Devisenwoche

Starke Entwicklung des Yen

Für den Yen, der erst kürzlich sein 150-jähriges Bestehen feierte, ist es von großer Bedeutung, dass die Deflation dauerhaft überwunden wird.

Starke Entwicklung des Yen

Von Sven Schubert*)

Er ist ein Veteran unter den führenden Weltwährungen und feierte erst kürzlich sein 150-jähriges Bestehen: der japanische Yen. Seine Entwicklung zu einer der teuersten Währungen der Welt wurde von der japanischen Zentralbank und Regierung sowie anderen Ländern stets mit Sorge beäugt. Zudem erweist sich der Kampf gegen die Deflation seit Jahrzehnten als nahezu aussichtslos. Die Covid-19-Krise schien zunächst dem Yen einen willkommenen Dämpfer zu versetzen, da die Renditen von Staatsanleihen weltweit wieder von ihren Rekordtiefständen anzusteigen be­gannen. So haben die US-Inflationserwartungen und die US-Nominalrenditen den Yen seit Jahresbeginn zur schwächsten Währung unter den Währungen der Industrieländer gemacht. In Zukunft wird die Entwicklung des Yen von der Frage bestimmt werden, ob sich die globale Reflation als langfristiges Szenario erweist.

Auswegloser Teufelskreis

In den 1960er Jahren setzten Japan und die USA unwissentlich einen Teufelskreis in Gang, der zur jahrzehntelangen Aufwertung des Yen führte. Handelsspannungen sorgten damals für Unruhe zwischen den beiden Supermächten. Die USA verloren aufgrund von immer besser werdender Qualität von japanischen Produkten und protektionistischer Maßnahmen der japanischen Regierung globale Marktanteile an ihre japanischen Wettbewerber. Als das Bretton-Woods-System im Jahr 1971 scheiterte­ und Weltwährungen zu einer Neuausrichtung gezwungen waren, machte sich der Yen vor dem Hintergrund des starken Wirtschaftswachstums und eines steigenden Handelsüberschusses zu einem ungehinderten Höhenflug auf. In der Folge erreichte der Yen sogar weitere Höchststände, als 1985 koordinierte Interventionen der G5 mit dem Ziel einer US-Dollar-Schwächung eine schmerzhafte Aufwertung von 240 auf 120 Yen pro Dollar auslösten.

Nachhaltiges Phänomen

Diese Entwicklungen beschworen eines der gefürchtetsten Wirtschaftsphänomene herauf: die Deflation. Deren Auswirkungen wurden durch das Platzen der japanischen Finanzblase zu Beginn der 1990er Jahre noch verstärkt. Nachdem die Prinzipien der Kaufkraftparität einsetzten, sanken die Preise in Japan und glichen so die Auswirkungen des gestärkten Yen aus – und die Aufwertung wurde zu einem nachhaltigen Phänomen. Da deflationäre Tendenzen Investitionen erschweren und so das potenzielle Wachstum reduzieren, entstand eine Abwärtsspirale aus langsamem Wachstum und Deflation. Seitdem sind die japanischen Wachstumsraten von durchschnittlich 7% in den 1950er bis 1990er Jahren auf heute magere 1,2% eingebrochen.

Erst sehr viel später, zwischen 1995 und 1998, konnten die USA und Japan dank gemeinsamer Interventionen den Yen nachhaltig von 84 Yen je Dollar auf 144 drücken.

Fluch oder Segen

Als der Yen auch noch zu einer Safe-Haven-Währung aufstieg, wurde eine Steuerung der Währung noch schwieriger, da dieser Status sein Verhalten als Reaktion auf wesentliche Marktereignisse und makroökonomische Trends grundlegend veränderte. Safe-Haven-Währungen weisen in der Regel eine Reihe gemeinsamer Merkmale auf, darunter politische Stabilität, tiefe und liquide Finanzmärkte, niedrige Zinsen und hohe Netto-Auslandsvermögenspositionen. Japan und seine Währung erfüllen alle diese Kriterien.

Schuldige ausgemacht

Die „Schuldigen“ für diese Entwicklung sind im Handelskrieg zwischen den 1960er und 1990er Jahren und dem Platzen der japanischen Finanzblase auszumachen. Der japanische Unternehmenssektor erzielte zu jener Zeit wiederholt Handelsüberschüsse von 2 bis 5% des BIP, was zu einem Anstieg der Auslandsvermögenspositionen führte. Während die Repatriierung von Auslandsvermögen tendenziell zu Aufwärtsdruck auf eine Währung führt, fungieren beträchtliche Auslandsvermögenspositionen in Zeiten von Finanzierungsstress als Puffer, da bei knappen Kapitalressourcen auf diese Gelder zurückgegriffen werden kann. Seit Mitte der 1990er Jahre sind die Auslandsvermögenspositionen Japans von 18% auf beeindruckende 68% des BIP angestiegen. Nur Norwegen (316% und die Schweiz (100%) weisen höhere Fremdwährungsüberschüsse auf.

Darüber hinaus haben historisch tiefe Zinsen den Yen seit 1990 in eine Finanzierungswährung für Carry Trades verwandelt. Bis heute tendieren spekulative Short-Positionen in Yen dazu, in Phasen erhöhter Risikobereitschaft zu steigen, und umgekehrt. Die Auflösung einer Vielzahl von Carry Trades kann zu heftigen Währungsfluktuationen führen. Aktuell hat der mit dem Yen finanzierte Carry Trade an Bedeutung verloren, da das anhaltende globale Niedrigzinsumfeld eine Reihe weiterer Währungen für die Finanzierung von Carry Trades attraktiv gemacht hat. Die Entwicklung des Yen wird jedoch weiterhin vorwiegend von antizyklischem Verhalten angetrieben. Daher sträubt er sich gegen monetäre und fiskalpolitische Instrumente, die darauf abzielen, ihn im Zaum zu halten.

Reflationshandel

Der Yen hat zwar in der ersten Jahreshälfte 2021 eine Abwertung erlebt. Damit er jedoch nachhaltig sinkt, müsste die Konjunkturerholung nach der Covid-19-Krise fortdauern, die Inflation mehr als nur vorübergehend sein, und die Realzinsen außerhalb Japans müssten schließlich steigen.

Ökonomische Modelle deuten zum aktuellen Zeitpunkt allerdings darauf hin, dass die Weltwirtschaft ihren Wachstumshöhepunkt be­reits überschritten hat. Darüber hinaus scheint der globale Reflationshandel an Schwung zu verlieren. Für Japan bedeutet dies die Gefahr einer erneuten Verengung der Renditedifferenzen, da andere Währungen an relativer Attraktivität zum Yen einbüßen.

Die weltweite Inflation nähert sich derzeit ihrem Höchststand, da Basiseffekte nachlassen, globale Energiepreise sich stabilisieren dürften und deflationäre Kräfte weiterhin wirken. Daher ist es unwahrscheinlich, dass der globale Reflationshandel eine Wiederaufwertung des Yen verhindern wird. De facto dürfte der Yen über einen Zwölf-Monats-Horizont eine Erholung auf ein Niveau um 105 pro Dollar erreichen.

*) Sven Schubert ist Senior Investment Strategist bei Vontobel Asset Management.