Starke Banken bringen Warschauer Börse wieder nach vorne
Banken dominieren in Warschau
Die Kurse an Polens Börse haben binnen Jahresfrist deutlich zugelegt
Von Sebastian Becker, Warschau
Marcin Materna, der Leiter der Research-Abteilung des polnischen Investmenthauses Millennium DM in Warschau, gehört zu den erfahrenen Marktbeobachtern der Warschauer Börse (GPW), die mit einer Marktkapitalisierung von 1,3 Bill. Złoty (rund 280 Mill. Euro) der größte Finanzplatz in der Region ist. Seit 2002 befindet sich der Fachmann in leitender Funktion im Haus. Doch selbst Materna hat noch nie vorher eine derartige Anhäufung an Problemen beobachtet wie in den vergangenen Jahren, die fast schon wie ein Gewitter auf den Handelsplatz eingeprasselt sind: Der plötzliche Ausbruch der Pandemie, der Überfall Russlands auf die Ukraine und die Preisexplosionen für Energie hatten auch am größten Handelsplatz in der Region ihre Spuren hinterlassen und für einen zwischenzeitlichen Einbruch der Kurse um mehr als 40% gesorgt.
Allerdings geht es jetzt seit knapp einem Jahr für die Warschauer Börse wieder aufwärts: Der Elite-Index WIG 30 hat in den vergangenen zwölf Monaten mehr als ein Drittel zugelegt und sich somit wieder gefangen. Und jetzt notiert das führende polnische Börsenbarometer wieder bei Werten von mehr als 2.400 Punkten. „Der Hauptgrund für das Wachstum war das günstige internationale Umfeld“, analysiert Materna im Gespräch mit der Börsen-Zeitung und spielt darauf an, dass auch die Weltbörsen in diesem Zeitraum zugelegt haben. „Dazu kamen lokale Faktoren: Die Regierung hat durch Sozialprogramme gesamtwirtschaftliche Wachstumsanreize gegeben, und die Bewertung der Bankaktien ist gestiegen, die in einem Umfeld hoher Zinsen eine hervorragende Entwicklung gezeigt haben“, macht Materna klar.
Hintergrund: Die Regierung bietet seit 2016 die Zahlung eines monatlichen Kindergeldes von 500 Złoty (etwa 110 Euro) an, das sie während der Kampagne für die Parlamentswahlen, die Mitte Oktober stattfinden, sogar noch einmal auf 800 Złoty (170 Euro) erhöht hat. Die Bankaktien bilden seit jeher das Rückenmark der Warschauer Börse: So beträgt ihr Anteil knapp mehr als ein Drittel am Index. Politisch brisant ist, dass der Vorsitzende der Oppositionspartei „Der dritte Weg“ vorgeschlagen hat, die staatlichen PKO BP und Pekao SA wieder zu privatisieren.
Der stärkste Wert ist traditionsgemäß die PKO BP, die in den vergangenen zwölf Monaten ein Wachstum von 48,2% auf Niveaus um 35 Złoty (7,52 Euro) verzeichnete, die allerdings für das vergangene Jahr keine Dividende ausgezahlt hat. Vom Nettogewinn von rund 3,3 Mrd. Złoty (710 Mill. Euro) aus dem Jahr 2022 ist kein Groschen auf die Konten der Aktionäre geflossen.
Die zweitgrößte Bank des Landes, die Pekao SA, hat sich in diesem Zeitraum ähnlich stark entwickelt, indem sie rund die Hälfte ihres Wertes auf Niveaus über 101 Złoty (21,70 Euro) zugelegt hat. Im vergangenen Jahr erhielten die Investoren 82% des Nettogewinns von 1,7 Mrd. Złoty (370 Mill. Euro). Die MBank, die Commerzbank-Tochter, erreichte sogar ein Plus um 57% auf weit mehr als 250 Złoty (53,73 Euro). Allerdings hat sich hier der Vorstand mit der Auszahlung von Dividenden in den vergangenen Jahren sehr zurückgehalten. Zuletzt gab es 2017 eine Ausschüttung von 20% des Nettogewinns von 217,9 Mill. Złoty (46,6 Mill. Euro).
Die Banken führen mit ihrem Gewicht eine Liste von insgesamt 413 Titeln an, wovon 43 aus dem Ausland stammen. Damit hat sich die Zahl der Titel gegenüber 2019, als die Welt noch etwas ruhiger war, nicht verändert. Initial Public Offerings sind in diesen schwierigen Zeiten halt Mangelware – auch in Osteuropa.
So sollen künftig auch Aktien aus Ländern gelistet werden können, die nicht zur EU gehören – und zwar aus Armenien, Georgien oder Aserbaidschan. Dies entspricht der bisherigen Strategie, überwiegend Unternehmen aus dem Osten für ein Engagement an der Börse zu gewinnen. Nach dem Westen hat die GPW ihre Fühler noch nie wesentlich ausgestreckt. Das hat der Vorstandsvorsitzende der GPW, Marek Dietl, im Gespräch mit dem polnischen Industrieportal WNP erklärt. Dafür soll ein gesondertes Segment geschaffen werden. „Dieses Projekt soll in zwei bis drei Jahren vorbereitet werden“, sagte Dietl. Die Emissionsprospekte dieser Firmen werde die polnische Finanzaufsicht nach polnischen Standards bewerten, so der GPW-Chef.
Weltbörsen entscheidend
Ob die Werte aus diesen Ländern wie Georgien dem Markt riesiges Kapital bringen und damit auch für steigende Kurse sorgen, dürfte wohl eher zweifelhaft sein. Wichtig ist derzeit, dass die Angst, der Konflikt in der Ukraine könne auf Polen übergreifen, aus den Köpfen der Investoren in Polen verschwunden ist. „Die Anleger haben schon Geld verloren, als der Konflikt ausbrach“, erklärt Analyst Materna. Doch habe dieser Aspekt an Stärke verloren.
„Wie sich die GPW in den kommenden zwölf Monaten entwickelt, hängt vielmehr von den Weltbörsen ab“, prognostiziert der Analyst. „Kurzfristig werden die Wahlen ein lokales Ereignis sein, das die Entwicklung beeinflusst.“ Langfristig werde der Zustand der Staatsfinanzen entscheidend sein, sollte die Regierung ihre teuren Wahlversprechen tatsächlich einlösen. „Eine Politik, die man nicht mehr rückgängig machen kann, dürfte den Wert des Złoty belasten und internationale Investoren abschrecken“, so Materna.
Starke Banken haben die Warschauer Börse wieder nach vorne gebracht. Denn seit knapp einem Jahr geht es wieder aufwärts: Der Elite-Index WIG 30 hat in den vergangenen zwölf Monaten mehr als ein Drittel zugelegt und sich somit wieder gefangen. Hauptgrund dafür war das günstige internationale Umfeld.