Spekulanten befeuern Ölpreis-Rally
Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
Die Rally des Ölpreises hat sich auch am neunten Tag in Folge fortgesetzt. Dies ist die längste Preisaufschwungphase seit der Jahreswende 2018/19. Die Notierung der wichtigsten Rohölsorte Brent Crude erreichte mit 61,69 Dollar je Barrel den höchsten Stand seit 13 Monaten. Damit hat der Ölmarkt zumindest von seiner Preisentwicklung her alle Folgen der Coronakrise hinter sich gelassen – trotz der Tatsache, dass ein Ende der Krise in vielen Industrieländern unter anderem wegen der bis dato schleppend verlaufenden Impfkampagnen nicht abzusehen ist.
Man kann daher mit Fug und Recht von einem fulminanten Start des Ölmarktes in das neue Jahr sprechen, wie es auch Rohstoffanalyst Carsten Fritsch von der Commerzbank tut. Es gibt allerdings eine ganze Reihe von fundamentalen Faktoren, die den Preis stützen. Zuletzt waren das unter anderem auch die amerikanischen Lagerdaten. Nach Angaben des Branchenverbandes American Petroleum Institute sind die US-Lagerbestände an Rohöl in der vergangenen Woche um 3,5 Mill. Barrel gefallen. Ökonomen hatten im Schnitt mit einem Anstieg um 985000 Barrel gerechnet. Derzeit befindet sich der weltweite Ölmarkt, wie die Experten der Commerzbank berechnet haben, im Defizit, wobei die Unterdeckung nach ihrer Einschätzung wohl immerhin 1 Mill. Barrel pro Tag (bpd) beträgt.
Dafür ist vor allem die Drosselung der Marktversorgung durch die Mitglieder des Kartells „Opec plus“ verantwortlich. Die Förderkürzungen haben die zuletzt wieder etwas enttäuschende Entwicklung der Nachfrage mehr als ausgeglichen. So hat die Internationale Energieagentur IEA ihre Prognose für den weltweiten Ölverbrauch im ersten Quartal um durchaus substanzielle 600000 bpd nach unten korrigiert, was auf neue Lockdowns in vielen Ländern zurückzuführen ist, die noch für eine längere Zeit anhalten dürften.
Die „Opec plus“ zeichnet sich derzeit durch eine ungewöhnlich hohe Disziplin bei der Umsetzung ihrer Kürzungsbeschlüsse aus. Diese beträgt nach Commerzbank-Berechnungen 100% – was weit über den Erfolgsquoten der meisten Opec-Beschlüsse aus den vergangenen Jahrzehnten liegt. Insbesondere Saudi-Arabien tut sich dabei durch umfangreiche freiwillige Kürzungen um rund 1 Mill. bpd hervor, die noch bis Ende März durchgehalten werden sollen. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich die amerikanische Rohölförderung bislang nur sehr langsam erholt. Sie liegt mit aktuell rund 11 Mill. bpd noch deutlich unter dem Niveau von Ende 2019 von fast 13 Mill. bpd.
US-Fiskalpaket stützt
Ebenfalls in einem hohen Maß stützend ist die Erwartung, dass der neue US-Präsident Joe Biden sein Maßnahmenpaket zur Stützung der US-Konjunktur im Volumen von 1,9 Bill. Dollar in Kürze durch den Kongress bekommen wird. 1,9 Bill. Dollar entsprechen rund 9% des amerikanischen Bruttoinlandsproduktes – wobei aber zu berücksichtigen ist, dass die Summen sicherlich nicht alle 2021 ausgegeben werden. Die Commerzbank hat ihre Prognose für das US-Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr in der Folge von 4% auf 5% angehoben. Nach Einschätzung der US-Regierung soll die amerikanische Ölnachfrage im laufenden Jahr um 1,5 Mill. bpd steigen, womit etwa 60% des Einbruchs von 2020 ausgeglichen wären. Die anhaltende Liquiditätsflutung der Finanzmärkte infolge der expansiven Geldpolitik sowie der Optimismus der Marktteilnehmer hinsichtlich der Konjunkturentwicklung und der Fortschritt der Impfkampagnen haben dazu geführt, dass seit dem Spätherbst wieder in großem Umfang spekulative Finanzanleger an den Ölmarkt zurückgekehrt sind und sich weit überwiegend long positionieren.
Dabei dürfte allerdings schon wieder eine spekulative Übertreibung entstanden sein – wie an derzeit sehr vielen Finanzmärkten. Ausgeblendet wird, dass Saudi-Arabien seine freiwilligen Kürzungen nicht über Ende März hinaus weiterführen dürfte, so dass die weltweite Ölversorgung ab April um 1 Mill. bpd zunehmen dürfte. Commerzbank-Analyst Fritsch rechnet sogar mit einer noch größeren Produktionsausweitung durch die „Opec plus“, so dass der Weltmarkt im zweiten Quartal auf einen Angebotsüberschuss von rund 500000 bpd kommen könnte.
Mit Blick auf die erwartete deutliche Erholung der weltweiten Ölnachfrage im zweiten Halbjahr sagt Fritsch dann allerdings erneut eine Unterversorgung des Marktes voraus. Für das Jahresende geht er dennoch nur von einem Brent-Ölpreis von 50 Dollar je Barrel aus, da er mit einer Rückkehr des iranischen Öls an den Weltmarkt aufgrund einer Lockerung der Sanktionen durch die neue US-Regierung rechnet. Somit dürfte sich die gegenwärtig sehr ausgeprägte Rally beim Ölpreis letztlich als wenig nachhaltig herausstellen.