Kreditwürdig

Rückschlagsgefahren für türkische Dollar-Bonds

Die Kurse türkischer Dollar-Anleihen haben in den vergangenen Monaten kräftig zugelegt. Der von J.P. Morgan berechnete Teilindex des EMBIG für die Türkei stieg seit Anfang November um 12,7%. Der Risikoaufschlag ging im gleichen Zeitraum um knapp 200...

Rückschlagsgefahren für türkische Dollar-Bonds

Von Janis Hübner*)

Die Kurse türkischer Dollar-Anleihen haben in den vergangenen Monaten kräftig zugelegt. Der von J.P. Morgan berechnete Teilindex des EMBIG für die Türkei stieg seit Anfang November um 12,7%. Der Risikoaufschlag ging im gleichen Zeitraum um knapp 200 Basispunkte (BP) auf rund 460 BP zurück. Die türkische Lira legte gegenüber dem Dollar fast 13% zu und war damit die stärkste Währung weltweit. Von Euphorie zu sprechen, wäre allerdings verfehlt. Vielmehr konnten sich türkische Anlagen lediglich von ihren Krisenniveaus erholen, auf die sie zuvor gefallen waren.

Ausgangspunkt für den Stimmungsumschwung waren zwei Personalwechsel: Zunächst hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Zentralbankgouverneur Murat Uysal entlassen und durch Naci Agbal ersetzt. In Reaktion darauf trat Finanzminister Berat Albayrak zurück und wurde durch Lütfi Elvan ersetzt. Albayrak hatte die einseitig auf Wirtschaftswachstum ausgerichtete Politik stets besonders vehement verfochten und die Gefahren für die finanzielle Stabilität heruntergespielt.

Kurswechsel der Geldpolitik

Der neue Zentralbankchef Agbal kündigte umgehend einen Kurswechsel in der Geldpolitik an und lieferte: Auf seinen beiden ersten Sitzungen im November und Dezember vereinfachte er das zinspolitische Instrumentarium und hob den maßgeblichen Repo-Satz in zwei Schritten um insgesamt 675 BP auf 17% an. Dies war nötig geworden, weil die Notenbankpolitik unter Uysal das Vertrauen in die türkische Lira massiv beschädigt hatte. Professionelle Anleger, aber auch private Haushalte wechselten ihre Lira in Dollar oder kauften Gold. Die Lira stürzte um 30% ab, und die Inflationsrate stieg. Die eigentliche Dramatik zeigt sich aber erst beim Blick auf die Währungsreserven: Diese fielen seit Anfang 2020 um rund 35 Mrd. Dollar. Berücksichtigt man, dass sich die türkische Zentralbank über Swap- Geschäfte immer wieder neue US-Dollar­ auf Pump besorgte, lag das Volumen der Deviseninterventionen bei über 70 Mrd. Dollar. Selbst diese hohen Interventionen haben es somit nicht vermocht, die Flucht aus der Lira zu stoppen.

Der Erfolg des Kurswechsels lässt sich bislang vor allem an den Finanzmarktindikatoren ablesen. Die jüngste Stärke der Lira spiegelt wider, dass es teuer und riskant geworden ist, auf einen weiteren Verfall zu wetten. Die Risikoprämien für türkische Staatsanleihen haben sich eingeengt, weil die unmittelbare Gefahr einer Währungskrise gesunken ist. Die hohe Fremdwährungsverschuldung von Staat, Banken und Unternehmen von rund 400 Mrd. Dollar entspricht etwa 60% der Wirtschaftsleistung, was einer der höchsten Werte weltweit ist. Daher sorgt jede Abwertung für eine Verteuerung des Schuldendienstes, und das Land ist darauf angewiesen, dass der Zugang zum internationalen Finanzmarkt stets erhalten bleibt.

