IM INTERVIEW: ANDREW BOSOMWORTH, PIMCO

"Risiko nicht ordentlich vergütet"

Leiter Portfoliomanagement über die Herausforderung mit Anleihen Geld zu verdienen

"Risiko nicht ordentlich vergütet"

Die Fonds-Tochter der Allianz ist im Zinsbereich bei Unternehmensanleihen sehr vorsichtig. Für interessant hält Anlagechef Andrew Bosomworth dänische Pfandbriefe und Schwellenländeranleihen. Wenig attraktiv seien dagegen italienische Staatspapiere, trotzt des vergleichsweise hohen Renditeaufschlags. Herr Bosomworth, es kommt einem schon Jahre vor, dass Investoren im Euro mit Nullzinsen oder gar negativen Zinsen konfrontiert sind – und dennoch mit Anleihen Geld verdienen müssen. “Normale” Verhältnisse an den Bondmärkten geraten bald in Vergessenheit. Wie geht es einem Bondinvestor angesichts dieser Lage?Es sind jetzt fünf Jahre – und es war ein langer Weg nach unten. Kürzlich hatten wir in der Firma unseren “Take Your Kids to Work Day”. Da wurde ich gefragt: War früher alles besser? Tja, in Bezug auf die Zinsen möchte man dem zustimmen. Es ist eine hohe Herausforderung heutzutage mit Bonds Geld zu verdienen. Die Risiken sind größer, die Renditen kleiner. Als Investor müssen Sie also immer höhere Risiken eingehen. Das wird auch kritisiert – nicht zuletzt von der EZB in ihrem Finanzstabilitätsbericht. Was sagen Sie dazu?Diese Kernbotschaft in dem Bericht wundert mich schon ein bisschen. Denn die EZB hat ihren Anteil zur heutigen Situation beigetragen. Sie kaufte in den letzten Jahren bereits Anleihen im Wert von rund 2 Bill. Euro und sie strebt offenbar auch nach hoher Beteiligung bei Neuemissionen für Unternehmensanleihen. Nach meinen Berechnungen haben die Zentralbanken in den Industriestaaten – also ohne Schwellenländer – im Rahmen ihrer Ankaufprogramme insgesamt Anleihen im Wert von mehr als 14 Bill. Dollar erworben. Die Politik der Notenbanken hat dazu geführt, dass die Vermögenspreise gestiegen sind. Dazu zählen auch die Kurse von Anleihen. Man darf sich nicht wundern, dass Anleger und Assetmanager Risiken eingehen auf der Suche nach Rendite. Als Assetmanager und institutioneller Investor kann man über die EZB schimpfen. Aber letztlich müssen Sie mit den Gegebenheiten klarkommen. Was gibt der Markt noch her?Das sollte keine EZB-Schelte sein. Die Entscheidung für eine Währungsunion ohne ergänzende Fiskalunion war eine Entscheidung der von den Bürgern gewählten Regierungen und bei Volksentscheiden gar der Bürger selbst. Die europäischen Volkswirtschaften leiden seit einigen Jahren unter zu wenig Nachfrage, und die EZB musste gegensteuern – und das ohne besondere Unterstützung von der fiskalischen Seite. Wie agieren Sie aktuell und in den kommenden Monaten? Wie sind Sie bei dem Flaggschiff-Portfolio Pimco Euro Bond Fund aufgestellt?Für uns ist Europa wichtig. Die jüngste EZB-Entscheidung, die lockere Geldpolitik fortzusetzen und ein neues Anleihenkaufprogramm aufzulegen, wird den Markt weiter beeinflussen. Vergleicht man die Volatilitäten in den großen liquiden Märkten, so gilt allgemein, je höher das Zinsniveau, desto höher die Volatilität. Japan steht da ganz unten. In Europa ist das Zinsniveau auf dem japanischen Niveau, aber die Volatilität ist mehr als das doppelt so hoch. Wir denken, dass die Volatilität im Euroraum mit der erwarteten zunehmenden Japanisierung der Kapitalmärkte sinken wird. Wir sehen Chancen auf dem dänischen Hypothekenmarkt. Die Hypothekenanleihen in Dänemark sind interessant, denn sie beinhalten Volatilität: Der Kreditnehmer kauft eine Option, die ihn berechtigt, den Kredit frühzeitig zu tilgen. Die Papiere haben eine ganz andere Konstruktion als die klassischen Pfandbriefe. Die dänischen Anleihen haben eine Rendite von 1 bis 1,25 % bei “AAA”-Bonität. Im Verhältnis zu den klassischen Pfandbriefen ist das attraktiv. Ein