Devisen

Sichere Häfen in der Sinnkrise

Das bevorstehende Ende des Niedrigzinsumfelds dürfte zu einem Comeback der sicheren Häfen Yen und Schweizer Franken als günstige Finanzierungswährungen führen.

Sichere Häfen in der Sinnkrise

Von Dorothea Huttanus*)

Die weltweite Pandemie hat die Finanzmärkte auf den Kopf gestellt und uns von vielen vertrauten Gewohnheiten Abschied nehmen lassen. Bei den beiden Safe-Haven-Urgesteinen japanischer Yen und Schweizer Franken war jedoch schon lange vor Covid-19 ein Strukturbruch in vollem Gang, dessen Auswirkungen jetzt unübersehbar zutage treten. Der über Jahrzehnte hinweg zuverlässige Zusammenhang von Risikoaversion und Kursentwicklung von Yen und Franken hat erheblich nachgelassen – und das sowohl bei erhöhter Risikoaversion als auch bei Deeskalation der Krise.

Ginge es nach dem Lehrbuch, hätten die beiden sicheren Häfen mit der Eskalation der Pandemie zunächst massiv aufwerten und mit dem Startschuss zur Post-Corona-Party-Stimmung markant abwerten müssen. Oder etwas wissenschaftlicher ausgedrückt: Die Korrelation von Risikoaversion und Währung hätte positiv sein müssen. Auch wenn das Vorzeichen tendenziell gestimmt hat, ist von den deutlichen Kursausschlägen früherer Krisen keine Spur. Was ist aus der sonst üblichen Volatilität in Krisen ge­worden?

Dollar stiehlt die Show

Dass jeder Wechselkurs immer zwei Seiten hat, ist zu Recht eine unbeliebte Binsenweisheit. Doch beim Urteil über die Safe-Haven-Reaktionsfunktionen lohnt sich die Frage, wer die Gegenseite von Yen und Franken ist. Besonders der US-Dollar­ hat in den letzten Jahren seine Position als sicherer Hafen noch weiter ausgebaut. Das früher gewohnte RoRo-Verhalten von Dollar-Yen beziehungsweise Dollar-Schweizer Franken (Risk-on/Risk-off) wird dadurch ausgehebelt. Egal ob globale Krisen aufleben oder abklingen, beide Seiten des Wechselkurses­ weisen in die gleiche Richtung: Sie neutralisieren gegenseitig ihre Stärken (Krise) beziehungsweise Schwächen (Be­ruhigung). Die Omnipräsenz des Dollar suggeriert damit beim Blick auf Dollar-Yen und Dollar-Schweizer Franken eine ruhigere Marktlage, als es eigentlich objektiv der Fall ist.

Gestörte Signalwirkung

Als zuverlässiger Indikator für die Risikobereitschaft der globalen Investorenschar gilt traditionell die Performance der Aktienmärkte, mit entsprechenden Folgen für die Korrelation von Aktien und Safe-Haven-Währungen. Seit uns die Zentralbanken weltweit mit Liquidität überschütten, was nicht erst seit der Pandemie der Fall ist, geht es dort aber eben nicht mehr um Risk-on und Risk-off, sondern um die fast schon verzweifelte Suche nach Anlagemöglichkeiten. Das geldpolitische Rettungsnetz hat die früher so risikosensitiven Märkte in einen Teflon-Modus versetzt, an dem jeglicher potenzieller Störfaktor abperlt. Insofern ist nicht nur die Signalfunktion besagter Marktsegmente für Inflations- oder Wachstumserwartungen gestört, sondern auch ihre Leitfunktion für die Safe-Haven-Währungen. Das ist mehr als nur ärgerlich für Marktbeobachter, denen die Korrelationen für ihre Studien wegbrechen, es ist Symptom eines viel größeren Problems. Durch die Liquiditätsflut der letzten Jahre haben die Zentralbanken zwar die Märkte vor einer neuen Finanzkrise bewahrt, gleichzeitig aber auch das Bedürfnis nach Sicherheit gestillt, die viele Anleger sich früher von ihrer Flucht in Yen oder Franken versprochen haben.

