IM INTERVIEW: MICHAEL LEISTER UND MARCO STÖCKLE, COMMERZBANK

Signale für anhaltend niedrige Renditen in der Eurozone

Analysten: Fed setzt Straffungskurs 2016 fort - EZB bleibt dagegen ultralocker - M&A-bezogene Bond-Deals gewinnen bei Unternehmensanleihen an Bedeutung

Signale für anhaltend niedrige Renditen in der Eurozone

Die Zins- und Credit-Experten der Commerzbank gehen davon aus, dass die US-Notenbank ihren Zinsstraffungskurs in diesem Jahr fortsetzen wird. In der Eurozone sehen sie aufgrund der fortgesetzten ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) aber weiterhin ein intaktes Niedrigrenditeumfeld. Im Bereich der Unternehmensanleihen erwarten sie, dass das Thema der M & A-bezogenen Bond-Deals an Bedeutung gewinnen wird.- Herr Leister, die US-Notenbank Fed hat im Dezember vergangenen Jahres erstmals seit fast einer Dekade wieder den Leitzins angehoben. Wie geht es in Sachen US-Zinspolitik denn nun in den nächsten Monaten weiter?Die Fed wird an ihrem Kurs festhalten. Die Wirtschaft wächst im Trend, der Arbeitsmarkt entwickelt sich äußerst positiv, und die Finanzmärkte haben die erste Zinserhöhung problemlos weggesteckt. Gleichzeitig haben die Fed-Offiziellen verdeutlicht, dass sie die von China ausgehenden Risiken für die US Wirtschaft nicht als Hindernis ansehen. Einzig der schwache Inflationsausblick passt derzeit nicht ins Bild. Dies ist jedoch überwiegend dem Verfall der Ölpreise geschuldet, was die Kaufkraft weiter stützt. Ferner ist die Kerninflationsrate stabil, und die US-Wirtschaft hat ihre Überkapazitäten vollständig abgebaut. Insgesamt rechnen wir daher mit zwei weiteren Erhöhungen des Leitzinses bis zum Sommer und insgesamt drei Zinsschritten in 2016. Damit liegen wir zwar unter den Erwartungen der Fed, jedoch deutlich über denen der Märkte, die eine zweite Zinserhöhung nicht vor Sommer sehen.- Der Dollar hat aufgewertet, und die US-Unternehmen bekommen das auf der Exportseite zu spüren. Die US-Exporte sind im November auf den tiefsten Stand seit Juni 2011 gesunken. Wie wird dann der festere Dollar im zweiten Halbjahr auf die US-Zinspolitik wirken?Der feste Dollar ist in der Tat ein signifikantes Problem für die Fed. Die Leitzinserhöhungen werden den Dollar dieses Jahr weiter stärken. Um die US-Wirtschaft nicht zu stark zu belasten, wird dies die Fed unseres Erachtens zu einer Verschnaufpause in ihrem Zinserhöhungszyklus zwingen, wahrscheinlich im dritten Quartal. Letztlich ist die US-Wirtschaft jedoch robust genug, um einen stärkeren Dollar und auch höhere Leitzinsen zu verkraften, zumal sich der Dollar-Effekt gegen Jahresende bereits wieder abschwächen dürfte.- Was müsste passieren, damit die Fed ihren Zinserhöhungszyklus verlangsamt?Neben einer starken Aufwertung des Dollar könnte dies insbesondere eine schwache Entwicklung der Inflation bewirken. Allerdings stellen externe Faktoren ein größeres Risiko für die Fed dar. Denn anders als in vergangenen Zinszyklen kann sich die Fed nicht mehr allein an der Entwicklung der einheimischen Wirtschaft orientieren. Vielmehr ist sie zu einer Art globalem Risikomanager geworden, da insbesondere die Schwellenländer in hohem Maße von den Entscheidungen der Fed betroffen sind. Entsprechend wäre eine breite Krise der Schwellenländer der zentrale Faktor, der die Fed umdenken lassen könnte. Der Jahresauftakt hat hierbei nochmal verdeutlicht, dass Sorgen um die Schwellenländer und insbesondere China ein entscheidender Faktor für die globalen Finanzmärkte sind – und somit auch für die Notenbanken.