Hohe Auslandsschulden

Die Stabilisierung der Lira war notwendig, um eine drohende Finanzkrise abzuwenden, doch von stabilen Verhältnissen bleibt die Türkei weit entfernt. Die Auslandsschulden sind hoch, und die Währungsreserven sind viel zu schwach, um einen ausreichenden Puffer für neue Unsicherheit an den Finanzmärkten zu bilden: Die Fremdwährungs- und Goldbestände der Notenbank summierten sich Mitte Januar 2021 zwar auf 90 Mrd. Dollar, doch diesen standen Ende November 2020 allein Short-Positionen in Swap-Geschäften der Zentralbank in Höhe von 58 Mrd. Dollar gegenüber. Hinzu kommt der in diesem Jahr fällige Auslandsschuldendienst des Staats von rund 27 Mrd. Dollar. Türkische Banken halten bei der Zentralbank rund 40 Mrd. Dollar an Mindestreserven in Fremdwährung und Gold, also Anlagen, über die die Zentralbank nicht unbegrenzt verfügen kann.

Realität sieht anders aus

Um Währungsreserven aufzubauen und die Auslandsverschuldung zu reduzieren, müsste die Türkei über viele Jahre Leistungs­bilanzüberschüsse erwirtschaften. Doch die Realität sieht anders aus: 2020 ist das Leistungsbilanzdefizit auf über 35 Mrd. Dollar, mehr als 5% des Bruttoinlandsproduktes (BIP), gestiegen. Ursächlich war zum einen der Einbruch im Tourismussektor infolge der Corona-Pandemie, die auch zu einem Rückgang der Warenexporte geführt hat. Hier ist eine Verbesserung zu erwarten, wenn die Pandemie durch die Impfungen im Laufe des Jahres sowohl in Europa als auch in der Türkei eingedämmt werden kann. Zudem sind die Goldimporte massiv gestiegen, weil türkische Haushalte der Lira nicht mehr vertrauten. Hohe Zinsen und eine weitgehend stabile Entwicklung der Lira könnten helfen, das Vertrauen langsam wiederaufzubauen. Besonders kritisch zu sehen ist jedoch die Tatsache, dass die Importe des Landes trotz der Krise nicht gesunken sind, weil der staatlich gestützte Kreditboom die Nachfrage befeuert hat. Hier zeigt sich das wirtschaftspolitische Grundproblem der Türkei: Die Regierung hat unter Präsident Erdogan über viele Jahre einseitig das Ziel eines hohen Wirtschaftswachstums auf Kosten der makroökonomischen Stabilität verfolgt.

Taktische Überlegungen

Die wichtigste Frage ist, ob Erdogan seine Fehler erkannt hat und den neuen Kurs aus Überzeugung mitträgt, oder ob er lediglich aus taktischen Überlegungen der Zentralbank so lange freie Hand lässt, wie er sich von dieser Politik mehr Vor- als Nachteile erhofft. Leider gibt es keine Hinweise darauf, dass Ersteres der Fall ist. Erdogan hat erst vor kurzem seine Überzeugung bekräftigt, niedrige Zinsen seien hilfreich, um die Inflationsrate zu senken. Mit dem Näherrücken der Präsidentschaftswahl, die spätestens 2023 stattfindet, steigt die Gefahr, dass er den Stabilitätskurs wieder aufgibt, um durch hohes Wirtschaftswachstum Stimmen zu gewinnen.

Die zweite wichtige Frage lautet: Wie sind seine Wiederwahlchancen einzustufen? Denn ein Wechsel zu einem moderaten Präsidenten, der eine nachhaltige Wirtschaftspolitik verfolgt, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit achtet und das Verhältnis zu den europäischen Partnern verbessert, wäre der sicherste Weg, den negativen Ratingtrend der Türkei umzukehren. In aktuellen Umfragen liegt Erdogan knapp hinter seinen aussichtsreichsten Herausforderern, doch Erdogan weiß, wie man eine Wahl erfolgreich vorbereitet – militärische Abenteuer im Ausland inklusive.

Prämien dürften sinken

Auf Sicht der kommenden Monate dürften die türkischen Finanzmärkte von den hohen Zinsen, der Erwartung einer sinkenden Inflationsrate, einem allmählichen Rückgang des hohen Leistungsbilanzdefizits und der Hoffnung auf ein Ende der Pandemie gestützt bleiben. Die Risikoprämien für türkische Dollar-Anleihen dürften noch einmal sinken. Doch die Gefahr erneuter Rückschläge im späteren Jahresverlauf ist groß. Vertrauen werden die Finanzmärkte zu diesem Präsidenten wohl nicht mehr fassen.

*) Janis Hübner ist im Makro-Research der DekaBank tätig.

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