Renditehungrige zieht es in die Ukraine
Bloomberg Moskau – Für den Beweis, dass geldpolitische Anreize einige renditehungrige Anleger weiter weg von den Hauptströmungen des Marktes führen, genügt ein Blick auf eine der undurchsichtigsten Schwellenländer-Schuldverschreibungen: ukrainische BIP-Optionsscheine.Die Papiere, die an das Wirtschaftswachstum des vom Krieg heimgesuchten Landes gebunden sind, konnten seit einer Investoren-Empfehlung durch J.P. Morgan Chase von Ende März um mehr als 50 % zulegen. Analysten der Bank sagen, die Rally ist noch nicht vorbei.Investoren sind in diesem Fall bereit, Risiken einzugehen für die seltene Chance, Verbindlichkeiten zu besitzen, die vor der Zentralbankpolitik der Industriestaaten und der Entwicklung bei den Rohstoffpreisen geschützt sind – also jener doppelten Bedrohung, mit der die meisten Hochzins-Bondmärkte zu kämpfen haben. Im Gegensatz zu herkömmlichen Anleihen, die an Zinssätze gebunden sind, hängen die Auszahlungen der BIP-Optionsscheine vom Wirtschaftswachstum des Emittenten ab.Anleger, die die Papiere halten, können zwischen 2021 und 2040 zweimal jährlich eine Auszahlung erhalten, wobei der Betrag durch das Wachstumstempo des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Ukraine bestimmt wird. Das Land ist allerdings nicht verpflichtet, Auszahlungen zu leisten, bis die Wirtschaftsleistung von 93,27 Mrd. Dollar Ende des vergangenen Jahres auf 125,4 Mrd. Dollar gestiegen ist. Eine weitere Bedingung ist ein Wachstum oberhalb von 3 %.”Investoren sind natürlich auf der Suche nach Vermögenswerten, die Bewertungspotenzial aufweisen, und es ist schwierig, die im aktuellen Investitionsklima zu finden”, sagte Jonny Goulden, Leiter der lokalen Schwellenmarkt-Anleihe-Analysen bei J.P. Morgan in London. “Wir sehen neuen Appetit der Investoren.” Wegen anhaltend niedriger Zinsen hatten viele Händler auf der Suche nach Erträgen zuletzt den Bereich konventioneller Anleihemärkte verlassen. Argentinien überzeugte Investoren beispielsweise im Juni, 100-jährige Anleihen zu kaufen. Der Irak erhöhte vor wenigen Tagen die Preissetzung bei einem Eurobond im Volumen von 1 Mrd. Dollar, nachdem die Emission überzeichnet war. Die Mongolei und Äthiopien gehören derweil zu den Dollaranleihe-Emittenten in den Reihen der Schwellenländer mit der besten Entwicklung in diesem Jahr. Hasenstab zuversichtlichGoulden und seine Kollegen hatten Ende März den Appetit auf die ukrainischen Optionsscheine mit einem 25-seitigen Bericht angeheizt, der zu dem Schluss kam, dass die Auszahlungen – auch wenn sie nur schwer zu bestimmen seien – den derzeitigen Preis wohl weit übertreffen würden. Damals wurden die Optionsscheine unter 30 US-Cent je Dollar Nominalwert gehandelt. Aktuell sind es 46 US-Cent. J.P. Morgan sieht ihren fairen Zeitwert näher an der Marke von 80 Cent.Die Optionsscheine verfügen auch über eine positive Einschätzung von Michael Hasenstab, dem Investmentchef von Templeton Global Macro. Er hält an den Papieren fest, seitdem er sie 2015 im Rahmen der Umschuldung der Ukraine bekommen hatte, auch wenn er die Bestände an Eurobonds des Landes zurückschraubte. Franklin Templeton hält bei weitem die größten Bestände an den Papieren, wie Daten von Bloomberg zeigen.Analysten bei Bank of America Merrill Lynch sind weniger überzeugt. Die Rally der Optionsscheine spiegele “Selbstzufriedenheit bei Risiken” und “zu viel Optimismus” zu den Wachstumsaussichten der Ukraine wider, erklärte Gabriele Foa, ein in London ansässiger Analyst der Bank.Die Auszahlungen an die Ukraine aus einem 17,5 Mrd. US-Dollar schweren Rettungspaket des Internationalen Währungsfonds (IWF) hatten sich verzögert, weil das Land bei den Reformen nur langsam Fortschritte macht, während der Kampf mit Separatisten an der Grenze mit Russland die Wirtschaft weiter belastet.