MARKTCHANCEN 2020

Seitwärtsbewegung des Ölpreises zu erwarten

Im ersten Halbjahr droht Angebotsüberschuss auf dem Weltmarkt - Trotz Förderkürzungen der Opec - Geopolitische Risiken vorhanden

Seitwärtsbewegung des Ölpreises zu erwarten

Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtIm gerade beendeten Handelsjahr 2019 hat sich Rohöl deutlich verteuert, was den im Energiesektor engagierten Investoren erfreuliche Renditen einbrachte. Bei Brent Crude lag der Anstieg bei satten 23 %. Die führende US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) kam sogar auf eine Verteuerung von 33 %. Dies ist zu einem guten Teil der Opec zu verdanken. Das Kartell der Ölproduzentenländer hat über weite Strecken des Jahres Disziplin gewahrt und so den Ölpreis unter Kontrolle gehalten, obwohl die amerikanische Schieferölproduktion deutlich gestiegen ist.Was die Entwicklung des Ölpreises im neuen Jahr betrifft, gibt es eine Reihe von Faktoren, die den Ölmarkt beeinflussen. Auf der Nachfrageseite belastet die schwache Konjunktur. Beim Angebot spielt das Angebot außerhalb der Opec und ihrer Verbündeten eine wichtige Rolle, aber auch die Disziplin innerhalb des Kartells, sich an vereinbarte Kürzungen zu halten. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche strategische Interessen großer Player wie Saudi-Arabien und Russland, die ebenfalls den Ölpreis beeinflussen werden. Diese Einflussfaktoren auf den Ölpreis werden im Folgenden dargestellt. Weniger DisziplinWas die Disziplin der Opec-Mitglieder betrifft, hatte diese zuletzt deutlich nachgelassen, insbesondere von Seiten des Irak und Nigerias. Das Treffen der Ölminister der Opec und der mit ihnen befreundeten Produzentenländer unter Führung Russlands am 5. und 6. Dezember in Wien hat deutlich gemacht, dass die Bereitschaft der meisten Länder zu weiteren Konzessionen begrenzt ist. Die in Wien offiziell beschlossene Ausweitung der Kürzungen von 1,2 Mill. Barrel pro Tag (bpd) auf 1,7 Mill. bpd wäre keinesfalls ausreichend, um das drohende Überangebot im ersten Halbjahr 2020 zu beseitigen. Dieses Überangebot resultiert aus den größeren Mengen an US-Schieferöl, aber auch einer höheren Förderung außerhalb der Opec in Ländern wie Norwegen – und natürlich aus einer schwachen Nachfrage als Ergebnis der weltweiten Rezession in der verarbeitenden Industrie. Viele Beobachter merkten an, dass es sich de facto um eine äußerst geringe zusätzliche Kürzung handelt, weil die erweiterte “Opec plus” de facto vor den Beschlüssen in Wien bereits um 1,6 Mill. bpd reduziert hatte. So war nämlich Saudi-Arabien mit einer durchschnittlichen Ölproduktion im bisherigen Jahresverlauf von 9,8 Mill. bpd deutlich unter den dem Land zugestandenen offiziellen Opec-Quoten von 10,3 Mill. bpd geblieben. Außerdem blieben Angola, Aserbaidschan und Mexiko hinter den ihnen bewilligten Ölmengen zurück. Die saudische Opec-Delegation hatte in Wien hart gerungen, um weitergehende Kürzungen durchzusetzen. Saudi-Arabien ist dringend auf einen höheren Ölpreis angewiesen. Grund dafür ist das jüngst erfolgte Initial Public Offering (IPO) des staatlichen saudischen Ölkonzerns Aramco, dessen Erlös das Land und sein Machthaber Kronprinz Mohammed bin Salman dringend benötigen – zur Finanzierung des immer noch laufenden Jemen-Kriegs sowie für die überfällige Modernisierung der saudischen Wirtschaft. Bin Salman hatte für Aramco die exorbitant hohe Bewertung von 2 Bill. Dollar avisiert. Mit dem aktuellen Zuteilungspreis waren es dann zwar immer noch extrem hohe 1,7 Bill. Dollar, aber das Königshaus scheint damit nicht