- Welche Wahrscheinlichkeit messen Sie diesem Szenario bei?Wir halten dies für wenig wahrscheinlich. Wir rechnen zwar schon länger mit einer harten Landung in China, und auch in diesem Jahr liegen wir mit unserer Wachstumsprognose für China wieder am unteren Ende des Konsenses. Jedoch erscheint ein Crash unwahrscheinlich. Die chinesische Regierung verfügt über genügend Mittel, um die einheimischen Firmen und damit auch die Wirtschaft in Gang zu halten und Kapitalabflüsse auszugleichen, zumal auch die jüngsten Exportzahlen zeigen, dass der schwächere Renminbi die Wirtschaft unterstützt. Dies wird unseres Erachtens eine breite Krise der Schwellenländer verhindern und zudem auch den Ölpreis positiv beeinflussen.- Und wie müsste sich die Wirtschaft in den USA entwickeln, damit die Fed den Leitzins wieder senkt?Hierfür müsst die US-Wirtschaft erneut in eine Rezession zurückfallen und insbesondere der Arbeitsmarkt eine 180-Grad-Drehung hinlegen. Darüber hinaus könnten neuerliche systemische Sorgen an den Finanzkrisen die Fed zur Umkehr zwingen.- Und wie wahrscheinlich ist das für Sie?Wir halten beide Szenarien für äußerst unwahrscheinlich und sehen hierfür eine Wahrscheinlichkeit von maximal 15 %.- Inwieweit bedeuten die höheren Leitzinsen in den USA auch höhere US-Bondmarktrenditen und darüber auch höhere Bundrenditen? Und wie stark ist das Gegengewicht in Form des Quantitative Easing (QE) der EZB?Die Leitzinserhöhungen der Fed werden auch die amerikanischen Anleiherenditen spürbar nach oben treiben. Die Rendite zehnjähriger US-Treasuries dürfte bis zum Jahresende auf 3 % steigen. Zwar schlägt die EZB einen gegensätzlichen Kurs ein und schützt mit ihren umfangreichen geldpolitischen Maßnahmen die europäischen Zinsmärkte gegen negative Einflüsse aus den USA. Allerdings gilt dies primär für die kürzeren Laufzeitsegmente. Das zehnjährige Segment wird sich nicht vollständig von den US-Entwicklungen abkoppeln können, was auch eine Analyse der japanischen Zinsmärkte nahelegt, die in der Vergangenheit mit einer ähnlichen Konstellationen konfrontiert waren. Entsprechend dürften auch die zehnjährigen Bundrenditen zum Jahresende höher rentieren als aktuell.- Glauben Sie, dass die EZB das QE in diesem Jahr noch ausweiten wird?Zwar rechnen wir in der Tat mit weiteren Lockerungsmaßnahmen der EZB in diesem Jahr. Allerdings wird sich dies unseres Erachtens auf eine weitere Senkung des Einlagensatzes beschränken. Eine umfassende Ausweitung von QE scheint jedoch unwahrscheinlich. EZB-Präsident Draghi verfügt nicht mehr über die uneingeschränkte Mehrheit im EZB-Rat, und seine Strategie, hohe Erwartungen an den Märkten zu schüren und mit diesen seine internen Kritiker auf Linie zu bringen, greift nicht mehr. Der neuerliche Ölpreisverfall liefert ihm zwar neuerliche Argumente für mehr QE, insbesondere da die EZB ihre offiziellen Inflationsprognosen deutlich senken wird und die wichtigen Inflationserwartungen wieder rapide fallen. Die Stimmungsindikatoren und harten Wirtschaftsdaten dürften jedoch stabil genug bleiben, dass sich erneut keine Mehrheit für mehr QE findet. Daher scheint derzeit lediglich eine Verlängerung des Programms machbar, was die Märkte jedoch kaum befriedigen wird.- Wird der Rentenmarkt nicht langsam vollkommen immun gegen diese Maßnahmen? Oder anders gefragt: Wie groß müssen die Dosierungen eigentlich noch ausfallen, damit sie noch irgendetwas bewirken?In der Tat sind die Finanzmärkte über die vergangenen Jahre zunehmend abhängig von den Liquiditätsspritzen der Zentralbanken geworden, die auch die üblicherweise ausschlaggebenden fundamentalen Betrachtungen in den Hintergrund gedrängt haben. Gleichzeitig setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, dass sich Wohlstand und nachhaltiges Wachstum nicht beliebig mittels Schulden erzeugen lassen. Zumal auch die Nebenwirkungen wie beispielsweise die extreme Volatilität bei Bundesanleihen im vergangenen Jahr Fragen aufwerfen. Da nun auch Mario Draghi die Finanzmärkte im Dezember erstmalig in seiner Amtszeit enttäuscht hat, dürften die offiziellen Liquiditätsspritzen eine zunehmend geringere Wirkung an den Märkten entfalten und auch die Spekulationen diesbezüglich zukünftig merklich verhaltener sein.