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Schwellenländer vor Herausforderungen

Von Mauro Toldo *) Börsen-Zeitung, 19.3.2020 Schwellenländeremittenten sind in den vergangenen Wochen von einer Reihe dramatischer Schocks erfasst worden. Der erste kam durch die Ausbreitung des Coronavirus in China Ende Januar. Damals lagen die...

Schwellenländer vor Herausforderungen

Von Mauro Toldo *)Schwellenländeremittenten sind in den vergangenen Wochen von einer Reihe dramatischer Schocks erfasst worden. Der erste kam durch die Ausbreitung des Coronavirus in China Ende Januar. Damals lagen die Spreads für Schwellenländeranleihen anhand des von J.P. Morgan berechneten Index Embig noch unterhalb der Marke von 300 Basispunkten (BP), dem niedrigsten Wert seit Anfang 2018. Diese niedrigen Spreads deuteten darauf hin, dass sich die Verunsicherung der Märkte durch die Ausbreitung des Virus noch in Grenzen hielt. Was später folgte, glich jedoch einer Lawine. Von einer Provinz aus verbreitete sich der Erreger in ganz China. Die Regierung ergriff drastische Maßnahmen zur Einschränkung des gesamten öffentlichen Lebens. So kam die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt Ende Januar zum Stillstand. Neben der geringen Nachfrage nach Rohstoffen, die wichtige Rohstoffexporteure traf, fraß sich die Einschränkung der Produktion ab Ende Januar in die regionalen und globalen Wertschöpfungsketten und traf vor allem Länder in Asien und Europa. Reisebeschränkungen aus China trafen wichtige Touristenziele. Globaler SchockDie nächste Stufe folgte mit der Ausbreitung zur Pandemie: Sie führte zu einem globalen Schock, dessen Ausmaß noch nicht vollständig abzuschätzen ist. Immer mehr Länder sind betroffen. Neben Europa und Nordamerika, die einen großen Teil der globalen Wirtschaft ausmachen, trifft das Coronavirus zunehmend Länder aus dem Schwellenländeruniversum. Dies führt zu einer verstärkten Verunsicherung und zu Kapitalabflüssen aus den Schwellenländern. Die Emission neuer Anleihen auf dem internationalen Kapitalmarkt ist für sie gegenwärtig nicht möglich, was die Finanzierungslage dieser Länder zusätzlich verschlechtert. Die Verunsicherung wird durch den Preiskampf zwischen den zwei Ölkolossen Russland und Saudi-Arabien noch vertieft, denn hierdurch kommen einige Ölproduzenten in die Bredouille.Diese multiplen Schocks haben zu einer deutlichen Ausweitung der Schwellenländer-Spreads auf Niveaus geführt, wie sie seit der globalen Finanzkrise nicht gesehen wurden. Ende vergangener Woche lagen die Spreads bei fast 590 BP. Besonders ausgeprägt ist die Spread-Ausweitung beim Teilindex der Anleihen mit einer geringeren Bonität (High Yield). Hier hat sich der Spread von 480 BP Mitte Januar auf zuletzt fast 1 000 BP ausgeweitet. Hingegen ist die Ausweitung der Spreads der Schwellenländeranleihen im Investment-Grade-Bereich von rund 150 BP Mitte Januar auf zuletzt rund 315 BP relativ verhalten ausgefallen – insbesondere wenn man bedenkt, welche Bewegungen die internationalen Kapitalmärkte in dieser Zeit erlebt haben. Der Ausblick ist von hoher Unsicherheit geprägt, denn die verschiedenen Schocks sind noch nicht ausgestanden. Weitere Verschärfung Der Nachfrageschock durch den Coronavirus, der ganz am Anfang der Kette der multiplen Schocks steht, dürfte sich in den nächsten Wochen verschärfen. Es kommen immer mehr Länder dazu, in denen sich der Virus ausbreitet. Dementsprechend gibt es auch immer mehr Länder, die Einschränkungen des Wirtschaftslebens bekannt geben. Zwar