GELD ODER BRIEF

Siemens präsentiert sich in neuer Aufstellung

Von Michael Flämig, München Börsen-Zeitung, 30.10.2020 Anfang November präsentiert Siemens traditionell Jahreszahlen und Prognose - schließlich endet das Geschäftsjahr am 30. September. In diesem November jedoch gibt es eine Innovation: Der Konzern...

Siemens präsentiert sich in neuer Aufstellung

Von Michael Flämig, MünchenAnfang November präsentiert Siemens traditionell Jahreszahlen und Prognose – schließlich endet das Geschäftsjahr am 30. September. In diesem November jedoch gibt es eine Innovation: Der Konzern berichtet dem Kapitalmarkt an vier verschiedenen Tagen. Es legt nicht nur die Siemens AG (12. November) die Zahlen vor, sondern es informieren auch Siemens Healthineers (2. November) und Siemens Gamesa (5. November). Erstmals ist auch die seit Ende September börsennotierte Siemens Energy (10. November) dabei. Ebenfalls eine Premiere: Während sich die Berichterstattung in den vergangenen Jahren jeweils in einer Woche ballte, wird die Zahlenvorlage nun auf zwei Wochen verteilt.Aktionäre mögen meinen, sie könnten sich zurücklehnen und ausschließlich auf ihre Aktie einer Siemens-Gesellschaft konzentrieren. Schließlich ermöglicht die Zerlegung des Konzerns Investments nur in einen Windenergiehersteller (Gamesa), einen umfassend aufgestellten Energiekonzern (Energy), in einen Medizintechnikproduzenten (Healthineers) oder einen Spezialisten für vernetzte Industrieproduktion sowie Bahn- und Gebäudetechnik (Siemens AG). Blick auf “echtes” SiemensDoch ganz so einfach ist die Sache nicht. Das Quartett bleibt miteinander verbunden. Insofern ist für einen Anteilseigner von Siemens Energy wichtig, wie Gamesa abschneidet: 67 % des deutsch-spanischen Unternehmens, das an der Madrider Börse notiert ist, sind im Energy-Besitz. Wichtiger noch: Der Gamesa-Anteil stellt den Großteil der Energy-Marktkapitalisierung. Energy wiederum ist Teil der Siemens AG (Anteil 35 %), und die Ergebnisse von Siemens Healthineers fließen ebenfalls in den Abschluss der AG ein (Anteil 79 %).Der Rhythmus der Berichterstattung des Siemens-Quartetts folgt dieser Beteiligungslogik, indem die Siemens AG am Schluss steht – andernfalls würden je die Ergebnisse der drei anderen Unternehmen vorweggenommen. Die Kehrseite: Es wird ein wichtiger Teil der Ergebnisse der Siemens AG schon vor dem 12. November bekannt sein. Feinschmecker allerdings sollten beachten, dass eine direkte Übernahme des Zahlenwerks nicht funktioniert. Beispielsweise berichtete Siemens Healthineers im dritten Quartal eine unbereinigte Ebit-Marge von 12,4 %, die die Siemens AG dann als Ebita-Marge von 14,8 % präsentiert hat. Die Differenz erklären, anders als zu erwarten, nicht nur Kaufpreiseffekte, sondern auch nicht näher spezifizierte Unterschiede in der Rechnungslegung. Letztere addierten sich immerhin auf 26 Mill. Euro.In den Augen der breiten Öffentlichkeit wird die Siemens AG das “echte” Siemens sein. Sie bündelt den meisten Umsatz und die höchste Kapitalisierung. Vor allem aber billigen die Analysten dem Konzern gute Perspektiven zu. Er ist aus ihrer Sicht in einem Sektor positioniert, der von Megatrends wie dem Wachstum der Städte und der Digitalisierung profitiert.Als vorbildlich gilt den Analysten die Sparte Digital Industries. Mit der Vernetzung von Industrieproduktion erzielt Siemens nicht nur hohe Wachstumsraten, sondern sitzt auch im Zentrum des Umbaus der Fabrikation. Einige gezielte Käufe von Software-Spezialisten haben der Sparte ein digitales Rückgrat eingezogen, das die Software-Umsätze hebelt. Der Reiz: Die Erlöse sind hochprofitabel. Außerdem scheinen sie nicht so stark auf Konjunkturschwächen zu reagieren.Mit dem Kauf des Unternehmens Mentor, das jenen Experten in den Fabriken, die trotz ihres Fach-Know-hows keine Software-Expertise besitzen, eine Programmierung von Abläufen ermöglicht, hat Siemens einen weiteren Wachstumstreiber gefunden. Einziger Wermutstropfen der Sparte: Sie liefert so hohe Margen, dass die Analysten regelmäßig in Grübeln kommen, ob diese Gewinnspannen mittelfristig zu halten sein werden.Nachholpotenzial sehen Analysten in der Sparte Smart Infrastructure. Als intelligente Infrastruktur findet sich rund um die Gebäudetechnik ein Sammelsurium. Zuletzt wurde niedrig profitables Geschäft mit Energie-Lösungen hinzugefügt. Das Management hat zugesagt, die Zahl der Fabriken zu reduzieren. Außerdem wird geprüft, welche Zukunft Aktivitäten haben, die für ein Fünftel des Umsatzes stehen.Für die Siemens AG hat die Deutsche Bank ein Preisziel von 123 Euro gesetzt, aus Sicht von Morgan Stanley sind 120 Euro angemessen. Aktuell notiert die Aktie bei rund 100 Euro. Die Deutsche Bank streicht heraus, dass sie weniger Volatilität der Ergebnisse erwartet. Morgan Stanley wertet die Bahntechnik, die in früheren Zeiten hohe Kosten für fehlgeschlagene Projekte verbuchte, mittlerweile als sicheren Hafen für Siemens.Der Blick auf Siemens Healthineers wird geprägt vom geplanten Kauf des US-Krebsspezialisten Varian Medical Systems für 16,4 Mrd. Euro. Es ist die teuerste Akquisition in der Siemens-Geschichte. Aus Sicht des Kapitalmarktes interessant: Das Management sendet Signale, dass nach der vollzogenen Kapitalerhöhung nicht wie geplant eine zweite Erhöhung folgt, sondern die Verschuldung hochgefahren wird. Dies könnte den Gewinn pro Aktie stärker steigen lassen als bisher avisiert.Ansonsten sehen die Analysten zwei Gesichter: Die Sparte Bildgebende Systeme steht für hohe Margen und überraschend stark wachsendes Geschäft. Dagegen gelten die einst zugekauften Aktivitäten für Labordiagnostik als Sorgenkind. Die neue Plattform Atellica sorgt für hohe Anlaufkosten. Ins Bild passt, dass Siemens Healthineers nicht so stark wie vom Kapitalmarkt erhofft von den Covid-19-Tests zu profitieren scheint.Der Neuling Siemens Energy wird nun mit der harten geschäftlichen Realität konfrontiert. In den Analystenberichten taucht verstärkt der Hinweis auf, dass die Pandemie zur Projektverzögerungen geführt hat. Klar ist aber auch: Sollte die angestrebte Margenverbesserung mittelfristig gelingen, besteht die Chance auf eine hohe Wertsteigerung. Aktuell wird das Geschäft jenseits von Gamesa und der Beteiligung an Siemens Indien mit einem Siebtel des Umsatzes bewertet.