weiterer Vorteil ist die hohe Standardisierung der Emissionen etwa bei den Kupons und Laufzeiten. Als Resultat gibt es weniger, aber dafür größere und entsprechend liquidere Emissionen. Ist der Markt überhaupt groß genug für einen Assetmanager wie Pimco?Ja, das Volumen ist für unsere Strategien hier in Europa groß genug. Und wenn an den Märkten nichts passiert, verdiene ich den Kupon. Wenn die Volatilität zurückgeht, käme ein Kapitalgewinn dazu. Wünschenswert wäre, wenn diese Art der Anleihenkonstruktion auch in den Ländern des Euroraums Verbreitung finden würde. Dänische Pfandbriefe sind doch nicht die einzige Idee, in dem Zinsdilemma Geld zu verdienen, oder?Interessant sind auch ausgewählte Emerging-Markets-Emittenten in Hartwährung. Aber wir kaufen auch vermehrt Lokalwährungsanleihen, weil in vielen Schwellenländern die Inflation sehr schnell zurückgeht. Russland beispielsweise hat eine Inflation von unter 4 %. Das ist das niedrigste Inflationsniveau seit Jahrzehnten. Mein russischer Kollege sagte jüngst, dass sich nicht mal seine Großmutter an so niedrige Teuerungsraten erinnern kann. Gleichzeitig haben wir eine hohe Realverzinsung, denn die Zinsen bei Tagesgeld, also die Leitzinsen, liegen in Russland bei 6 %. Denselben Effekt sehen wir in vielen Ländern Südamerikas und Nordafrikas. Also investieren wir in Staatsanleihen auf Lokalwährungsbasis. Aber das ist alles nur kleiner Baustein im Portfolio. Es gibt Investoren, die Unternehmensanleihen in diesem Zinsumfeld für den neuen sicheren Hafen halten – das, was früher Staatsanleihen waren. Sehen Sie das auch so?Auf den ersten Blick sieht die Welt der Corporate Bonds in Ordnung aus, die Konjunktur läuft 2020 weiter, die Zentralbanken lockern die Geldpolitik, und die Risikoprämien signalisieren das Vertrauen der Anleger. Aber schaut man genau hin, dann stellt man fest, dass sich das Verhältnis Rendite zu Risiko verschlechtert hat. Der Markt für Unternehmensanleihen ist schnell gewachsen, die durchschnittliche Qualität der Emissionen ebenso schnell gesunken. Der Anteil der “BBB”-Ratings liegt inzwischen bei knapp unter 50 %, während es früher knapp unter 30 % waren. Wir sind relativ vorsichtig bezüglich klassischer Unternehmensanleihen. Die Nettoverschuldung der Unternehmen zu Ebitda ist deutlich gestiegen, die Risikoprämien dagegen merklich gesunken. Unternehmensanleihen sind für mich ein Segment, wo ich sagen würde: Früher war – fast – alles besser. Hinzu kommt, dass Banken immer weniger in der Lage sind, Risiken auf ihre Bilanzen zu nehmen. Ich befürchte, dass die Risikoprämien bei Corporates potenziell schnell ansteigen könnten und dass das Risiko im Augenblick nicht ordentlich vergütet wird. In dieser Hinsicht stimmen wir also der EZB zu. Wir versuchen in unseren Portfolios, den Anteil an klassischen Unternehmensanleihen zu reduzieren. Gibt es in der Welt der Unternehmensanleihen aus Ihrer Sicht attraktive Nischen für Investoren?Ja, in einzelnen Sektoren, in denen die Markteintrittsbarrieren sehr hoch sind und es weniger Konkurrenz gibt, so dass die Gewinnmargen aufrechterhalten werden können. Dazu zähle ich zum Beispiel Telekommunikation und Immobilien. In jedem Fall kaufen wir bei Corporates eher kurzlaufende Anleihen und verlassen uns stark auf die Empfehlungen unserer Unternehmensanalysten. Die Emittenten sollten eine Rezession überstehen können, also widerstandsfähig sein. Dafür verzichten wir auch auf ein paar Basispunkte an Rendite. An der Stelle verweise ich noch mal auf die dänischen Hypotheken, die ich Unternehmensanleihen grundsätzlich vorziehe. So konstruiere ich ein Portfolio mit höherer Qualität und gleicher Rendite. Das erlaubt es mir, bei Unternehmensanleihen untergewichtet zu sein. Untergewichtet gemessen an welcher Benchmark?Der Aggregate Index für Europa setzt sich