- In welchen Regionen sehen Sie vor diesem Hintergrund die zehnjährige Bundrendite in diesem Jahr?Wären allein die heimischen Faktoren ausschlaggebend, dürften die zehnjährigen Bundesrenditen in diesem Jahr angesichts der von uns erwarteten Zinssenkung wieder fallen. Wie gesagt werden die Zinserhöhungen der Fed jedoch auch auf den europäischen Zinsmärkten ihre Spuren hinterlassen. Zusammengenommen rechnen wir damit, dass die zehnjährigen Bundesrenditen im ersten Quartal im Zuge von EZB-Spekulationen ihre Tiefs markieren und zum Jahresende dann bei 0,90 % notieren werden.- Der Bund-Future ist gleich auf seinem Rekordhoch, die zehnjährige Bundrendite fällt, ist aber noch ein gutes Stück von ihrem historischen Tief von knapp unter 0,05 % entfernt. Sehen wir dieses Tief nochmal?Der in den vergangenen Dekaden zu beobachtende Abwärtstrend der Bundrenditen ist unseres Erachtens vergangenen April zum Erliegen gekommen. Die EZB-Medizin wirkt nicht mehr wie früher. Zudem haben sich die Befürchtungen, dass aufgrund der QE-Käufe und der gleichzeitig sinkenden Emissionen der Finanzagentur nicht mehr ausreichend Bundesanleihen am Markt verfügbar sind, um 180 Grad gedreht. Hierbei sind nunmehr insbesondere Sorgen um dauerhafte Verkäufe der chinesischen Zentralbank und aus dem Mittleren Osten in den Fokus gerückt. Darüber hinaus haben die Investoren schmerzlich gelernt, dass sie nun selbst bei Bundesanleihen nicht mehr gegen extreme Kursausschläge geschützt sind. Somit dürften die Niveaus vom letzten April außer Reichweite bleiben, und über die vergangenen Tage war bereits zu beobachten, dass die Nachfrage nach zehnjährigen Bundesanleihen bei Renditen von unter 0,5 % spürbar nachlässt.- Was sind die großen Unbekannten für 2016 am Rentenmarkt beziehungsweise überhaupt am Kapitalmarkt?Mit Blick auf die geopolitische Situation lassen sich zahlreiche Schreckensszenarien konstruieren, insbesondere bezüglich der Lage im Nahen Osten sowie auch eines möglichen Brexits oder radikaler Politikwechsel in Spanien und Portugal. Ein möglicher Crash in China und damit verbundene Krisen in Schwellenländern sind ebenfalls ein zentrales Risiko für die Rentenmärkte, da dies eine “quantitative” Straffung mittels Anleiheverkäufen der jeweiligen Zentralbanken bewirken könnte. Allerdings haben insbesondere die europäischen Rentenmärkte im Rahmen der Griechenland-Krise einmal mehr bewiesen, dass sie mit erhöhtem Stress umgehen können, zumal auch die zahlreichen Schutz- und Rettungsmechanismen fest etabliert sind. Daher erscheint für uns das größte Risiko, dass die Märkte ihr Vertrauen in die Zentralbanken verlieren, insbesondere falls sich der Wachstumsausblick wider Erwarten deutlich eintrüben sollte.- Herr Stöckle, Credits, das heißt Unternehmensanleihen, haben über Verdrängungseffekte – das sogenannte Crowding-out – vom QE der EZB profitiert. Setzt sich dieser Prozess 2016 fort?Nach Beginn von QE sind haben sich die Spreads in Europa stetig ausgeweitet. Zu Grexit-Ängsten kamen Fragezeichen hinter Chinas Wirtschaft und kollabierende Preise im Rohstoffbereich sowie “Dieselgate” bei VW im Herbst – die Stimmungslage hat sich während des gesamten Jahres nicht mehr nachhaltig gebessert. Ohne QE wären diese Effekte aber sicherlich noch stärker ausgefallen. Dies gilt auch weiterhin. Trotz der Zinswende in den USA und des damit einhergehenden leichten Zinsanstiegs auch in Europa wird der nach wie vor expansive Kurs der EZB dafür sorgen, dass wir uns weiterhin in einem Niedrigzinsumfeld bewegen. Daher wird sich die strukturelle Dynamik hin zu einer höheren Credit-Allokation fortsetzen. Dieses Crowding-out beobachten wir sowohl innerhalb Fixed Income – von Staats- hin zu Unternehmensanleihen – als auch innerhalb Credit – unter anderem von Investment Grade zu High Yield -, und es ist ein entscheidender Faktor für unseren nach wie vor konstruktiven Ausblick für europäische Unternehmensanleihen.