SNB kontrolliert den Franken-Aufwärtsdruck
Von Sebastian Sachs *)Auf 1,20 hatte die Schweizerische Nationalbank (SNB) einst die Untergrenze für das Wechselkurspaar Euro/Franken festgesetzt – bis zum denkwürdigen 15. Januar 2015. An diesem Tag gaben die Währungshüter den Wechselkurs “frei”. Seither versuchen sie jedoch, eine zu kräftige Aufwertung des Franken durch Interventionen zu verhindern. Dennoch hat sich klar herausgestellt: Nicht nur im G10-Universum präsentiert sich 2020 keine Währung so stark wie die schweizerische. Mit Blick auf die Herausforderungen für die Konjunktur aufgrund von Covid-19, denen sich auch die Eidgenossen stellen müssen, dürfte die Schweiz eine zu starke Währung momentan wohl überhaupt nicht gebrauchen können. Denn diese Konstellation ist eine ernste Bedrohung für die heimische Wirtschaft, da sie insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der Exporte beeinträchtigt. Aus diesem Grund hat die SNB in den vergangenen Monaten verschärft kommuniziert, bei Bedarf durchaus auch in größerem Ausmaß am Devisenmarkt zu intervenieren. Dominanter NimbusZumindest kurzfristig gibt der Erfolg den Notenbankern recht. Der Markt hat ein Niveau von 1,05 Euro pro Franken als tolerierte Untergrenze ausgemacht. Aktuell kann selbst eine zeitweilige Eintrübung des allgemeinen Sentiments den Kurs nicht mehr auf diese Marke drücken. Dazu trägt auch bei, dass die Zentralbank nun häufiger über das Volumen der Devisenmarktinterventionen berichten wird und den Anlegern dadurch Orientierung gibt. Jüngsten Zahlen zufolge hat die SNB in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres 90 Mrd. sfr eingesetzt. Verbale Warnungen werden also mit beeindruckenden Zahlen untermauert. Die Frage ist allerdings, ob die SNB dieses Vorgehen auch längerfristig beibehalten kann. Vor allem, da sich die Schweizer damit auf die US-Liste der Währungsmanipulatoren befördern könnten. Und genau daraus könnte neuer Aufwärtsdruck für den Franken entstehen. Doch wird all das dominiert vom Nimbus des “sicheren Hafens”, den neben Gold nur die Schweizer Valuta in diesem Ausmaß umgibt.Das Problem eines in den Augen der SNB zu starken Franken besteht nicht erst seit Covid-19. Seit einem Zwischenhoch im April/Mai 2018, als der Euro temporär wieder das Niveau von 1,20 sfr erreicht hatte, ging es kontinuierlich bergab. Der Boden scheint vorerst bei einem Niveau von 1,05 gefunden zu sein. Und das ist auch extrem wichtig für die Schweiz, ist doch die Preisentwicklung noch immer tief negativ. Per September lag die Inflation bei minus 0,8 % im Jahresvergleich. Das ist zwar eine Verbesserung gegenüber dem Extremwert von minus 1,4 % im Mai, kann die SNB aber keineswegs zufriedenstellen. Denn auch der Wirtschaftseinbruch um 8,2 % im zweiten Quartal ist ein Problem, dem die Zentralbank entgegentreten muss.Was die SNB mit einem Leitzins von minus 0,75 % und massiven Eingriffen am Devisenmarkt auch tut. Und das kommuniziert sie relativ transparent: Jeweils am Quartalsende gibt sie die Interventionen des Vorquartals bekannt. Bislang legte die SNB nur einmal jährlich Rechenschaft über ihre lenkenden Schritte ab. Die diesjährigen Interventionen im Volumen von 90 Mrd. sfr im ersten Halbjahr 2020 setzen sich zusammen aus 38,5 Mrd. sfr im ersten und 51,5 Mrd. sfr im zweiten Quartal. Zur Einordnung: Nach Aufhebung der 1,20er-Grenze hatte die SNB im Gesamtjahr 2015 Devisen für 86,1 Mrd. sfr gekauft, 2016 folgten Interventionen über 67,1 und 2017 über 48,2 Mrd. sfr. 2018 und 2019 waren relativ ruhige Jahre mit 2,3 und 13,2 Mrd. sfr.Doch was heute funktioniert, kann morgen schon nicht mehr ausreichen. Welche Alternativen bleiben der SNB, die Konsequenzen der hohen Nachfrage nach dem Franken abzufedern? Natürlich lässt sich über eine weitere Senkung des Leitzinses diskutieren. Nur darf die gewünschte Wirkung eines solchen hypothetischen Schrittes in Frage gestellt werden. Zielführender erscheint eine fortgesetzte Intervention – auch wenn die Volumina wahrscheinlich noch steigen müssten. Die Währungshüter könnten sich dafür beispielsweise noch stärker an den internationalen Aktienmärkten engagieren. Die Devisenreserven der SNB steigen ohnehin kräftig weiter. Ende September wurde mit einem Plus von rund 25 Mrd. sfr (rund 3 %) ein extrem hohes Niveau von 873,5 Mrd. sfr erreicht. Damit liegt das Land mit nur rund 8,6 Millionen Einwohnern weltweit hinter China, Japan und der Eurozone auf dem vierten Platz der Zentralbanken mit den höchsten Währungsreserven. Rückzug käme verfrühtBleibt die Gefahr des Vorwurfs der Währungsmanipulation. Das US-Finanzministerium hat drei Kriterien festgelegt, um ein Land der Währungsmanipulation bezichtigen zu können: Das Land muss einen hohen bilateralen Handelsbilanzüberschuss mit den USA haben, einen erheblichen Leistungsbilanzüberschuss erwirtschaften und einseitig zugunsten der eigenen Währung auf dem Devisenmarkt eingegriffen haben. Alle diese Kriterien können für die Schweiz als erfüllt betrachtet werden. Dennoch wäre es für die SNB riskant, bereits jetzt zurückzustecken – denn der Vorwurf ist ja noch gar nicht erhoben (wahrscheinlich wird der entsprechende Bericht sogar erst nach der Wahl im November veröffentlicht).Ganz generell könnte das Thema die “Franken-Bullen” erneut auf den Plan rufen. Denn die Erwartung ist genährt, dass sich die Währungshüter der Aufwertung der heimischen Valuta künftig nicht mehr ganz so stark entgegenstellen werden. Dies impliziert die Notwendigkeit noch höherer Interventionen, will die SNB den Franken nicht völlig sich selbst überlassen und sowohl die Lage an der Inflations- als auch an der Wachstumsfront weiter zuspitzen. Die Schweizer werden sich also selber treu bleiben müssen – koste es, was es wolle! *) Sebastian Sachs ist Finanzanalyst FI/FX beim Bankhaus Metzler.