Schwellenländeranleihen: Reif fürs Stock Picking
Für Anleihen aus Schwellenländern (Emerging Markets, kurz EM) war es ein turbulenter Monat. Als die Zinsen in den USA die Marke von 3 % erreichten, horchten Anleger auf. Anschließend rückte Lateinamerika in den Fokus, denn Argentinien bat den Internationalen Währungsfonds (IWF) um finanziellen Beistand. Aber damit nicht genug, denn auch die politische Krise in Italien ging an EM-Anleihen nicht spurlos vorüber.Mitte April rentierten zehnjährige US-Staatsanleihen erstmals seit vier Jahren wieder bei 3 %. Ein Niveau, das sie weder im Oktober 2017, als sie in der Spitze bei 2,45 % lagen, noch im Februar mit 2,95 % erreicht hatten. In beiden Fällen war die Korrektur nur von kurzer Dauer. Aber mit Erreichen der Marke von 3 % verloren EM-Anleihen deutlich an Boden. Offenbar hatte vor allem die runde Zahl Anleger aufgeschreckt. Der davon ausgelöste Ausverkauf bei Schwellenländeranleihen war nur halb so groß wie anlässlich des Wahlsiegs von Donald Trump. Dessen Wahl zum US-Präsidenten war allerdings ein Ereignis mit weitreichenden Folgen. Der Renditeanstieg zehnjähriger US-Treasuries auf eine runde Zahl markierte dagegen lediglich das Erreichen einer wichtigen Marke und lieferte einen Vorwand für Schlagzeilen (vgl. Grafik). Zinsschritte eingepreistUnterdessen werden am Markt bereits mehrere Zinserhöhungen der US-Notenbank (Fed) eingepreist. Um hier einen Wandel zu bewirken, müsste der Konsens seine Meinung schon merklich ändern und glauben, dass die Fed der Kurve weit hinterherhinkt. In dieser (Spät-[?])Phase des Zyklus hat sich die US-Treasury-Kurve erheblich abgeflacht. Einige Investoren sind daher überzeugt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen steigenden Zinsen am langen Ende und sich weitenden EM-Spreads gibt, da sich Anleger aus Schwellenländern zurückziehen, um ihr Vermögen an ihren Heimatmärkten zu den dort nun wieder höheren Renditen anzulegen. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen jedoch, dass dies nicht unbedingt der Fall ist. Höhere risikolose Zinssätze bedeuten in der Regel engere Spreads bei EM-Staatsanleihen. Mit anderen Worten: Wenn die risikofreien Sätze nach oben gehen, steigen die Renditen in Schwellenländern nicht im gleichen Umfang. Schwellenländeranleihen tendieren also zu einer Outperformance gegenüber risikofreien Anlagen. Was ist mit Argentinien?Argentinien halten wir aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive für einen Emittenten, dessen Kreditwürdigkeit sich grundsätzlich auf dem Weg der Besserung befindet. Im letzten Jahr stufte S & P Global das Rating des lateinamerikanischen Landes zweimal herauf. In den vergangenen 18 Monaten hat die reformorientierte Regierung unter Mauricio Macri trotz des Widerstands der Gewerkschaften Fortschritte bei der Arbeitsreform erzielt, wenn auch nur langsam. Steuerreformen wurden durchgeführt und Kapitalmarktreformen sind in Vorbereitung. Zudem werden Exporthemmnisse abgebaut, die Bedingungen für ausländische Direktinvestitionen verbessert und die Bau-/Infrastrukturinvestitionen schreiten voran.Die argentinische Zentralbank hat ihren Willen, den argentinischen Peso zu verteidigen, mit Zinserhöhungen auf 40 % unter Beweis gestellt, was Leerverkäufer abschrecken dürfte. Auch die Entscheidung, den IWF um Hilfe zu bitten, war ein notwendiger und nicht zuletzt mutiger Schritt. Denn bei den Argentiniern ist der Internationale Währungsfonds nicht eben beliebt. Auslöser des jüngsten Ausverkaufs waren aus unserer Sicht wohl vor allem technische Faktoren in Argentinien im Besonderen und weniger schlechte Fundamentaldaten in Lateinamerika im Allgemeinen. Italien spielt hineinDie politische Krise in Italien hat Anleihen aus der Peripherie und aus Schwellenländern erfasst. Theoretisch sollte der Abstand gegenüber den risikolosen Zinssätzen davon unberührt bleiben. Aber in der Praxis sieht das mitunter anders aus. Häufig werden Anleihen aus Schwellenländern unabhängig von risikolosen Zinsen gehandelt. Aus unserer Sicht haben die Ereignisse in Italien Spuren bei EM-Anleihen hinterlassen, denn Euro-basierte Anleger gingen in Deckung und dürften sich nun höher verzinsten und nicht so weit entfernten Alternativen zuwenden. Tatsächlich muten die aktuellen Ereignisse sehr nach einer Wiederholung von 2011 an, als Anleger den Euro auf eine harte Probe stellten. Diese Art von Ereignissen bietet eine Fülle von Anlagemöglichkeiten. Aber dies ist kein Markt für kurzfristige Handelswetten, denn der richtige Zeitpunkt ist wie immer schwer zu bestimmen. Für langfristig orientierte, antizyklische Anleger sind das jedoch ideale Rahmenbedingungen, die für ein Bond Picking wie geschaffen sind.Bei Angst neigen Anleger dazu, das Negative zu übertreiben und das Positive herunterzuspielen. Genau das passiert gerade. Ängste vor steigenden US-Zinsen und Währungsschwankungen beeinflussen die Stimmung, verändern aber die Fundamentaldaten nicht. Tatsächlich erscheinen alle drei Säulen, nämlich Fundamentaldaten, technische Faktoren und Bewertungen, intakt. Richtiger ZeitpunktAus unserer Sicht ist deshalb jetzt der richtige Zeitpunkt für langfristig orientierte Anleger, sich am Markt zu engagieren oder zumindest investiert zu bleiben und nicht zu kapitulieren.—-Luc D’hooge, Head of Emerging Markets Debt, Vontobel Asset Management