DEVISENMARKT DROHT EIN LIQUIDITÄTSPROBLEM

Scheinliquidität im Währungshandel

Marktteilnehmer befürchten ein Austrocknen an den Devisenmärkten in Krisenphasen - Zunehmende Fragmentierung

Scheinliquidität im Währungshandel

Dem Devisenmarkt droht in Krisenphasen ein Liquiditätsproblem. Insbesondere Schwellenländer-Währungen könnten von einer Liquiditätskrise betroffen sein, aber auch bei Euro/Dollar gibt es Hinweise auf eine sich seit Jahresbeginn verschlechternde Marktliquidität. Ursachen dafür sind einerseits die strengere Regulierung und eine zunehmende Unberechenbarkeit der Notenbanken sowie andererseits eine zunehmende Fragmentierung des Handels.Von Stefan Schaaf, FrankfurtDer Devisenmarkt ist das Schmiermittel der globalen Finanzmärkte. Würde er austrocknen, dürfte der Handel mit Aktien, Bonds und Rohstoffen kaum noch funktionieren. Für solche Szenarien gab es in der Vergangenheit keinen Grund, gilt doch der Devisenmarkt als der liquideste Teil des Finanzmarktes. Analysten nennen meist einen täglichen Umsatz von 5,3 Bill. Dollar mit Währungsgeschäften im Spot- und Terminhandel. Die Zahl entstammt einer Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) von April 2013 zur Struktur des Devisenmarktes. Inzwischen geht die BIZ intern sogar von täglich 6 Bill. Dollar aus. Doch trotz dieser hohen Beträge mehren sich die Stimmen, die am Währungsmarkt Liquiditätsschwierigkeiten befürchten und die Ereignisse rund um den Franken im Januar als Menetekel sehen.Viele Akteure im Währungshandel werden den 15. Januar dieses Jahres wohl kaum in guter Erinnerung behalten. An diesem “schwarzen Donnerstag des Devisenmarktes, wie er inzwischen genannt wird, gab die Schweizer Nationalbank (SNB) unerwartet den Frankenkurs frei und löste damit einen Crash von Euro und Dollar zum Franken aus. Die drastischen Marktverwerfungen – der Franken wertete innerhalb von 20 Minuten um fast ein Drittel zum Dollar auf – wurde einigen Brokern zum Verhängnis, Alpari beispielsweise stürzte in die Insolvenz. Während des Kursrutsches geschah etwas, was am Devisenmarkt als ausgeschlossen galt, jedenfalls bei recht häufig gehandelten Währungen wie dem Franken: Die Liquidität trocknete zeitweilig ein. “Die Franken-Freigabe war der Flash Crash des Devisenmarktes”, sagt Kit Juckes, Währungsanalyst bei der Société Générale. Er spielt damit auf ein Phänomen an, das am Aktien- wie auch Bondmarkt bereits zu beobachten war, als die Liquidität verschwand und die Kurse Achterbahn fuhren.”Der Rückgang der Liquidität ist ein Thema am Devisenmarkt, aber nicht so akzentuiert wie am Rentenmarkt, wo diverse Regulierungsmaßnahmen zu gesunkener Liquidität geführt haben”, sagt Holger Achnitz, der beim weltgrößten Währungsbroker Citi den Devisenhandel in Deutschland leitet. Er hat jedoch, wie andere Marktteilnehmer auch, einen deutlichen Anstieg der Währungsvolatilität seit ihren Tiefstständen vergangenem Sommer registriert. “Liquiditätskrisen kann es auch am Devisenmarkt geben”, warnt Achnitz. “Während der Krise 2008/2009 gab es eine sehr starke Dollar-Nachfrage, aber der Markt hat funktioniert. Aufgrund der neuen Regeln ist fraglich, ob es in einer neuen Krise erneut der Fall wäre.”Das Gefährliche an einem möglichen Austrocknen des Währungshandels wäre, dass die Märkte gerade in Krisenzeiten dringend Liquidität benötigen. Vor den Konsequenzen warnt Robert McAdie, Leiter für Research und Strategie bei BNP Paribas. “Wegen eines Mangels an Liquidität können empfindliche Marktbewegungen entstehen”, sagte er kürzlich laut der Nachrichtenagentur Bloomberg in New York. Extreme Preisschwankungen würden in Folge sinkender Handelsvolumina