßt. Nach einer Erholungsphase im Mai hat der Real im Herbst die anderen Schwellenländerwährungen underperformt, eben aufgrund der hauseigenen fiskalischen Problematik. Die brasilianische Notenbank hat zwar an einzelnen Tagen die Ausschläge mit Interventionen abgebremst, doch keine Änderung der lockeren Geldpolitik in Aussicht gestellt. Das spricht für Priorisierung der Wirtschaftsunterstützung und Toleranz eines schwächeren Währungskurses im Umfeld niedriger Inflation, bedingt durch den Nachfragerückgang. Die Inflation zieht jedoch wieder leicht an. Die Zinspolitik dürfte im nächsten Jahr eine Wende erfahren, für Ende 2021 wird aktuell ein um 3 % höherer Leitzins erwartet. Wenn das konjunkturelle Umfeld die Zinswende erlaubt, dürfte das für den Real ein unterstützender Faktor sein, da die Währung bereits länger nicht zu den höchstverzinslichen Emerging-Markets-Währungen zählt, was für Brasilien üblich war. AufholpotenzialMan kann für ein Reflationsszenario, gekoppelt mit Aussichten auf Änderung der Notenbankpolitik, Aufholpotenzial für den brasilianischen Real sehen. Voraussetzung ist jedoch mehr Klarheit der Regierung bezüglich der Weiterführung der notwendigen Reformen und vor allem hinsichtlich der Verschuldung und der Fiskalpolitik. Erneute Aussetzung der Schuldenobergrenze oder “kreative Buchhaltung” würden die Bonität Brasiliens gefährden. Hoffentlich sind die Zweifel bald nach den Kommunalwahlen noch bis Jahresende aus dem Weg geräumt. *) Martin Marinov, Fondsmanager “Anleihen, CEE & Global Emerging Markets” bei Raiffeisen Capital Management.