gibt es bereits eine Lockerung der Maßnahmen in China, womit sich die Nachfrage aus dem Reich der Mitte erholen sollte. Diese Erholung verläuft aber bisher zäh, so dass auch hier der Weg zur Normalisierung noch einige Monate in Anspruch nehmen dürfte. Verfall der PreiseWährenddessen verschärft sich die Lage in Europa und in den USA, so dass die globale Nachfrage noch weiter schrumpfen dürfte. Dies wirkt sich auch negativ auf Länder aus, die nicht direkt von der Pandemie betroffen sind, besonders Länder mit einer starken Exportabhängigkeit. Rohstoffexporteure sehen sich gleichzeitig einem Rückgang der Absatzmengen und einem Verfall der Preise gegenüber, der auf dem Ölmarkt durch den Preiskampf zwischen Russland und Saudi-Arabien verschärft wird. Besonders schwer getroffen von den sinkenden Öleinnahmen sind bonitätsschwache Ölexporteure aus Afrika wie Angola, Ghana oder Gabun sowie das lateinamerikanische Ecuador. In etwas geringerem Maß leidet auch Kolumbien. Deviseneinnahmen fehlenEinigen Ländern fehlen Deviseneinnahmen, um Importe oder den externen Schuldendienst zu finanzieren. Bei anderen reißt die Entwicklung eher ein Loch in den Haushalt, wie etwa in Mexiko, das zwar nur wenig Öl exportiert, aber einen nicht unerheblichen Teil des Budgets aus dem Verkauf von Kraftstoffen erwirtschaftet. Andere Länder profitieren dagegen vom Rückgang der Ölpreise, wie etwa die meisten asiatischen Länder, die Türkei oder Südafrika.Nicht nur Warenexporte leiden unter der aktuellen Krise, ebenfalls betroffen sind Dienstleistungen, wie etwa der Tourismus. Reisebeschränkungen aus den betroffenen Ländern oder in einzelne betroffene Länder treffen Urlaubsziele besonders stark. So wird in Kroatien etwa ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts durch die Reisebranche erwirtschaftet. Auch für Thailand und die Philippinen ist es mehr als ein Fünftel der Wirtschaftsleistung. Besonders problematisch für diese Länder ist, dass die Verluste in der Reisebranche nur schwer aufgeholt werden können. Zaghafte NormalisierungTrotz der zaghaften Normalisierung in China dürften die Verzerrungen in der globalen Wertschöpfungskette aufgrund der sich ausbreitenden Pandemie noch weiter zunehmen. Erst im zweiten Halbjahr dürfte die globale Wirtschaft den Weg aus der Rezession finden, aber dieser Ausblick ist mit einer großen Unsicherheit behaftet.Die Unsicherheit hält die Kapitalmärkte weiterhin in ihrem Bann. Ein starker Anstieg der Risikoaversion hat bereits in den vergangenen Wochen zu einem Abzug von Kapital aus den Schwellenländern geführt, als sich die Investoren auf die Suche nach sicheren Häfen gemacht haben. Währungen aus den Schwellenländer kamen ebenfalls unter Druck. Die global wichtigsten Zentralbanken haben in den vergangenen Tagen mit weiteren Liquiditätsspritzen reagiert. Trotzdem hält die Verunsicherung an. Begrenzter SpielraumDas schränkt die Reaktionsfähigkeit der Währungshüter aus den Emerging Markets ein. Zwar ist damit zu rechnen, dass viele von ihnen noch die Leitzinsen senken werden, aber der Spielraum ist begrenzt. Auch der Zugang zur Finanzierung wird zunächst sehr begrenzt bleiben. Dies stellt vor allem Länder mit einer schwächeren Bonität und einen hohen Finanzierungsbedarf vor große Herausforderungen. Ein Ende der Verwerfungen ist noch nicht in Sicht. Erst wenn das Ende der globalen Pandemie absehbar ist, wird eine Normalisierung der Märkte möglich sein. *) Mauro Toldo ist Leiter Emerging Markets/Länderrisikoanalyse im Makro-Research der DekaBank.