TECHNISCHE ANALYSE

So ein Crash kann ganz schön verwirren

Von Christoph Geyer *) Börsen-Zeitung, 13.5.2020 Es liegt in der DNA eines Crashs, dass dieser aus heiterem Himmel kommt und nur sehr wenige im Vorfeld vor einem solchen gewarnt haben. Wenn die Kurse erst einmal am Fallen sind, will jeder noch...

So ein Crash kann ganz schön verwirren

Von Christoph Geyer *)Es liegt in der DNA eines Crashs, dass dieser aus heiterem Himmel kommt und nur sehr wenige im Vorfeld vor einem solchen gewarnt haben. Wenn die Kurse erst einmal am Fallen sind, will jeder noch durch das berühmte Nadelöhr und seine Positionen so schnell wie möglich loswerden. Diejenigen, die behaupten, die technische Analyse würde sowieso nichts bringen, sehen sich bestätigt, haben aber selbst keine Lösung für das Problem. Vielmehr muss nun der richtige Zeitpunkt des Wiedereinstiegs gefunden werden. Korrekturloser AufwärtstrendDie Kursverläufe ähneln denen früherer Crashs sehr stark. Betrachtet man die Kurseinbrüche der jüngeren Vergangenheit, so fällt auf, dass sowohl 1987 als auch 1990, 2007 und 2011 die Notierungen bereits einen beachtlichen Kursanstieg mit nahezu korrekturlosem Aufwärtstrend hinter sich hatten. Somit stand eine Gegenbewegung ohnehin an. Der Markt war bereit für eine solche, und es fehlte nur noch der Auslöser. Ob dieser dann eine Naturkatastrophe oder ein wirtschaftliches Ereignis ist, macht kaum einen Unterschied. Lediglich bei den Terroranschlägen 2001 war der Markt bereits in einem Abwärtstrend und wurde durch die schrecklichen Ereignisse noch beschleunigt.Der Auslöser nach dem inzwischen mehrere Jahre andauernden Aufwärtstrend in diesem Jahr war ein Virus. Eigentlich war es nicht das Virus selbst, sondern es waren vielmehr die Maßnahmen zur Bekämpfung, die zu erheblichen Folgen in der Wirtschaft führen werden. Da die Marktteilnehmer Unsicherheiten nicht leiden können, wird dies an den Märkten mit Kursabschlägen bewertet. Neues Top nach RückschlägenInzwischen scheint sich die Lage wieder etwas zu beruhigen, und die Notierung des Dax zieht wieder deutlich an. Auch das gehört zu Ausverkaufssituationen wie diesen. Blicken wir noch einmal auf die vergangenen Krisen, so konnte nach den Rückschlägen jedes Mal wieder ein neues Top erreicht werden. Hier bildete lediglich die Entwicklung im Fukushima-Crash eine Ausnahme. Dieser ereignete sich, bevor ein neues Top erreicht wurde. Meistens brachten die Aufwärtsbewegungen nach den Crashs weit mehr Ertrag, als zuvor im Crash verloren wurde. Wenn die Nacht am dunkelsten ist, ist der Tag am nächsten. Diese Börsenweisheit besagt nichts anderes, als dass man kaufen soll, wenn die Stimmung am schlechtesten ist. Wer also in den Wirren des März-Rückschlags mutig war, kann bereits heute auf beachtliche Gewinne blicken. Dies bedeutet aber keineswegs, dass die Coronakrise bereits beendet ist und ein neues Rekordhoch unmittelbar bevorsteht. Solche Entwicklungen ziehen sich immer über mehrere Jahre hin, und wo genau das Tief liegt, kann auch heute, gut zwei Monate nachdem der Virus an der Börse angekommen ist, noch niemand sagen.Es gibt nun mehrere Optionen, wie sich die Märkte weiter verhalten könnten. Sollte die Pandemie schneller als erwartet beendet werden und sich die Wirtschaft schneller stabilisieren, als dies zu befürchten ist, könnte der Anstieg weiterlaufen. Die unbedingte Voraussetzung dafür ist aber wie immer, dass die Marktteilnehmer dies auch so sehen und entsprechend handeln. Sollte es sich noch länger hinziehen, die Wirtschaft aber nicht mehr gänzlich heruntergefahren werden und so das Vertrauen in den Aktienmarkt wieder zurückkehrt, könnte nach einer kurzen, möglicherweise erneut heftigen Reaktion der Aufwärtstrend fortgeführt werden. Doppelboden vorstellbarSollte dieser Fall eintreten, dann ist ein sogenannter “Doppelboden” denkbar. Einen solchen bereits heute zu benennen ist zu früh. Die aktuelle Situation rein aus kurzfristiger technischer Sicht betrachtet ist allerdings noch nicht dazu angetan, das bestmögliche Szenario auszurufen.Vielmehr hat der Dax gerade einen Aufwärtstrendkanal nach unten verlassen. In der Abwärtsbewegung haben die Umsätze deutlich angezogen. Die anschließende korrektive Gegenbewegung war dagegen von fallenden Umsätzen begleitet. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Breite der Marktteilnehmer noch nicht an den Markt zurückgekehrt ist. Allerdings ist dieses Verhalten für Ausverkaufssituationen nicht ungewöhnlich. Der Umsatz ist dann am höchsten, wenn die Kurse am oder nahe dem Tiefstpunkt sind. Dies kann man selbstverständlich erst erkennen, wenn die Tiefstpunkte verlassen wurden. Die jüngste Anstiegsbewegung Ende Mai hat die Hoffnung genährt, dass nun auch die Marktteilnehmer zurückkehren, da die Umsätze wieder angezogen haben. Als der Aufwärtstrend gebrochen wurde, waren die Umsätze dann wieder rückläufig. Es könnte nun durchaus eine Situation entstehen, in der vorsichtige Rückkäufe generiert werden. Indikatoren als Hindernis Als Hindernis stehen noch die Indikatoren im Chart. Der Stochastik-Indikator hat eine Divergenz gebildet, und der MACD-Indikator steht vor einem Verkaufssignal. Die Gesamtlage ist daher weiterhin unübersichtlich und wird uns noch in den kommenden Wochen beschäftigen. Langfristig wird es wieder aufwärtsgehen, kurzfristig überwiegen allerdings die Risiken für einen erneuten Rückschlag. *) Christoph Geyer ist technischer Analyst bei der Commerzbank.