Tesla-Aktienkurs wirft Blasen

Höhenflug des Titels stürzt Analysten in Verlegenheit - Markt blendet langfristige Risiken aus

Tesla-Aktienkurs wirft Blasen

Der fundamental schon lange nicht mehr nachvollziehbare Höhenflug der Tesla-Aktie hat sich im Coronajahr 2020 nochmals beschleunigt. Mit einer Bewertung so hoch wie die aller anderen europäischen und US-Autohersteller zusammen hat der Höhenflug der Aktie mittlerweile das Stadium einer Blase erreicht.Von Christopher Kalbhenn, Frankfurt Für Tesla-Analysten dürfte es ein wenig Balsam für die Seele gewesen sein. Nachdem es dem Unternehmen am zurückliegenden Donnerstag gelungen war, für das vierte Quartal in Folge schwarze Zahlen vorzulegen, was eine Hürde auf dem Weg in den S&P 500 beseitigte, setzte die Aktie nicht etwa ihren spektakulären Höhenflug fort, sondern büßte an zwei Handelstagen insgesamt 11 % auf 1 411 Dollar ein. Am Mittwoch vor den Zahlen hatte der Titel bei 1 795 Dollar noch ein Rekordhoch erreicht. Dennoch ist die Arbeit der Tesla-Analysten alles andere als vergnügungssteuerpflichtig. Etliche von ihnen empfehlen Tesla seit geraumer Zeit zum Verkauf und müssen zusehen, wie die Aktie unaufhörlich anzieht. Anstieg beschleunigtIm Coronajahr 2020 hat sich das noch verstärkt. Seit dem Jahresbeginn hat sich die Aktie um 270 % befestigt, seit dem Mitte März erreichten Crash-Tief sogar um 329 %, als gäbe es keine Krise. Rein fundamental war der Höhenflug in seinem Ausmaß aber schon zuvor nicht mehr nachzuvollziehen. Die Verlegenheit, in die die Analysten dadurch geraten, zeigt sich in der Reaktion mancher Häuser auf die Quartalszahlen. So behielt etwa Jefferies ihre Kaufempfehlung bei, aber auch ihr Kursziel von 1 200 Dollar (aktueller Kurs: 1 549 Dollar), das eigentlich eine Verkaufsempfehlung nahelegen würde. UBS hielt an ihrer Einstufung mit “Neutral” fest, bei einem Kursziel von 800 Dollar. Unbestrittener MarktführerDabei spricht durchaus einiges für Tesla und eine überdurchschnittliche Bewertung der Aktie. Das Unternehmen ist der Pionier und unbestrittene Marktführer im Bereich elektrisch betriebener Fahrzeuge. Es hat im Vergleich zur Konkurrenz einen Technologie- und ESG-Bonus, und auch die Faktoren Design und “Coolness” dürfen nicht unterschätzt werden. Die operativen Fortschritte sind unübersehbar, und sollten die mit den neuen Fertigungsstätten in Texas und Deutschland verbundenen Hoffnungen aufgehen, wird Tesla ihre Produktion massiv ausweiten. Im zweiten Quartal lieferte Tesla 90 000 Fahrzeuge aus, im Gesamtjahr sollen es mehr als 500 000 werden, wobei das Unternehmen anlässlich der Veröffentlichung der Zahlen für das zweite Quartal eingestand, dass dieses Ziel schwer zu erreichen sei. Monströses KGVAll dies reicht aber bei weitem nicht aus, die Bewertung am Aktienmarkt zu rechtfertigen. Wird der Median der von Reuters erfassten Gewinnschätzungen für dieses zugrundegelegt, ergibt sich ein monströses Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 182. Für 2021 liegt es bei 114. Das zeigt, dass die Aktie längst nicht mehr primär von fundamentalen Gegebenheiten getrieben wird. Vielmehr zählt Tesla zu der Hand voll amerikanischer Unternehmen, darunter die “Teracaps” (Firmen mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 1 Mrd. Dollar) wie etwa Apple, auf die sich die Anleger in diesem Jahr unter weitgehender Ausblendung des Rests des Marktes stürzen. Diese Unternehmen weisen ein starkes Gewinnwachstum aus, und die Marktteilnehmer erwarten, dass ihre Ergebnisse auch in den kommenden Jahren deutlich zulegen werden. Hinzu kommen markttechnische, teilweise sich selbst verstärkende Prozesse, wie die üppige, Anlagen suchende Liquidität, die nochmals verstärkte Alternativlosigkeit von Dividendentiteln und das “Fomo”- Phänomen (“Fear of missing out”), d. h. heißt die Angst, etwas zu verpassen. Der Tesla-Höhenflug befindet sich mittlerweile eindeutig im Stadium einer Blase.Untermauert wird dies, wenn Tesla mit ihrer Peergroup verglichen wird. Auch wenn dem Unternehmen ein spürbarer Aufschlag auf die generell niedrig bewertete Automobilbranche zu gewähren ist, weil es sich eben nicht um ein “gewöhnliches” Automobilunternehmen handelt, stimmen die Proportionen schon lange nicht mehr. So hat Tesla im zurückliegenden Jahr einen Erlös von 24,6 Mrd. Dollar, ein Zwölftel des Erlöses von Volkswagen (nach aktuellen Wechselkursen umgerechnet 296,1 Mrd. Dollar) erzielt. Dennoch entspricht die Marktkapitalisierung des Unternehmens dem rund 3,4-Fachen der Börsenbewertung von Volkswagen.Analysten ist angesichts dieser Missverhältnisse und der Überbewertung von Tesla kein Vorwurf dafür zu machen, dass sie vom Höhenflug der Aktie auf dem falschen Fuß erwischt worden sind. Vielmehr spricht das mittlerweile sehr hohe Risiko der Aktie dafür, standhaft zurückhaltend zu bleiben. Zu den standhaften Tesla-Bären zählt etwa die Nord/LB, die zwar die Fortschritte und Perspektiven des Unternehmens anerkennt und nach dem Quartalsbericht ihr Kursziel von 500 auf 600 Dollar angehoben hat, zu Recht aber darauf verwies, dass Tesla zu hoch bewertet ist. “Wir sind der Meinung, dass der Elektroautohersteller nicht mehr wert ist als sämtliche anderen Automobilhersteller Europas und Amerikas zusammen: Daimler, BMW, Volkswagen, Renault, Fiat Chrysler, PSA, Ford und General Motors!” “World Domination”Toni Sacconaghi, Analyst von Sanford C. Bernstein, sprach in seinem Kommentar zu den Quartalszahlen einen wichtigen Punkt an. Die Bewertung von Tesla scheine Weltherrschaft (“World Domination”) einzupreisen. Das Zitat verdeutlicht, dass der Markt derzeit völlig ausblendet, dass Tesla nicht allein auf der Welt ist und ihr Quasi-Monopol nicht ewig Bestand haben wird. Schließlich sind andere – und sehr große Player – im Begriff, Teslas Markt zu betreten. So ist etwa Toyota schon seit Jahren mit Hybridantrieben erfolgreich im Markt unterwegs. Tesla wird es aber auch mit der geballten Macht – und sehr starken Expertise – der deutschen Automobilindustrie sowie auch mit weiteren mächtigen asiatischen Gegenspielern zu tun bekommen. Nicht zu vergessen andere innovative Newcomer beziehungsweise Start-ups, die die Automobilarena betreten. Über kurz oder lang wird das Unternehmen sein Alleinstellungsmerkmal verlieren, und die davon ausgehenden langfristigen Risiken werden am Aktienmarkt derzeit vollständig ignoriert.