wahrscheinlicher werden. “Es gibt solche Volatilitätsspitzen im System, die es sehr schwer machen, Risiken zu managen, was zu ziemlich signifikanten Verzerrungen führen kann”, mahnte McAdie. “Wenn irgendetwas schiefgeht, werden wir eine Menge Leute sehen, die sich versuchen durch eine enge Tür zu quetschen.”Zweifel daran, dass es der Devisenmarkt im Krisenfall erneut weitgehend reibungslos funktionieren würde, lässt auch eine im April an der Universität St. Gallen veröffentlichte Studie von Professor Angelo Ranaldo und zweien seiner Mitarbeiter mit dem Titel “Understanding FX Liquidity” aufkommen. Sie haben 30 Währungspaare bis in die frühen 1990er-Jahre zurück untersucht, wobei an Stelle des Euro/Dollar-Wechselkurses vor 1999 der D-Mark/Dollar-Kurs verwendet wurde. “Devisenmarkt-Liquidität ist hauptsächlich durch Finanzierungsbeschränkungen und durch globale Risiko-Dynamiken beeinflusst”, stellt Ranaldo fest, der unter anderem auch für die Schweizer Nationalbank arbeitete. “Währungsmarktliquidität tendiert dazu zu sinken bei Volatilität und Illiquidität der globalen Aktien- und Anleihemärkte.” Dies bedeute, dass die Liquidität insbesondere in extremen Zeiten abnimmt, in denen Anleger entweder besonders risikofreudig sind oder in Qualität fliehen”, fasst der Ökonom zusammen. Steigende VolatilitätSeit vergangenem Sommer hat sich die Volatilität am Währungsmarkt, gemessen an einem von J.P. Morgan berechneten Index, nahezu verdoppelt. Als Hauptursache dafür macht Peter Kinsella, Devisenanalyst bei der Commerzbank in London, eine “divergierende Zentralbankpolitik” aus. “Die Zentralbanken sind immer weniger berechenbar. Der Grund dafür ist, dass sie den Markt überraschen müssen, um im Umfeld kompetitiver Abwertungen einen signifikanten Effekt erzielen zu können.”Neben der Volatilität gilt die Differenz zwischen An- und Verkaufskurs als Indikator für Liquidität. Je höher dieser Bid-Ask-Spread ist, als desto geringer wird die Marktliquidität eingeschätzt und desto teurer ist Liquidität. Daten von Thomson Reuters für den Euro/Dollar-Kurs legen nahe, dass im weltweit wichtigsten Währungspaar in den vergangenen Monaten die Liquidität gesunken ist. Den Daten zufolge schwankte der Spread seit Juni vergangenen Jahres – auf Basis täglicher Schlusskurse gerechnet – zwischen 0,0001 und 0,0005 US-Cent je Dollar. Über den Wert von 0,0005 US-Cent stieg der Spread im betrachteten Zeitraum nie an, doch zuletzt häuften sich die Tage, an denen der Höchstwert erreicht wurde. Von Juni bis Dezember 2014 lag der Spread an ein bis drei Tagen pro Monat bei dem Höchstwert. Im Januar und Februar waren es hingegen jeweils acht, im März vier und im April dann sogar neun Handelstage. Gleichzeitig wurden seit Jahresbeginn Euro/Dollar immer häufiger auch mit Spreads von 0,0003 und 0,0004 US-Cent gehandelt, während die Handelstage mit niedrigem Spread weniger wurden. Der starke Spreadanstieg ging offenbar einher mit der Ankündigung großvolumiger Anleihekäufe seitens der Europäischen Zentralbank (EZB).Während bei großen Währungspaaren wie Euro/Dollar oder Dollar/Yen nach Einschätzung von Marktteilnehmern sich kein Liquiditätsproblem darstellt, sieht dies bei kleineren Industrieländer- sowie Schwellenländer-Währungen anders aus. “Manche G 10-Währungen verhalten sich inzwischen teilweise wie Schwellenländerwährungen”, hat Achnitz beobachtet. G 10 sind die im globalen Devisenhandel zehn wichtigsten Währungen. Schwellenländerwährungen reagieren oft mit Kursverlusten auf steigende globale Risikoaversion. Nach Beobachtung der BIZ, so ist aus deren eigenem Handel zu hören, hat sich die Liquiditätssituation von Schwellenländer-Währungen