Robinhoods Schicksal hängt an der SEC
Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
Robin Hood, ein Geächteter, der die Interessen der Armen gegen die reiche Oberschicht vertritt, ist in der englischen Überlieferung bereits seit dem 13. Jahrhundert bekannt. Im frühen 21. Jahrhundert hat der Held seinen Weg an die Wall Street gefunden und es sogar selbst zu einer Aktiennotierung gebracht: Im Jahr 2013 wurde der amerikanische Neobroker Robinhood Markets gegründet, dessen Aktie dann in diesem Jahr auch selbst an der Nasdaq notiert wurde. Und möglicherweise ganz im Sinne seines sagenhaften Vorbilds hat Robinhood – oder genauer gesagt es haben seine Kunden – Wall Street ordentlich aufgemischt: Die über die Plattform Wallstreetbets auf Reddit gut organisierten Privatkunden von Robinhood haben einer ganzen Reihe von Hedgefonds, die als Leerverkäufer einiger prominenter Aktien wie Gamestop agierten, durch koordinierte Käufe mittels eines wohl durchaus beabsichtigten Short Squeeze Verluste in Milliardenhöhe beschert. Zumindest für einige der Privatanleger hatte das wohl auch eine politische Dimension. Auch nach dem Ende dieser stürmischen Episode am amerikanischen Aktienmarkt gibt es Wallstreetbets weiterhin, mit einer Gesamtzahl von aktuell 10,8Millionen Teilnehmern.
Möglicherweise war es aber weniger der programmatische Name des Neobrokers, der seine mittlerweile 31 Millionen Kunden angezogen hat, als vielmehr die Tatsache, dass Robinhood Aktienhandel ohne Kosten für die Kunden anbietet. Die beiden Gründer Vladimir Tenev und Baiju Bhatt berufen sich auf ihre Mission, „jedermann den Zugang zu den Finanzmärkten zu geben, nicht nur den Reichen“. Vor dem Siegeszug von Robinhood war es in den USA üblich, den Kunden pro Order 5 bis 10 Dollar in Rechnung zu stellen und eine Depot-Mindestgröße von bis zu 5000 Dollar zu verlangen. Robinhood kann sich rühmen, die zuvor wenig börsenaffinen Millennials an die Finanzmärkte gelockt zu haben.
Kräftig gewachsen
Mit dem kostenlosen Aktienhandel ist Robin Hood kräftig gewachsen. Betrugen die Erlöse 2019 noch 277,5 Mill. Dollar, waren es 2020 schon 958,8 Mill. Dollar. Das Unternehmen kommt mittlerweile auf eine Marktkapitalisierung von 34,7Mrd. Dollar, unmittelbar nach dem IPO waren es auch schon einmal deutlich mehr als 50 Mrd. Dollar. Für ein Unternehmen, das – ob zu Recht oder Unrecht – der Technologiebranche zugerechnet wird, ist es eher ungewöhnlich, dass zumindest für 2020 unterm Strich ein Gewinn übrig bleibt, wenn auch mit 2,85 Mill. Dollar nur ein kleiner. Bei den Analysten ist Robinhood recht beliebt. Von 14 Banken raten sechs zum Kauf, bei einer Einstufung mit „Overweight“. Weitere sechs Häuser plädieren dafür, die Aktie im Portfolio zu behalten und ein Analyst empfiehlt, den Titel zu verkaufen. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 55,40 Dollar, was bezogen auf den aktuellen Kurs von rund 41 Dollar immerhin einem Kurspotenzial binnen eines Jahres von 33% entsprechen würde.
Robinhood hat aber eine dunkle Seite, die dem britischen Original aus der Sage wohl nicht gefallen hätte. Gemäß der amerikanischen Binsenweisheit „There ain‘t no free lunch“ zahlen die Kunden des Neobrokers nämlich indirekt einen hohen Preis. Ihr Orderflow wird weiterverkauft an große Wallstreet-Häuser, was die Informationsasymmetrie an der Wall Street weiter vergrößert und es dem „smart money“ an der Wall Street ermöglicht, sich erfolgreich gegen die dort „dumb money“ genannten Kleinanleger zu positionieren – eine lukrative Praxis, die mehr als ein Geschmäckle hinterlässt.
Hierin liegt aber auch die Achillesferse von Robinhood, die für die enttäuschende Kurs-Performance der Aktie verantwortlich ist. Im Rahmen des Börsengangs Ende Juli hatte es einen Zuteilungspreis von 38 Dollar am unteren Ende der Spanne gegeben – ein Zeichen dafür, dass die Altaktionäre hoch pokerten. Von den angebotenen 55Millionen Aktien stammten immerhin die meisten aus einer Kapitalerhöhung, nur 2,6 Millionen wurden von den Altaktionären verkauft. Die Mehrheit liegt weiterhin bei Bhatt und Tenev. Am 5. August erreichte der Titel mit 85 Dollar sein Rekordhoch. Danach ging es abwärts. Und dafür gibt es einen guten Grund: Nach jahrelanger Untätigkeit erwägt die amerikanische Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC), die „Payment for Order Flow“ (PFOF) genannte Praxis, auf der das Geschäft von Robinhood beruht, zu verbieten oder zumindest stark zu regulieren. SEC-Chairman Gary Gensler kündigte dies in einem Interview an. Das wäre ein harter Schlag für Robinhood, weil 80% der Erlöse aus PFOF stammen. Andere Länder aus dem angloamerikanischen Kulturkreis wie Großbritannien, Australien und Kanada haben die Praxis längst verboten.
Wie die Sache letztlich ausgehen wird, ist noch völlig offen. So sagen viele aus der Branche, dass an PFOF so lange nichts auszusetzen wäre, solange die Preisbildung der Order nach dem vorgeschriebenen Best-Price-Prinzip erfolgt. Gensler ist aber wegen der zunehmenden Asymmetrie und des Zerfalls des Marktes in Segmente besorgt, wobei inzwischen fast so viel Orderflow an Dark Pools und andere intransparente Handelsplätze gehe wie an offizielle Börsen. „Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass der US-Aktienmarkt immer als der effizienteste und liquideste der Welt angesehen wird“, warnt er, wobei dies nach Ansicht von Kritikern noch sehr zurückhaltend formuliert ist. Es gebe auch zu viele „inhärente Interessenkonflikte“, so Gensler.
Noch nichts entschieden
Aber letztlich ist noch lange nicht entschieden, ob sich Gensler auch gegen die Interessen des „smart money“ und dessen großen politischen Einfluss durchsetzen kann. So mancher Beobachter glaubt auch, dass Gensler selbst kein schnelles Vorpreschen in der Sache plant, zumal es auch lange Anhörungsphasen geben würde, bei denen am Ende oft eine verwässerte Version übrig bleibt. Robinhood-Syndikus Dan Gallagher ist jedenfalls davon überzeugt, dass die SEC die Praxis nicht verbieten wird – mit Gallagher hat Robinhood nicht ohne Grund einen ehemaligen SEC-Commissioner angeheuert.
Anleger sollten sich im Klaren sein, dass der Kursverlauf der Aktie von der künftigen Regulierung des US-Aktienmarktes abhängt. Darin können große Chancen, aber auch große Risiken liegen.