zufrieden zu sein. Kurz nach dem Börsengang erreichte das Unternehmen an der saudischen Börse dann auch diese Bewertung.Letztlich hat sich damit die Verhandlungsposition des Opec-Schwergewichts Saudi-Arabien als schwach erwiesen. Es war nämlich allen Beteiligten klar, dass Saudi-Arabien mehr als die anderen Länder auf einen stabilen und nach Möglichkeit weiter steigenden Ölpreis angewiesen ist. Das Land sah sich daher auch im Rahmen der Opec-Verhandlungen zu weitergehenden Konzessionen gezwungen. So legt Saudi-Arabien noch einmal weitere freiwillige Kürzungen um 400 000 bpd drauf. So soll es nun, wie es der saudische Ölminister in Wien nicht versäumte vorzurechnen, zu effektiven Kürzungen des Länderblocks um 2,1 Mill. bpd kommen.Allerdings gelten die offiziell beschlossenen Kürzungen von 1,7 Mill. bpd nur für drei Monate, nämlich bis Ende März. Über eine weitere Verlängerung soll dann offenbar erst am Ende des ersten Quartals entschieden werden. Damit besteht erhebliche Unsicherheit, was das Angebot der Opec im gesamten Jahresverlauf betrifft.Trotz einer zunächst positiven Preisreaktion auf die Opec-Beschlüsse sind viele Analysten skeptisch, dass diese ausreichen, um ein Überangebot im ersten Halbjahr zu vermeiden. So merkt Carsten Fritsch von der Commerzbank an, die zusätzlichen Kürzungen Saudi-Arabiens um 400 000 bpd würden sich auf das neu festgelegte Zielniveau von 10,15 Mill. bpd beziehen – tatsächlich hat Land aber zuletzt nur 9,8 Mill. bpd produziert. Somit liefe es auf eine tatsächliche zusätzliche Kürzung durch die Saudis um lediglich 100 000 bis 150 000 bpd hinaus.Die “Opec plus”, die nach Jahren der Zwietracht zuletzt einen überraschenden Zusammenhalt gezeigt hatte, bietet damit inzwischen wieder einmal ein wenig einheitliches Bild. Wie es scheint, brechen hier Interessenkonflikte auf. Auf der einen Seite steht Saudi-Arabien mit seiner anstehenden Modernisierung der Wirtschaft des Landes, die durch hohe Einnahmen aus den Ölexporten finanziert werden muss. Auf der anderen Seite ist Russland mit dem gegenwärtigen Preisniveau im Großen und Ganzen einverstanden und mehr daran interessiert, die eigene Produktion anzukurbeln. Dies lässt sich darauf zurückzuführen, dass Russland längst nicht mehr eine sich als Land ausgebende Tankstelle ist, wie US-Politiker noch vor wenigen Jahren behaupteten. Hohe Ölpreise würden der russischen Industrie und auch dem Konsum schaden, so dass der russische Präsident Wladimir Putin an einer ausgewogenen Preisgestaltung interessiert ist. Da der Einfluss Russlands auf die Opec nicht unterschätzt werden sollte, darf man davon ausgehen, dass ein deutlicher Preisanstieg des Energieträgers 2020 eher nicht auf der Tagesordnung steht.Es darf auch nicht übersehen werden, dass Russland nicht an einer übermäßigen Stärkung Saudi-Arabiens interessiert ist. Die beiden Länder sind, was die Geopolitik in der Golfregion betrifft, eher Kontrahenten – trotz eines gewissen bilateralen Schulterschlusses, der gelegentlich nach außen präsentiert wird. Während Saudi-Arabien eng mit Israel und den USA liiert ist und den wachsenden iranischen Einfluss in der Region zurückdrängen möchte, ist für Russland (und China) der Iran ein wichtiger Knotenpunkt auf der Neuen Seidenstraße, mit der die beiden Großmächte die eurasische Integration vorantreiben und den Einfluss der USA und ihrer Verbündeten zurückdrängen wollen.Zu berücksichtigen ist auch, dass eine noch weitere Reduzierung der Ölproduktion der “Opec plus” über den dann steigenden Ölpreis die amerikanische Schieferölindustrie auf den Plan rufen würde, die