Schwerpunkt auf Nachzügler
Gastbeitrag: Anlagethema im Brennpunkt (299)
Schwerpunkt auf Nachzügler setzen
Die Kursgewinne an den Aktienmärkten konzentrierten sich seit Jahresbeginn auf wenige Bereiche und Unternehmen. Ein Fokus auf Marktsegmente mit attraktiveren Bewertungen und Aufholpotenzial kann jetzt Sinn machen.
Die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft gegenüber der aggressivsten Federal-Reserve-Zinserhöhungskampagne seit 40 Jahren und den Bankenturbulenzen im Frühjahr hat dieses Jahr viele überrascht. Derweil blieb die Erholung der chinesischen Wirtschaft nach der Öffnung um die Jahreswende bislang hinter den Erwartungen zurück. Die Führung in Peking scheint bislang zu zögern, der Binnenwirtschaft mit der sprichwörtlichen "Bazooka" auf die Sprünge zu helfen, und setzt stattdessen auf graduellere, schrittweise Maßnahmen, um ihr Wachstumsziel von rund 5% im laufenden Jahr zu erreichen.
So paradox es vielleicht klingt: Dies mag durchaus der Weltwirtschaft zugutekommen. Denn eine etwas schwächer laufende chinesische Wirtschaft kann durchaus helfen, den globalen Inflationsdruck abzubauen. Und zuletzt war die US-Wirtschaft derart standhaft, dass die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in naher Zukunft abgenommen hat. Zusätzlich scheint mit der jüngsten Berichtssaison der Talboden im Gewinnzyklus durchschritten. Auch wenn es im September wie üblich zu größeren Schwankungen kommen könnte, hat sich der Ausblick für Aktien verbessert.
Damit einher geht die Frage, wo Aktienengagements aufgebaut werden sollen. Wir bei UBS Global Wealth Management sehen insbesondere Chancen in Bereichen mit attraktiveren Bewertungen und Aufholpotenzial. Regional heißt dies vor allem bei Schwellenländern. Eine immer vorsichtigere Anlegerstimmung und -positionierung sowie attraktivere Bewertungen gepaart mit einer Verbesserung der Gewinndynamik, einem schwächeren US-Dollar und höheren Rohstoffpreisen sollten Schwellenländeraktien in naher Zukunft unterstützen.
In der Eurozone scheinen Aktien kleiner und mittelgroßer Unternehmen bereits einiges an schlechten Nachrichten einzupreisen. Und in den USA, wo einige Technologietitel die Rally im nach Marktkapitalisierung gewichteten S&P 500 seit Jahresbeginn dominiert haben, könnten Anleger sein gleichgewichtetes Pendant (in dem jedes Unternehmen mit rund 0,20% gewichtet ist) berücksichtigen. Die Gewichtung in Technologietiteln wird hier halbiert und in Industrietiteln fast verdoppelt. Der gleichgewichtete Index handelt zudem mit einem Bewertungsabschlag gegenüber dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre (während der nach Marktkapitalisierung gewichtete Index mit einer Prämie handelt). Basierend auf den Unternehmensrückmeldungen und den verbesserten Gewinnaussichten erscheint dieser Abschlag nicht gerechtfertigt.
Auf Sektorebene gilt es, weiterhin eine Balance zu finden. So könnten sich im Falle einer stärker als erwarteten Wachstumsverlangsamung Basiskonsumgüter und Versorger besser entwickeln. Auf der etwas zyklischeren Seite sehen wir Chancen bei Industrietiteln und dem globalen Energiesektor. Unserer Meinung nach sollte der Industriesektor zunehmend nicht als rein zyklischer, sondern als langfristiger Wachstumssektor gesehen werden. Staatliche Anreize rund um die Energiewende, Dekarbonisierung und verbesserte Energieeffizienz − die durch geopolitische und demografische Entwicklungen verstärkte Nachfrage nach Automatisierung sowie höhere Investitionen in den Bergbau und die Öl- und Gasindustrie nach Jahren der Unterinvestitionen gehören zu den Gründen hierfür.
Unsere positive Sicht auf den globalen Energiesektor hat mit unserer Erwartung zu tun, dass der Erdölpreis weiter ansteigen dürfte. Die weltweite Erdölnachfrage erklimmt in diesem Sommer neue Rekordwerte und überschreitet nun zum ersten Mal die Schwelle von 103 Millionen Barrel pro Tag. Gleichzeitig zeigen sich auf der Angebotsseite aufgrund der von Saudi-Arabien und Russland verlängerten Produktionsbeschränkungen verstärkt Anzeichen von Knappheit. Zudem sehen wir in asiatischen Ländern sinkende Lagerbestände. Wir rechnen daher damit, dass der Preis pro Fass Brent-Erdöl bis Ende des Jahres auf 95 Dollar anziehen wird. Vor diesem Hintergrund dürften sich auch die Gewinne der Energieunternehmen deutlich positiv entwickeln. Vor allem für US-Energiekonzerne, die bis jetzt im laufenden Jahr zu den Nachzüglern gehörten, sehen wir gutes Aufholpotenzial.