GastbeitragGeldanlage

Systematische Anlagestrategien stützen Aktienmärkte, aber die Anfälligkeit steigt

Mit dem Aufbau von Aktienpositionen durch systematische Strategien sind die Aktienmärkte wieder anfälliger geworden für Rückschläge. Im Fall eines deutlichen Volatilitätsanstieges und/oder eines erneuten Gleichlaufs von Aktien und Anleihen dürften regelbasierte Strategien gezwungen sein, Aktienpositionen stark zu reduzieren.

Systematische Anlagestrategien stützen Aktienmärkte, aber die Anfälligkeit steigt

Gastbeitrag

Systematische Anlagestrategien stützen Aktienmärkte

Bernd Meyer, Chefanlagestratege und Leiter Multi Asset, Berenberg

Die Fed hat seit März 2022 die Zinsen so schnell und stark angehoben wie seit 1980 nicht. Effekte der Geldpolitik zeigen sich in der Wirtschaft üblicherweise zwölf bis 18 Monate später – aktuell noch zusätzlich verzögert, da viele Verbraucher zunächst noch Covid-Ersparnisse hatten und die Fiskalpolitik expansiv blieb – in Europa etwa, um die Effekte der Energiekrise abzufedern. Die Spuren der höheren Zinsen zeigen sich im Immobilienmarkt, bei regionalen US-Banken und in Form von sich verschlechternden Kreditkonditionen, einige Marktteilnehmer sprechen bereits von einer „Kreditklemme“. Das Verbrauchervertrauen sinkt. Konjunkturüberraschungen, die im ersten Quartal in den USA und Europa noch eher positiv waren, waren zuletzt eher negativ.

Auch der Fokus der Marktteilnehmer hat mit der rückläufigen Inflation und seit den ersten Problemen der US-Regionalbanken Ende Februar von der Inflation hin zum Wachstum gewechselt – und die Unsicherheit darüber dominiert. Umfragen zur Anlegerstimmung zeigen eine klare Dominanz der Bären. Auch unter der Oberfläche herrscht an den Märkten ein klares Risk-off-Umfeld. Trotzdem halten sich die westlichen Aktienindizes überraschend stabil nahe ihrer Jahreshochs. Wie passt das zusammen?

Eine wichtige Stütze für die Märkte waren regelbasierte Anlagestrategien, die in den letzten Monaten ihre Aktienpositionen von niedrigen Niveaus aus deutlich ausgebaut haben. Momentum-Indikatoren drehten zunehmend ins Positive, da die Aktienentwicklung nun auch über sechs und zwölf Monate in den westlichen Märkten positiv ist. Implizite und realisierte Volatilitäten sanken. Der Vix-Index als Maß der impliziten Volatilität von US-Aktien fiel von durchschnittlich 25,1% im vierten Quartal 2022 auf 17,7% seit Anfang April. Die für die Mehrzahl systematischer Anlagestrategien noch bedeutendere realisierte Volatilität sank noch stärker. Das erlaubt ihnen, Risikopositionen aufzubauen. Dass die Volatilitäten bei Aktien stärker fielen als bei Anleihen, begünstigte den relativen Aufbau von Aktienpositionen in Strategien mit Risikoparität. Ein weiterer Treiber dürfte die Rückkehr der negativen Korrelation von Aktien und Staatsanleihen sein. Seit die Wachstumsbefürchtungen der Anleger dominanter Markttreiber sind, entwickeln sich Aktien und Staatsanleihen wieder deutlich gegenläufig. Die Korrelation von US-Staatsanleihen und US-Aktien über die letzten 60 Handelstage ist von über +0,4 im Januar und Anfang Februar auf unter −0,4 gefallen. Mit der zunehmenden Diversifikationswirkung sinkt das Gesamtrisiko von Multi-Asset-Portfolios deutlich. Regelbasierte Strategien bauen daraufhin Risikopositionen weiter aus.

Mit dem Aufbau der Aktienpositionen durch systematische Strategien sind die Aktienmärkte aber wieder anfälliger geworden für Rückschläge. Im Fall eines deutlichen Volatilitätsanstieges und/oder eines erneuten Gleichlaufs von Aktien und Anleihen dürften regelbasierte Strategien gezwungen sein, Aktienpositionen stark zu reduzieren. Käme es dadurch zu einem deutlicheren Abverkauf, könnten jedoch diskretionäre Anleger dank hoher Kassenbestände antizyklisch die Chance ergreifen und einsteigen. Eine schnelle, V-förmige Erholung wäre möglich.

Ein weiteres Risiko für eine deutlichere Korrektur wäre ein merklicher Anstieg der Arbeitslosigkeit in den USA, die im April auf dem tiefsten Niveau seit 1969 lag. Immer wenn die US-Arbeitslosigkeit in der Vergangenheit von einem zyklischen Tiefstand um mehr als einen Prozentpunkt stieg, lastete dies auf US-Aktien. Mit der zunehmenden Bedeutung der 401k-Pensionssparpläne in den USA könnte der Effekt diesmal sogar noch deutlicher ausfallen – haben weniger Personen Arbeit, besparen auch weniger ihre Sparpläne. Ohne deutlichen Anstieg der Volatilität oder der US-Arbeitslosigkeit erscheinen uns nur leicht fallende Aktienmärkte bzw. eine Seitwärtsentwicklung über den Sommer realistischer. Das Aufwärtspotenzial scheint bei der Vielzahl an Risiken und gleichzeitig gestiegenen Bewertungen aber limitiert und wir erwarten, dass wir nach dem Sommer bessere Einstiegsniveaus bei Aktien sehen. Vorsicht bleibt also angebracht.

Bernd Meyer

Chefanlagestratege und Leiter Multi Asset, Berenberg

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