IM GESPRÄCH: SILKE SCHLÜNSEN, ODDO SEYDLER

"Small Caps sind nicht erwünscht"

Die von der Börse geplante Veränderungen der Dax-Familie gehen der Index-Expertin nicht weit genug

"Small Caps sind nicht erwünscht"

Die Deutsche Börse sollte im Zuge der von ihr beabsichtigen Veränderungen in der Dax-Familie die Indizes noch stärker als geplant ausweiten. Das schlägt im Gespräch mit der Börsen-Zeitung die Index-Expertin Silke Schlünsen von Oddo Seydler vor. Ansonsten drohe vielen kleineren Index-Mitgliedern angesichts der in den nächsten Jahren zu erwartenden Börsengänge die Verdrängung.Von Stefan Schaaf, FrankfurtAls die Deutsche Börse kürzlich ihre Reformvorschläge für die Dax-Familie ins Netz stellte und auch Emittenten um ihre Meinung dazu bat, erhielt Index-Expertin Silke Schlünsen zahlreiche Anrufe von Kunden. Kleinere Mitglieder aus der Dax-Familie fürchteten um ihre Indexzugehörigkeit und damit Sichtbarkeit am Kapitalmarkt, berichtet Schlünsen im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Sie leitet als Managing Director bei der Oddo Seydler Bank in Frankfurt das Designated Sponsoring und beschäftigt sich ausgiebig mit der Zusammensetzung der vier Indizes der Dax-Familie.Diese Familie soll, so die Vorstellung der Deutschen Börse, ab Herbst rund erneuert werden (vgl. BZ vom 3. Februar). Bis Ende März läuft hierzu eine Konsultation des Börsenbetreibers. Im Kern geht es bei den geplanten Neuerungen darum, dass Technologie-Unternehmen künftig nicht nur im TecDax, sondern je nach ihrer Größe auch Mitglied im Blue-Chip-Index Dax, im Nebenwerte-Index MDax und im Kleinwerte-Index SDax sein sollen. Außerdem sollen MDax und SDax auf jeweils 60 von bislang 50 Mitgliedern aufgestockt werden.”Wir begrüßen die Veränderungen, die Umstellung ist mehr als überfällig”, sagt Schlünsen. “Sie reicht aber nicht für das nächste Jahrzehnt, man muss einen größeren Puffer schaffen.” Ihre Sorge ist, dass kleinere Unternehmen aus der Indexfamilie herausfallen und damit für den Kapitalmarkt weniger sichtbar wären. “Fällt ein Unternehmen komplett aus einem Index heraus, dann gibt es weniger Aufmerksamkeit seitens der Broker und Investoren, was durch die Regeln der Mifid II noch verstärkt wird”, erläutert Schlünsen. Das sei auch ein Problem bei Börsengängen, denn “Indexkandidaten werden von Investoren viel stärker wahrgenommen”. Im Zuge der geplanten Umstellung könnten schon jetzt um die zehn Unternehmen aus dem SDax verdrängt werden, mit weiteren Börsengängen könnte sich die Zahl wohl noch erhöhen – beziehungsweise der Aufstieg von Börsenneulingen in einen Index der Dax-Familie würde erschwert. “Es drängt sich der Eindruck auf, Small Caps sind nicht erwünscht.”Vor diesem Hintergrund schlägt Schlünsen vor, MDax und SDax auf jeweils 75 Mitglieder zu erweitern und im TecDax künftig 35 statt bislang 30 Technologie-Unternehmen zusammenzufassen. Damit blieben jedoch weiterhin die Unklarheiten über Branchenzugehörigkeit und Doppellisting bestehen. Dax 200 als AlternativeSchlünsen bringt deshalb einen radikaleren Reformvorschlag in die Diskussion, der auch eine Reaktion auf die wachsende Zahl an Wechseln in den Dax-Indizes ist. “Die Deutsche Börse sollte, so ihr Vorschlag, auf das Doppel-Listing verzichten und stattdessen die Indizes – ohne Teilung in Classic und Technologie – zu einem Dax 200 zusammenfassen. “Wenn alle Werte in einem Pott sind, dann ermöglicht dies eine kontinuierlichere Index-Zusammensetzung, und größere Indizes würden mehr internationale Investoren anlocken”, argumentiert die Expertin. “Namhafte, langjährige Index-Unternehmen dürfen durch eine solche Neuregelung nicht von einer Herabstufung oder einem Indexausschluss betroffen sein.” Außerdem ließen sich mit einem Dax 200 – ähnlich wie im paneuropäischen Stoxx 600 – aussagekräftigere Branchenindizes berechnen.Auf deutliche Kritik bei Schlünsen stößt das Vorhaben der Börse zum doppelten Listing von Aktien im TecDax und in einem der drei anderen Indizes der Dax-Familie. “Davon profitieren große Unternehmen, kleine Unternehmen und Mittelstandsunternehmen fallen durchs Raster beziehungsweise aus der aktuellen Indexlandschaft”, argumentiert sie. “Zugleich wären Tech-Unternehmen die größten Profiteure der Reform. Dies gilt gerade für diejenigen, die künftig im MDax gelistet wären.” Statt den TecDax mit Werten aus MDax und SDax – und gegebenenfalls sogar einigen Dax-Werten – zusammenzusetzen, spricht sich Schlünsen dafür aus, die Lücke zwischen dem SDax und dem Wachstumssegment Scale zu schließen. Sie schlägt daher die Etablierung eines Growth-Index oder auch eines Digitalisierungsindex vor. “Der Trend der Zukunft darf nicht, sondern muss, in einem Index widergespiegelt werden aus unserer Sicht”, betont sie.Aus dem bestehenden TecDax würden Schlünsens Berechnungen zufolge nach aktuellem Stand künftig wohl 12 Unternehmen im MDax und 16 im SDax erhalten sein. Die anderen Firmen blieben, weil zu klein für den SDax, weiterhin im nur im TecDax. Nach jetzigem Stand kommen zudem drei Dax-Unternehmen potenziell als Technologie-Werte für eine Mitgliedschaft im TecDax in Frage: SAP, Deutsche Telekom und Infineon. SDax-Werte verdrängtWegen der Verdrängung durch bisherige TecDax-Werte würden Schlünsen zufolge zahlreiche etablierte SDax-Werte aus dem Kleinwerte-Index herausfallen. “Es droht Unternehmen mit einer Streubesitz-Marktkapitalisierung von 230 bis 470 Mill. Euro der Abstieg, dann muss man sich schon fragen für was der SDax eigentlich noch steht”, sagt Schlünsen. Die Lücke zum neu geschaffenen Segment Scale könnte durch einen Mittelstandsindex geschlossen werden. Eine weitere Alternative zugunsten von Small Caps wäre auch die genannte Erweiterung der Indizes, wobei der Dax dann auf 35 Mitglieder kommen könnte.Ein besonderer Fall könnte auf Basis der aktuellen Daten SLM Solutions sein. “Der Wert erfüllt voraussichtlich nicht mehr die Voraussetzungen für den TecDax, würde aber in den SDax aufgenommen werden.” Ab Mai will die Deutsche Börse Schattenindizes berechnen, welche die neue, ab September gültige Indexwelt abbilden sollen.