Kreditwürdig

Staatsverschuldung wird wieder zum Problem

Die großen Wirtschaftskrisen der jüngsten Vergangenheit haben jeweils zu einem Anstieg der Staatsschuldenquoten geführt, die mit wenigen Ausnahmen nicht wieder rückgängig gemacht wurden, das Paradebeispiel sind die USA. Die in den nächsten Jahren rapide steigenden Zinslasten und demografischen Ausgabenverpflichtungen stellen eine gefährliche Mischung für die Kapitalmärkte dar.

Staatsverschuldung wird wieder zum Problem

Kreditwürdig

Staatsverschuldung wird wieder zum Problem

Von Ulrich Kater *)

An den Anleihemärkten sind in den zurückliegenden Monaten die Renditen weiter gestiegen. Das ist einerseits unmittelbar ableitbar aus der wichtigsten Einflussgröße für die Bepreisung von Schuldverhältnissen, der Geldpolitik. Spätestens im September war die Botschaft der großen Notenbanken klar formuliert. Fürs Erste kann man davon ausgehen, dass die bisherige Straffung der Geldpolitik ausreicht, um in absehbarer Zeit wieder Inflationsraten um den Zielwert von 2% zu erhalten. Die Unsicherheit hierüber ist jedoch angesichts der Breite und Trägheit des in den vergangenen Jahren entstandenen Inflationsprozesses sehr hoch. Im Fall einer nicht ausreichenden Eindämmung wären daher auch weitere Erhöhungen der Leitzinsen nicht auszuschließen. Dies stellte insgesamt eine Verlängerung der bislang an den Märkten erwarteten Restriktionsphase der Geldpolitik dar und führte dementsprechend zu höheren Renditen auch in längeren Laufzeiten.

Steigerungen gehen weiter

Allerdings gingen die Steigerungen der Umlaufrenditen auch nach diesen Ankündigungen weiter. Selbst der neue gewalttätige Ausbruch des Nahost-Konflikts brachte nicht wie sonst die Renditen sicherer Staatsanleihen zum Sinken. Die weiteren Aufschläge im Zinsniveau stellen denn auch keine Abbildung der künftigen Geldpolitik mehr da, sondern sie können nur als Anstieg der Laufzeitenprämie interpretiert werden. Dies ist eine Kompensation für die Risiken, welche Kapitalgeber eingehen. Eine naheliegende Risikokomponente im gegenwärtigen makroökonomischen Umfeld stellt die Inflation dar. Anleger könnten eine Prämie dafür verlangen, dass die Inflation eben nicht wie von den Notenbanken erwartet ausreichend sinkt oder generell in den kommenden Jahren über den Notenbankzielen zu liegen kommt. Gegen eine solche Erklärung spricht allerdings, dass die langfristigen Inflationserwartungen an den Kapitalmärkten eigentlich durch den gesamten bisherigen Inflationsverlauf sehr nahe an den Notenbankzielen verankert geblieben sind und sich auch in den vergangenen Monaten nicht nach oben bewegt haben. Eine weitere Risikokomponente könnte die geopolitische Unsicherheit darstellen, die nicht nur mit den Ereignissen in Israel und im Gazastreifen, sondern schon längere Zeit angestiegen ist. Sie kann zu mehr Volatilität bei Anleihekursen führen, für die die Investoren eine Schwankungsprämie einfordern könnten. Dieser Mechanismus könnte tatsächlich am Werk sein, ob er allerdings ausreicht, um die mittlerweile hohen Realzinsen am US-amerikanischen Treasurymarkt zu erklären, ist fraglich. Bleibt noch die Bonitätsprämie, also das Risiko von Zahlungsausfällen. Dies hat mit der Qualität der Schuldner – auch etwa der staatlichen Institutionen in den USA – sowie mit der Höhe der Verschuldung zu tun.

Die weltweite Verschuldung nimmt immer weiter zu. Dass die absoluten Schuldenstände stetig ansteigen, dürfte keine Überraschung sein und ist an sich nicht besorgniserregend. Absolut bestehen weltweit zur Jahresmitte 2023 Schuldverhältnisse in Höhe von 307,1 Billionen Dollar, soweit sie in den Finanzierungsrechnungen der nationalen Zentralbanken enthalten sind. Diese umfassen staatliche Schuldner wie private Haushalte und den Unternehmenssektor. Dabei wurde die Marke von 300 Billionen Dollar zum ersten Mal im dritten Quartal 2021, also in der späten Corona-Phase, erreicht. Der wesentliche Treiber waren in dieser Phase die staatlichen Schulden, insbesondere in den Industrieländern, die mit den großen Stabilisierungsprogrammen während der Corona-Pandemie einhergingen. Das Jahr 2022 stellte eine kurze Atempause mit absolut leicht rückläufigen Schuldenniveaus dar, und dies in allen Sektoren der Volkswirtschaften. Das Jahr 2023 markiert die Rückkehr zu steigender Verschuldung, in etwas abgebremstem Tempo.