- Die Unternehmen können Fremdkapital nun schon über einen Zeitraum von mehreren Jahren zu immer günstigeren Zinsen aufnehmen. Ist die Verschuldungshöhe beziehungsweise der Prozess des Re-Leveraging ein Grund zur Besorgnis?Es ist in jedem Fall eine wesentliche Kenngröße. Der Leverage – Net Debt zu Ebitda – ist tatsächlich gestiegen. Dieser Prozess ist allerdings in Europa noch nicht so weit gediehen wie in den USA. Dort sind sowohl Konjunktur- als auch Kreditzyklus schon weiter fortgeschritten und geben in 2016 mehr Grund zur Sorge. Nichtsdestotrotz die Tendenz ist auch in Europa eindeutig. Für Investoren wird eine sorgfältige Analyse von Sektoren und Einzelnamen sowie ihrer Fundamentaldaten und idiosynkratischen Risiken wieder deutlich wichtiger – insbesondere im Vergleich zu den von einer breiten Erholung geprägten Vorjahren 2012 bis 2014.- Und wie sieht es mit den M & A-bezogenen Bond-Deals aus: In den USA ist dieser Prozess schon weiter fortgeschritten als in Europa. Wird das 2016 in Europa ein größeres Thema am Bondmarkt, so wie andere aktionärsfreundliche Maßnahmen?Ja, wir denken, diese Themen werden in Europa an Dynamik gewinnen, allerdings ausgehend von einer wesentlich niedrigeren Basis. Dazu kommt, dass wir auch weiterhin eine erhöhte Aktivität von US-Unternehmen am Euro-Anleihemarkt erwarten. 2015 betrug diese sogenannte “Reverse Yankee Issuance” mehr als 60 Mrd. Euro alleine im Euro-Investment-Grade-Benchmark-Bereich, und wir denken, dass sich dieser Trend 2016 fortsetzen wird- Welche Entwicklung bei den Ausfallquoten erwarten Sie in den USA und Europa im Investment-Grade- und High-Yield-Universum?Im Investment-Grade-Bereich stellen Ausfälle selbst während systemischer Krisen extrem seltene Ereignisse dar. Im High-Yield-Bereich ist dies anders. Für 2016 erwarten wir einen leichten Anstieg, ausgehend von sehr vorteilhaften Ausgangsniveaus. In Europa sollten sich die Ausfälle im High-Yield-Universum in unserem Grundszenario insgesamt bei nach wie vor vergleichsweise niedrigen 3 % einpendeln, trotz aller Risiken in Sektoren mit starker Abhängigkeit von Schwellenländern und schwachen Rohstoffmärkten. Für die USA erwarten wir einen Anstieg auf über 4 %. Dieser Unterschied und darüber hinaus auch die höheren Abwärtsrisiken erklären sich nicht nur durch den in den USA weiter fortgeschrittenen Kreditzyklus. Sektoren wie Oil & Gas und Metals & Miners stehen derzeit besonders unter Druck und machen dort einen größeren Anteil am Universum aus. Zusätzlich sollte der Kollaps der Rohstoffpreise vor allem aufgrund des US-Shale-Gas-Booms der vergangenen Jahre dort größeren Tribut fordern.- Welche Fälligkeiten hat der europäische Markt zu verdauen, und wird das zu einem Problem angesichts der Tendenz zu höheren US-Leitzinsen?Das Fälligkeitenprofil ist günstig und durch nach wie vor sehr attraktive Refinanzierungsbedingungen auch gut zu handhaben. Weniger Unternehmen werden fällig werdende Benchmarkemissionen ersetzen müssen – eine Konsequenz der Krisenjahre und des damals erschwerten Zugangs zum Kapitalmarkt. Im Investment-Grade-Bereich rechnen wir mit Fälligkeiten in Höhe von rund 170 Mrd. Euro, etwas weniger als in 2015 und deutlich weniger als in 2013 und 2014 mit jeweils über 200 Mrd. Euro. Im High-Yield-Bereich haben viele Emittenten die günstigen Rahmenbedingungen bis Mitte 2015 genutzt, um ihr Verschuldungsprofil deutlich zu verbessern, für Euro-Benchmarks erwarten wir hier Fälligkeiten von unter 30 Mrd. Euro. Aus Investorensicht heißt dies allerdings auch, dass über diesen Kanal auch weniger zusätzliche Mittel zur Absorption steigender Neuemissionsvolumina freigesetzt werden. Insbesondere wenn sich diese auf einen kurzen Zeitraum konzentrieren, könnten die Risikoprämien somit ähnlich wie im vorigen Frühjahr unter Druck geraten.—-Das Interview führte Kai Johannsen.