aus etwa einem Drittel klassischen Pfandbriefen, einem Drittel Unternehmensanleihen und einem Drittel Staatsanleihen zusammen. Apropos Staatsanleihen – wie halten Sie es mit den Papieren der Peripherieländer?Da ist es zuletzt zwar ruhiger geworden, aber die Meinungen sind weiterhin geteilt. Es gibt Optimisten, die die italienischen Staatsanleihen für die letzte große liquide Risikoprämie auf der Welt halten. Das klingt nicht so, als ob Sie dazugehören.Nun, eine Rendite von knapp 1,2 % für die zehnjährige italienische Staatsanleihe entspricht nicht einmal dem Zinsniveau von US-Staatsanleihen und nur einem Drittel des chinesischen Renditeniveaus. Gehen Sie bei Italien nicht von politischer Stabilität aus? Dann wären 1,2 % doch attraktiv.Die 1,2 % sind kein risikofreies Geschäft. Man kann bei Anleihen kürzerer Laufzeit auf eine Konvergenz der Risikoprämien gegenüber den Kernländern setzen. Aber richtig überzeugt bin ich nicht. Für mich stellen italienische Staatsanleihen in erster Linie Kreditrisiko statt Durationsrisiko dar. Was ist das Problem? Wir haben doch eine Währungsunion?Genau das ist ja das Problem. Der fiskalpolitische Spielraum in einer Währungsunion mit einheitlicher, unabhängiger Geldpolitik ist ein ganz anderer im Vergleich zu einem Land, das seine eigene Währung hat. Japan hat eine doppelt so hohe Verschuldung wie Italien, und trotzdem sind die Renditen für japanische Staatsanleihen negativ. Das ist eine Implikation der modernen Geldtheorie für Investoren. Mehr Rendite kann man auch mit verbrieften Papieren, CLOs, erzielen. Ist das für Sie eine Alternative?Das ist ein interessantes Segment, in das wir durchaus investieren. Allerdings beobachten wir in letzter Zeit eine Verschiebung bei den Bedingungen, den sogenannten Covenants, bei Neuemissionen zu Lasten der Investoren. Nichtsdestotrotz gibt es interessante Emissionen, und wir können zum Teil die Bedingungen zu unseren Gunsten beeinflussen. Allerdings sind CLOs ein relativ illiquides Instrument, was bei der Portfoliokonstruktion beachtet werden muss. Ist angesichts der Null- und Negativzinsen die Portfoliokonstruktion schwieriger geworden? Setzen Sie mehr Derivate ein als früher?Nein, die Basiskonstruktion ist quasi gleich geblieben. Die Risikoprämien sind jedoch enger geworden. Wie sind Ihre Markterwartungen für das kommende Jahr?Ich erwarte, dass es 2020 genügend Momentum geben dürfte, damit sich der Konjunkturzyklus fortsetzt. Es gibt aus meiner Sicht drei wesentliche Treiber: den politischen Zyklus, Handelszyklus und den Liquiditätszyklus. Alle drei sprechen dafür, dass sich der Aufschwung fortsetzt. Aber das Wachstum dürfte die kommenden Quartale gering ausfallen: Zudem wirken die langfristigen Faktoren wie Demografie und Ersparnisflut weiter. Apropos Liquidität: Was wird sich aus Ihrer Sicht an der Geldpolitik im nächsten Jahr ändern?Nichts – zumindest in Europa. Die EZB dürfte ihr Anleihenprogramm wie angekündigt fortsetzen. Die Fed wiederum hat gezeigt, dass sie Spielraum hat und diesen nutzen wird, um auf schlechtere Wirtschaftsdaten zu reagieren. Sie wird die Zinssenkungen fortsetzen, wenn sich die Aussichten eintrüben. Glauben Sie an eine stärkere Unterstützung durch die Fiskalpolitik, wenn zumindest in Europa die Geldpolitik an die Grenzen gekommen ist?Ich höre diese Rufe auch und sehe die Herausforderungen. Aber es gibt keinen zentralisierten EU-Haushalt, und aus Sicht der einzelnen Mitgliedsstaaten ist es politisch nicht der gewünschte Weg. Wir sollten auch nicht die Erwartungen nach Berlin richten, dass die deutsche Fiskalpolitik die gesamte Eurozone zu retten. Wenn Deutschland mehr Investitionen braucht, okay. Aber um einen nachhaltigen Effekt auf Europa zu haben, bräuchte es wohl eine gemeinsame europäische Fiskalpolitik. Das Interview führte Wolf Brandes.