Schuldenquoten entscheidend

Absolute nominale Schuldensummen sind allerdings wenig aussagekräftig. Etwas näher an einer Tragfähigkeitsbetrachtung sind Schuldenquoten, also die Verschuldungsniveaus in Relation zu einer Kennzahl der Leistungsfähigkeit der Schuldner. Das gängigste Schuldenquoten-Konzept misst die Verschuldung in Relation zum (nominalen) Bruttoinlandsprodukt, das für die Weltwirtschaft insgesamt immerhin etwa 100 Bill. Dollar ausmacht. Wie bei den absoluten Werten haben auch die Schuldenrelationen in der Weltwirtschaft während der Corona-Pandemie (und zwar im ersten Quartal 2021) einen Höhepunkt erreicht. Die Gesamtverschuldung aller Sektoren in Relation zum weltweiten BIP erreichte hier den Rekordwert von 361,5%. Weltweit existieren allein in den Geldvermögensrechnungen also Schuldverhältnisse in Höhe von dreieinhalb Jahreswertschöpfungen der Weltwirtschaft. Seit diesem Corona-Höhepunkt sinkt auch die aggregierte Schuldenquote wieder – und zwar deutlich stärker als die absolute Verschuldung. Mitte 2023 lag sie bei 335,9%. Trotzdem waren die Entlastungseffekte bei den Schuldenquoten substanziell, weil in den Schuldenquoten das nominale Bruttoinlandsprodukt verwendet wird. So stieg die mit laufenden Preisen bewertete Wirtschaftsleistung allein inflationsbedingt in den Industriestaaten im Jahr 2022 um mehr als 5% an. Die so gemessene Senkung der Schuldenlast repräsentiert den Entschuldungseffekt einer (Überraschungs-)Inflation: Schuldner gewinnen auf Kosten der Gläubiger. Insgesamt muss jedoch festgestellt werden, dass auch das relative Schuldenniveau nicht wieder auf das Niveau vor der Coronakrise (4. Qu. 2019: 323,2%) zurückgekehrt ist. Die weltweite Verschuldung steigt weiter an.

Regional sind es insbesondere die Schwellenländer, die in den vergangenen Jahren ihre Schuldenquoten weiter nach oben schraubten. Während die Verschuldung relativ zum Einkommen 1999 im Durchschnitt aller EM-Länder noch bei 131% ihres Einkommens lag, ist diese aktuell auf 254% angestiegen. Auch in den reifen Industrieländern ist diese Quote im betrachteten Zeitraum angestiegen, allerdings von einem höheren Niveau und mit einem geringeren Tempo, von 283% auf 385%. Den Hintergrund bilden eine tendenziell steigende Leistungsfähigkeit in vielen Emerging Markets, die Ausweitung der finanziellen Sektoren sowie das niedrige Zinsniveau der vergangenen Dekade.

Bei einer sektoralen Betrachtung fällt auf, dass die Verschuldung von Unternehmen und privaten Haushalten trotz der abgelaufenen extremen Niedrigzinsphase und der finanziellen Belastungen während der Coronazeit nicht außer Kontrolle geraten ist. Es sind hauptsächlich die staatlichen Schuldner, die weitere Lasten aufgebaut haben. Die großen Wirtschaftskrisen der jüngsten Vergangenheit – die Finanzkrise und die Corona-Pandemie – haben jeweils zu einem Anstieg der Staatsschuldenquoten geführt, die mit wenigen Ausnahmen nicht wieder rückgängig gemacht wurden, das Paradebeispiel sind die USA. Die in den nächsten Jahren rapide steigenden Zinslasten und demografischen Ausgabenverpflichtungen stellen eine gefährliche Mischung für die Kapitalmärkte dar. Hierin könnte ein Schlüssel zum Verständnis einer Kapitalmarktbewegung liegen, bei der die Renditen staatlicher Emittenten steigen, während die Riskospreads von Unternehmen weiterhin moderat bleiben.

*) Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der DekaBank.

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