Die globale Geldpolitik hat damit aber nicht nur die Rolle übernommen, die früher den sicheren (Währungs-)Häfen zukam, sie hat letztlich auch das Ende der traditionellen Carry Trades besiegelt. Den ausschlaggebenden Grund für das veränderte Verhalten von Yen und Franken sehen wir nämlich in deren Rolle als Finanzierungs- und gar nicht so sehr als Fluchtwährung. Über viele Jahrzehnte hinweg standen Yen und Franken sofort unter Aufwertungsdruck, sobald die Marktteilnehmer einen Anlass für erhöhte Nervosität sahen. Ob die winzige Schweiz oder das von Staatsschulden erdrückte Japan jemals wirklich objektiv Sicherheit bieten konnten, musste dabei nie ernsthaft hinterfragt werden. Die eigentliche Kettenreaktion lief über die krisenbedingte Auflösung riskanter Positionen am Aktienmarkt oder in hochverzinslichen Schwellenländern. Als klassischer Carry Trade wurden diese Engagements über Yen oder Franken finanziert; deren Auflösung hatte somit unmittelbar auch zur Glattstellung der Fremdwährungskredite geführt – und fertig war die Aufwertungsspirale.

Geld für lau auch anderswo

Nun hat das weltweite Niedrigzinsumfeld der letzten Jahre Japan und die Schweiz ihrer Alleinstellungsmerkmale beraubt. Wer eine günstige Finanzierung sucht, muss schon lange nicht mehr auf die Bank of Japan oder die Schweizer SNB setzen. Geld für lau und dies (dank Forward Guidance) auch noch für einen kalkulierbar sehr langen Horizont hatten längst auch EZB und Fed im Angebot. Das Volumen an kreditfinanzierten und riskanten Marktpositionen hat inzwischen schwindelerregende Höhen er­reicht; nur spielen Yen und Franken dabei eben keine zentrale Rolle mehr. Dies hat zum einen dazu geführt, dass beide Währungen kaum abgewertet haben, obwohl sich die globale Risikobeurteilung mit den Fortschritten in der Pandemiebekämpfung spürbar verbessert hat (keine Nachfrage nach Yen-Schweizer-Franken-Finanzierung). Zum anderen dürfte es auch perspektivisch ihr Aufwertungspotenzial begrenzen, sollte es zu einem Stimmungseinbruch oder sogar Ausverkauf an den Märkten kommen (keine Auflösung von Yen-/Schweizer-Franken-Finanzierungen).

Diese Überlegungen mögen für die Anhänger erhöhter Währungsvolatilität ernüchternd sein. Insbesondere sehen wir selbst nach Beilegung der Pandemie keinen nennenswerten Spielraum für eine Abwertung der beiden sicheren Häfen. Gleichzeitig gilt es jedoch auch, den übergeordneten, ultralangfristigen Horizont im Auge zu behalten. Das Niedrigzinsumfeld der letzten Jahre neigt sich langsam, aber unwiderruflich dem Ende zu. Ob die Fed noch in diesem Jahr oder doch erst Anfang 2022 zu tapern beginnt, ist dabei so unerheblich wie die Frage, ob die jüngste Rückkehr der EZB zu einem normalen Tempo bei ihren Anleihekäufen als Tapering bezeichnet werden kann oder nicht. Auf Sicht mehrerer Jahre dürfte die geldpolitische Normalisierung in beiden Währungsräumen unterwegs sein.

Comeback steht bevor

Investoren, die nicht nur aktuell niedrige Zinsen suchen, sondern zudem die Gewissheit, dass sie auch noch für Jahre niedrig bleiben werden, müssen ihren Blick dann wieder schweifen lassen – und werden schnell wieder bei Yen und Franken landen. Die Zentralbanken in Japan und (mit leichten Abstrichen) der Schweiz dürften auch Mitte des Jahrzehnts noch keine Anstalten machen, sich aus ihrer generösen Liquiditätsversorgung zurückzuziehen. Das wiederum würde Yen und Franken ein Comeback als Finanzierungswährung ermöglichen – mit entsprechenden Folgen für ihre Risikosensitivität.

*) Dorothea Huttanus ist Senior-Analystin Devisenmärkte der DZBank.