Rummel um Blankoscheck-Firmen hält an
Von Norbert Kuls, New YorkBörsengänge durch die Hintertür werden an der Wall Street zunehmend populär. Am Dienstag kündigte der junge Krankenversicherer Clover Health seine Fusion mit einem Unternehmensmantel an, hinter dem der bekannte Risikokapitalinvestor Chamath Palihapitiya steht. Für den ehemaligen Facebook-Manager ist es bereits die dritte Transaktion mit einem jener Akquisitionsvehikel, die offiziell als Special Purpose Acquisition Companies (Spac) firmieren. Im vergangenen Jahr ging Virgin Galactic, das von Richard Branson gegründete private Raumfahrtunternehmen, über eine Spac-Fusion an die Börse. Mitte September gab dann die Online-Immobilienplattform Opendoor die Übernahme durch ein Palihapitiya-Spac bekannt. Der britische Unternehmer Branson hat im Oktober seinerseits ein Spac an die New Yorker Börse gebracht, um damit in Zukunft ein Unternehmen zu kaufen.Spacs sind Mantelgesellschaften ohne operatives Geschäft. Emittenten nehmen mit einem Börsengang Eigenkapital auf, um innerhalb einer bestimmten Frist, meistens zwei Jahren, ein nicht gelistetes Unternehmen zu kaufen, das auf diese Weise eine Börsennotierung erhält. Prominente InvestorenIn diesem Jahr sind nach Angaben des Informationsdienstes Spacinsider schon 128 Blankoscheck-Firmen an die Börse gegangen, die insgesamt Anteile im Wert von mehr als 49 Mrd. Dollar emittiert haben. Diese Summe übersteigt das gesamte Emissionsvolumen der vergangenen zehn Jahre. Spac hatten allerdings lange Zeit ein Schmuddelimage, weil sie mit Finanzbetrug assoziiert wurden. Zur neuen Popularität beigetragen hat neben dem Engagement prominenter Investoren, darunter der Hedgefondsmanager Bill Ackman, auch die starke Kursentwicklung einzelner Unternehmen, die über eine Spac-Fusion an die Börse gegangen sind. Der Kurs des Wettportals Draftkings, das im April an der Nasdaq debütierte, hat sich in diesem Jahr Stand gestern Abend verfünffacht.Auch die Fondsbranche wittert neues Geschäft. Seit der vergangenen Woche können Anleger an der New Yorker Börse erstmals einen ETF handeln, der sich an einem Index für Spacs orientiert. Der Defiance NextGen Spac Derived ETF wird zu vier Fünfteln aus Gesellschaften bestehen, die bereits eine Fusion vollzogen haben, darunter Draftkings. Der Rest des Fonds besteht aus Hüllen, die noch nach einem Übernahmeziel suchen. “Die Auswahl der Gewinner unter einzelnen Spacs kann sehr schwierig sein, aber die ETF-Struktur ermöglicht Anlegern den Zugang zu einem diversifizierten Korb”, hieß es zum Börsenstart.Analysten des auf IPOs spezialisierten Wertpapierhauses Renaissance Capital warnen trotz einzelner Erfolgsgeschichten allerdings vor überzogenen Gewinnerwartungen. Die Aktienkurse der 93 Firmen, die seit 2015 via Spac an die Börse gegangen sind, seien im Durchschnitt nämlich um knapp 10 % gefallen. Nur knapp ein Drittel der Titel verbuchten Kursgewinne. Dagegen seien die Aktienkurse von Unternehmen, die auf traditionellem Weg an die Börse gegangen sind, im gleichen Zeitraum um durchschnittlich 37 % gestiegen. “Wenn Anleger keine besseren Ergebnisse sehen, könnten die diesjährigen Einnahmerekorde der Spacs nur noch von der Rekordsumme eingestellt werden, die sie in zwei Jahren wegen Rücknahmen und Liquidationen zurückgeben müssen”, warnen die Analysten. Die Aktienkurse nach Spac-Fusionen hätten sich seit 2019 allerdings besser entwickelt als in den drei Jahren davor. Nach einer Studie von Goldman Sachs haben sich die Kurse von 56 untersuchten Spacs seit Januar 2018 in den drei, sechs und zwölf Monaten nach einer Fusion im Durchschnitt sowohl schlechter als der marktbreite Aktienindizes S&P 500 als auch der Nebenwerteindex Russell 2000 entwickelt. Enorme ZeitersparnisFür die übernommenen Firmen bietet ein Spac eine günstigere und raschere Form des Börsengangs, weil eine Transaktion innerhalb von drei bis fünf Monaten vollzogen werden kann. Ein traditioneller IPO-Prozess kann bis zu einem Jahr dauern und setzt die Unternehmen potenziellen Marktschwankungen aus.Kritiker führen an, dass Unternehmen auf der Spac-Route weniger stark überprüft werden, was im Fall von Nikola zu bösen Überraschungen für Investoren führen könnte. Der Aktienkurs des Elektrolastwagenbauers kletterte nach dem Börsendebüt im Juni zunächst stark, notierte nach Betrugsvorwürfen und dem Rücktritt des Gründers zuletzt aber mehr als 70 % unter seinem Höchstkurs. Der neue Spac-ETF hat Nikola aus seinem Aufgebot entfernt.Auch die US-Börsenaufsicht nimmt die Spacs stärker unter die Lupe. Der SEC-Vorsitzende Jay Clayton sorgt sich, dass die Aktionäre die lukrativen finanziellen Anreize für die Gründer der Spacs nicht richtig verstehen. Diese können ein Fünftel des Spac-Kapitals zum Nominalwert von 25 000 Dollar erwerben. Dieser Anteil kann nach einer Akquisition Millionen von Dollar wert sein. Clayton: “Wir untersuchen, ob die Offenlegung hier so ist, wie sie sein sollte.”