Siemens-Aktienkurs steigt auf Rekordniveau
Klappern gehört zum Handwerk. Insofern tut der Siemens-Vorstandsvorsitzende Roland Busch nur seine Pflicht, wenn er anlässlich einer Fabrikneubauankündigung in Singapur seine Kommunikationsstrategen mal zusammenzählen lässt, wie hoch die in diesem Jahr bekanntgegebenen Investitionen des Konzerns in neue Standorte und Innovationseinrichtungen sind. 2 Mrd. Euro kommen heraus, inklusive der Ausgaben der Tochter Siemens Healthineers. Dies sei mehr als doppelt so viel, wie Siemens in den vergangenen zwei Jahren investiert habe, rechnet der Konzernchef.
Geld oder Brief
Siemens-Aktienkurs steigt auf Rekordniveau
Von Michael Flämig, München
Mag sein. Offenbar ist dies aber keine außergewöhnliche Summe für Siemens. Die Investoren haben das Tamtam – Busch präsentierte die Rechnung auch in einer Video-Schaltung auf dem Karriere-Netzwerk LinkedIn – unaufgeregt zur Kenntnis genommen. Der Kurs der Siemens-Aktie stieg am Donnerstag leicht in einem minimal nachgebenden Gesamtmarkt.
Trotzdem ist die Botschaft, die von Singapur ausgeht, auch für Aktieninvestoren interessant. Sie lautet: Wir wollen das enorme Wachstumstempo beibehalten.
1,2 Mrd. Euro der geplanten 2-Mrd.-Sause sind bereits vergeben, teils an bereits seit langem bekannte Projekte. Unter anderem sind eingeplant: 200 Mill. Euro für eine neue Elektronik-Fabrik in Singapur, 140 Mill. Euro für den Ausbau einer Fabrik der Sparte Digital Industries in Chengdu, 220 Mill. Euro für eine Zugtechnik-Fabrik in den USA und 100 Mill. Euro für Standorte der Sparte Smart Infrastructure in Deutschland und Mexiko. Weitere 260 Mill. Euro lässt Siemens Healthineers in Deutschland und China springen. Die übrigen 800 Mill. Euro sollen zwischen USA und Europa aufgeteilt werden, die konkreten Projekte sind noch nicht veröffentlicht. Hinzu kommt wie bekannt das Aufstocken des F&E-Budgets ausgehend von 5,6 Mrd. Euro um 0,5 Mrd. Euro.
Die Zahlen mögen Augenpulver für Aktionäre sein, aber den Kern der Geschichte lässt sich einfach fassen. Busch formuliert es so: „Siemens wächst deutlich schneller als der Markt.“ Mittlerweile honorieren auch die Anleger diese Tatsache. Noch im vergangenen September schienen die Investoren ihr Hirn ausgeschaltet zu haben, obwohl der Erfolg schon sichtbar war. Im Geschäftsjahr 2021/2022 (30. September) sank der Siemens Aktienkurs um fast 30%, während Dax 40, Euro Stoxx 50 und S&P 500 um mindestens 8 Prozentpunkte besser abschnitten.
Im laufenden Geschäftsjahr bietet das Chart das umgekehrte Bild. Wer Siemens Anfang Oktober ins Depot genommen hat, der kann sich glücklich schätzen. Die Aktie hat ihren Kurs um mehr als 60% erhöht, während die Indizes bis zu 40 Prozentpunkte schlechter abschneiden. Der Dax hält sich mit einem Anstieg von deutlich mehr als 30% vergleichsweise gut. Damit nicht genug. Siemens distanziert auf dem Kurszettel auch alle unmittelbare Konkurrenz rund um den Globus. Die Rücklichter sehen Schneider, Rockwell, Emerson, Johnson Controls, PTC, ABB, Cadence, Dassault Systemes und Eaton. Nur die Alstom-Aktie, deren Kurs seit Anfang 2021 katastrophal gelaufen war und entsprechend Aufholbedarf hat, kann mithalten. Aber auch sie liegt nur gleichauf.
Im Frühjahr 2023 hat die Siemens-Aktie konsequenterweise auch ihren bisherigen Kursrekord pulverisiert. Am 5. Januar 2022 und damit wenige Woche vor dem Überfalls Russlands auf die Ukraine war mit 157,96 Euro der bis dato höchste Stand erreicht worden. Am 19. Mai 2023 schloss die Siemens-Aktie erstmals mit 159,78 Euro wieder höher. Der Kurs ging zwar anschließend leicht in die Knie, schwingt sich aber im laufenden Juni zu immer neuen Höhen auf. Der Schlussstand von 165,78 Euro am gestrigen Donnerstag ist erneut ein Rekordniveau.
Scharten ausgewetzt
Nun sind Höchststände per se keine Sensation, wenn zeitgleich die Indizes Rekorde einfahren. Siemens allerdings kann damit frühere Scharten auswetzen. Der Konzern hat mittlerweile einen Track Record operativer Performance vorgelegt, der das Vertrauen der Anleger nach der Neuaufstellung so weit stärkt, dass sie quasi blind investieren. Aktuell gibt es nahezu nur positive Überraschungen. Im vergangenen und laufenden Geschäftsjahr hat der Vorstand die Prognosen fast im Quartalstakt erhöht. Auch eine Abschreibung auf die Siemens-Energy-Beteiligung wurde teilweise wieder hereingeholt.
Die Analysten trauen dem Konzern noch weit mehr zu. Die Deutsche Bank setzt das Kursziel bei 185 Euro, Berenberg hat 170 Euro auf dem Zettel, und J.P.Morgan hält 188 Euro für angemessen. Die Analysten von Barclays, die seit der Aufnahme der Coverage an ihrer negativen Einschätzung festhalten und ein „Underweight“-Rating setzen, schleusen zwar ihr Kursziel kontinuierlich nach oben. Doch es steht trotzdem nur bei 130 Euro. Ob diese Einschätzung noch angemessen ist? Diese Frage stellt sich Barclays selbst im Research-Bericht vom Mai: „Is there still an Underweight case?“ Die Antwort wird nicht gegeben.
Die LBBW kommentiert dagegen, das Geschäftsmodell weise eine relativ solide Eigendynamik auf. Berenberg spricht von herausragenden Quartalszahlen, und J.P.Morgan stuft den Konzern als nachhaltiges Langfrist-Investment ein.