deutlich verschlechtert.Für die angespanntere Liquiditätslage am Devisenmarkt machen Marktteilnehmer und akademische Beobachter des Geschehens drei Hauptursachen aus: das Umfeld einer strengeren Regulierung, eine stärkere Fragmentierung des Handels und gleichzeitig den wachsenden Einfluss von Hochgeschwindigkeitshandel. Handel zersplittertAnders als am Bondmarkt mit seinen verschärften Eigenkapitalregeln zeigt sich die strengere Regulierung am Devisenmarkt vor allem an den Einschränkungen beim Eigenhandel der Banken, dem Prop-Trading. Hier wirken insbesondere die Beschränkungen durch die US-Gesetzgebung (Dodd-Frank Act). “Die Investmentbanken stellen nicht mehr in dem Ausmaß wie früher dem Markt Liquidität zur Verfügung, unter anderem wegen der Regulierung”, beobachtet Kinsella. Marktteilnehmer berichten zudem davon, dass viele Händler mit deutlich kleineren Risikobudgets arbeiten müssen.Zudem konzentriert sich immer mehr des Handels bei wenigen Adressen, zumal kleinere Häuser auch wegen der hohen Investitions- und Regulierungskosten aus dem Markt ausscheiden. Bei Euro/Dollar entfallen am wichtigsten Devisen-Handelsplatz London rund zwei Drittel des Geschäftes auf sechs der 30 größten Broker, so Daten der Bank of England vom vergangenen Oktober. Bei anderen Währungspaaren ist die Konzentration noch ausgeprägter. Die sechs größten Broker wickeln in London 75 % des Dollar/Yen- und 77 % des Euro/Yen-Handels ab, so die britische Notenbank. Ähnlich hoch konzentriert ist auch das Geschäft bei Euro/Franken. Konzentriert sich der Handel jedoch in weniger Händen, so dürfte die dem Markt bereitgestellte Liquidität insgesamt sinken. Nebenbei steigt auch noch das systemische Risiko an, da der Ausfall eines Brokers in einem Markt mit wenigen Akteuren weitaus gravierender wäre als in einem Markt mit vielen Teilnehmern. Dieser Effekt sinkender Liquidität verstärkt sich noch, da die vorhandene Liquidität auf immer mehr Plattformen fließt. Professor Dagfinn Rime von der Norwegian Business School in Oslo und einer der beiden Autoren der 2013er-Studie der BIZ zum Devisenmarkt spricht von einer wachsenden Fragmentierung des Marktes. “Das kann zu geringerer Liquidität führen”, betont der Ökonom.Zwar kann der Marktführer EBS Händlern zufolge bei großen Währungen noch immer rund die Hälfte des Geschäftes auf sich vereinen, doch das ist weniger als die einstigen 70 bis 80 %. Doch immer mehr Marktanteile entfallen auf Multi-Dealer-Plattformen wie CMI oder FXall oder bankeigene Plattformen wie “Autobahn” der Deutschen Bank. “Auf den ersten Blick scheint die Liquidität auf dem Devisenmarkt gut zu sei”, sagt Rime. “Doch es scheint wegen der Vielzahl von Plattformen mehr Liquidität zu existieren, als es wirklich gibt.” Als Grund für diese “Scheinliquidität”, von der auch andere Marktteilnehmer sprechen, nennt Rime das Verhalten von Banken, die bei verschiedenen Plattformen gleichzeitig Kurse abfragten und damit mehr Liquidität vorgeben, als sie tatsächlich bereitstellen. “Die Existenz all dieser Plattformen führt dazu, dass es in Stresssituationen zu einer plötzlichen Verknappung kommen kann”, warnt Rime.Skeptisch ist der Ökonom, der auch für die norwegische Zentralbank arbeitet, im Hinblick auf die Auswirkungen des Hochgeschwindigkeitshandels. “In der akademischen Welt geht man davon aus, dass Hochgeschwindigkeitshandel für eine bessere Liquidität sorgt, weil Kurse in hoher Frequenz gestellt werden und der Wettbewerb sich erhöht”, sagt Rime. “Allerdings funktionieren in turbulenten Phasen möglicherweise diejenigen Algorithmen nicht mehr, die für Liquidität sorgen, was Probleme hervorrufen kann.”