Schleichende Erosion des Dollars
Devisenwoche
Schleichende Erosion des Dollars
Von Martin Hochstein *)
Der seit mindestens 80 Jahren währende Status des US-Dollars als Weltleitwährung hat regelmäßig zu Spekulationen über einen bevorstehenden Regimewechsel geführt. Nicht ohne Grund beschwerte sich der frühere französische Präsident Giscard d’Estaing bereits in den 1960er Jahren über „das unerhörte Privileg, das die Amerikaner genießen“.
Gegenwärtig erfährt das Thema der Entdollarisierung eine Renaissance in Medien und an den Finanzmärkten. Für eine realistische Einschätzung müssen zunächst die Gründe für die dominante Stellung des Dollars geklärt werden. Ähnlich wie bei den Reservewährungen vergangener Jahrhunderte – Britisches Pfund, Holländischer Gulden, Spanischer Real – basiert dessen Vormachtstellung auf einer Mischung aus ökonomischen und nicht-ökonomischen Faktoren. Dazu zählen die herausragende wirtschaftliche und finanzielle Stellung der USA, ihre technologische und militärische Führerschaft, die Existenz umfassender Handels- und Finanznetzwerke sowie die Garantie von Rechtsstaatlichkeit und innenpolitischer Stabilität. Kurz: Das Privileg der globalen Leitwährung folgte häufig dem Status als führende Supermacht und blieb dabei zumeist noch für Jahrzehnte nach Überschreiten des politischen Zenits bestehen.
Angesichts der politischen, fiskalischen und sozialen Erosionstendenzen in den USA stellen sich zwei miteinander verbundene Fragen: Inwieweit ist die Phase des geopolitischen Machtverlusts bereits vorangeschritten, während die Währungsdominanz vorerst Bestand hat? Und wie hoch ist das Risiko eines nachfolgenden, strukturellen Verfalls des Dollars?
Eine fundierte Antwort berücksichtigt sechs Aspekte: Erstens, Übergang zu einer multipolaren Weltordnung. Der Aufstieg Chinas und das sich abzeichnende Ende der US-Hegemonie haben zu tektonischen Verschiebungen innerhalb der globalen Sicherheits- und Wirtschaftsarchitektur geführt. Historisch ging die Herausforderung und Verdrängung einer etablierten durch eine aufkommende Supermacht regelmäßig mit einem erhöhten – auch militärischen – Konfliktpotenzial einher. Der amerikanische Politikwissenschaftler Graham Allison hat dieses Phänomen als „Thukydides“-Falle bezeichnet. Zweitens, geoökonomische Fragmentierung. Die aus dem Ende der unipolaren Welt resultierende Blockbildung, verstärkt durch den Konflikt in der Ukraine, wird vielerorts durch Maßnahmen flankiert, die eine Schwächung der weltwirtschaftlichen Integration bewusst in Kauf nehmen. Die Neuausrichtung von Lieferketten, Kapitalströmen und Direktinvestitionen folgt nicht länger vornehmlich wirtschaftlichen Regeln, sondern wird zunehmend von geostrategischen Überlegungen und Zielen überlagert. Dies trägt zu einer schrittweisen Aushöhlung der internationalen Wirtschaftsordnung und der internationalen Währungsordnung bei.
Drittens, US-innenpolitische Dysfunktionalität und verstärkte Instrumentalisierung des Dollars. Belastet durch Populismus, gesellschaftliche Polarisierung und wachsende Einkommens-/Vermögensungleichheit zeigt das politische System in den USA zunehmend Risse. Gleichzeitig wird der Dollar als Instrument zur Durchsetzung internationaler Sanktionen eingesetzt. Maßnahmen wie das Einfrieren russischer Dollarreserven mögen aus politischen Gründen geboten sein, untergraben allerdings den Status als Reservewährung. Viertens, Initiativen zur Entdollarisierung. Unter der Führung Chinas haben immer mehr Schwellen-, aber auch Industrieländer Schritte zur Substitution des Dollars in Handels- und Finanztransaktionen unternommen. Dabei steht insbesondere der Rohstoff- und Energiesektor im Fokus – Stichwort Petro-Yuan.
Fünftens, fundamentale Rahmenbedingungen. Die Vormachtstellung des Greenback könnte durch eine strukturell schwächere ökonomische, fiskalische und monetäre Entwicklung der US-Wirtschaft untergraben werden.
Umfassende Umwälzung
Und sechstens schließlich, technologische Innovationen. Die Einführung digitaler Zentralbankwährungen und die Weiterentwicklung privater Kryptowährungen könnten zu umfassenden Umwälzungen führen, deren Verlauf und Ausmaß derzeit nicht abschließend eingeschätzt werden können.
Alles in allem haben somit strukturelle Belastungsfaktoren zugenommen. Gleichwohl bleibt eine Ablösung des Dollars als Weltleitwährung auf absehbare Zeit unwahrscheinlich. Trotz eines graduellen Rückgangs in den letzten Jahren ist er weiterhin die mit Abstand wichtigste Reserve-, Transaktions-, Finanzierungs- und Anlagewährung. Potenziellen Herausforderern mangelt es etwa an ausreichendem Marktvolumen und -liquidität oder – wie im Falle Chinas – an wichtigen institutionellen Voraussetzungen wie vollständige Konvertibilität und freier Kapitalverkehr. Einen abrupten Bedeutungsverlust des Dollars wird es somit nicht geben, vielmehr dürfte dies als langfristiger, schleichender Prozess ablaufen.
Damit verbundene negative Auswirkungen für die USA sind nicht zuletzt mit Blick auf die Finanzierung des strukturellen Leistungsbilanzdefizits offensichtlich. Aber auch international sind per Saldo negative Konsequenzen möglich. Eine stabile globale Reservewährung bildet zusammen mit einem verlässlichen und effizienten Zahlungssystem, einem globalen finanziellen Sicherheitsnetz zur Minderung systemischer Risiken und einer funktionierenden globalen Handelsordnung das Rückgrat der internationalen Wirtschafts- und Finanzarchitektur. Die Schwächung dieser Säulen – wie aktuell zu beobachten – lastet auf dem Wachstumspotenzial der Weltwirtschaft und erhöht die Stabilitätsrisiken.