dann ihre Förderung noch stärker ausbaut. Im Endeffekt würde das bedeuten, dass sich die zu erzielenden Öleinnahmen weg von der “Opec plus” und hin zur amerikanischen Ölindustrie bewegen würden. Daran ist Moskau – aber auch Riad – keinesfalls interessiert. Somit läuft es beim Ölpreis voraussichtlich auf eine Seitwärtsbewegung hinaus. Am wahrscheinlichsten ist es, dass er sich seitwärts bewegt auf einem Niveau von Brent-Öl von 65 Dollar je Barrel. Konflikte am GolfAllerdings gibt es ganz erhebliche geopolitische Risiken, die dafür sorgen könnten, dass dieses Szenario eines in etwa gleichbleibenden Ölpreises nicht Realität wird. So ist es jederzeit möglich, dass sich die Konflikte am Persischen Golf wieder intensivieren, was den Ölpreis zeitweise oder eventuell auch für eine längere Zeit nach oben treiben könnte. Dazu könnte es beispielsweise kommen, wenn die USA den Druck auf den Iran wieder deutlich erhöhen und möglicherweise sogar zu militärischen Mitteln greifen. Damit ist insbesondere dann zu rechnen, wenn es in Washington den vom Hillary-Clinton-Flügel beherrschten Demokraten gelingen soll, Trump per Impeachment abzusetzen und einen aus der Demokratischen Partei stammenden Präsidenten (oder eine Präsidentin) zu installieren. Hillary Clinton als graue Eminenz der Demokraten hatte sich in der Nahost-Politik stets sehr viel aggressiver gezeigt als Trump. KriegsgefahrIm Fall eines US-Angriffs würde sich der Iran ohne Zweifel militärisch wehren, wozu er auch durchaus in der Lage wäre. Die Versenkung amerikanischer Kriegsschiffe im Persischen Golf oder die Beschlagnahmung von Öltankern oder gar der Beschuss amerikanischer Stützpunkte mithilfe ballistischer Raketen als Reaktion auf einen US-Vorstoß gegen das Land könnte dann einen größeren Krieg auslösen. In diesem Fall könnte der Ölpreis ohne weiteres ein Niveau von 200 Dollar je Barrel oder mehr erreichen.Alternativ könnte es zunehmende Instabilität in Saudi-Arabien geben. Wie die jemenitischen Angriffe auf saudi-arabische Ölinfrastruktur im gerade beendeten Jahr gezeigt haben, ist das Land dem von bin Salman begonnenen Jemen-Krieg nicht gewachsen. Da sich bin Salman bisher trotz Verhandlungen hinter den Kulissen nicht zu einem Rückzug und einem Friedensschluss durchringen kann, könnte es jederzeit neue Angriffe auf die saudische Ölinfrastruktur geben.Zudem darf nicht übersehen werden, dass der saudische Kronprinz als Machthaber im Land extrem unbeliebt ist, so dass es jederzeit zu einem Aufstand und in der Folge sogar zu einem Zerfall des Landes kommen könnte. So ist es in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass es in einigen Regionen des Landes mit vielen Ölquellen eine schiitische Bevölkerungsmehrheit gibt, die weniger Loyalität mit dem Königshaus, aber mehr mit dem Iran verspürt. Trotz aller Bemühungen, die Lage mit Mitteln des Polizeistaats unter Kontrolle zu halten, erscheint Saudi-Arabien zunehmend als ein Kartenhaus, dessen Zusammenbruch die politische Landschaft am Golf dramatisch verändern würde. Auch hier wäre ein starker Anstieg des Ölpreises für eine längere Zeit die Folge.Die Entwicklung des Ölpreises im neuen Jahr wird also nicht nur vom Spiel von Angebot und Nachfrage abhängen, sondern auch von den Aktionen einer ganzen Reihe von politischen Akteuren. Dabei haben sich insbesondere die US-Administration wie auch das saudische Königshaus in der jüngeren Vergangenheit als wenig strategisch und langfristig denkend erwiesen – was die Labilität erhöht. Eines ist die damit sicher: Langweilig wird die Situation am Ölmarkt auch 2020 nicht.