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Themenwechsel in der Weltwirtschaft

Von Ulrich Kater *) Börsen-Zeitung, 17.12.2015 Kurz vor Ende dieses Kapitalmarktjahres stehen in vielen Anlageklassen die Jahresendstände so knapp an den Einständen, dass erst in den letzten Handelstagen darüber entschieden wird, ob das Jahr mit...

Themenwechsel in der Weltwirtschaft

Von Ulrich Kater *)Kurz vor Ende dieses Kapitalmarktjahres stehen in vielen Anlageklassen die Jahresendstände so knapp an den Einständen, dass erst in den letzten Handelstagen darüber entschieden wird, ob das Jahr mit einem positiven oder mit einem negativen Performance-Ergebnis abschließt. Dies könnte darauf hindeuten, dass sich nicht viel getan hat in diesem Jahr. Aber abseits von Endständen war die Volatilität hoch. Unterschwellig haben sich neue Themen herausgebildet.Ökonomisch gesehen ist die Welt zu einem seltsamen Platz geworden. Eine Reihe von Ansichten, die bis zur Finanzkrise normal waren, gelten nicht mehr. Erstens: Wir haben generell ein niedriges Wachstum. Dieser Trend ist den vergangenen Monaten bestätigt worden. Eine der größten Enttäuschungen 2015 war das Wachstum der Weltwirtschaft. Im Frühjahr war die Weltwirtschaft nur knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt. Geändert haben sich die Quellen der Schwäche: Europa hat sich gefangen, aber dafür schwächeln nun China und die Emerging Markets. Neue ProduktionsstrukturWenn es etwas gab, was bislang das irdische Gegenstück zu einem expandierenden Universum war, dann war das der Welthandel. Das gilt jedoch nicht mehr. Schon in den vergangenen Jahren haben sich die Steigerungsraten bei den weltweiten Exporten und Importen verringert, aber in diesem Jahr ist der Welthandel sogar geschrumpft. Neben einem Ölpreiseffekt erleben wir hierin den Abschluss einer Entwicklungsphase der Weltwirtschaft. Mit der Senkung der weltweiten Transport- und Kommunikationskosten und der gleichzeitigen Öffnung von Schwellenländern für die wirtschaftliche Entwicklung, allen voran China, ist die Globalisierung vor 30 Jahren eingeläutet worden.Mittlerweile hat jedoch die Welt eine neue Produktionsstruktur. Ein Wachstum über die Industriesektoren ist kaum mehr möglich. Die Schwäche der Weltwirtschaft ist eine Schwäche der chinesischen Wirtschaft und einiger anderer Schwellenländer, deren Geschäftsmodelle auf das chinesische Wirtschaftswachstum ausgerichtet sind. Die Industrieländer haben eher dagegengehalten – wenngleich das Wachstum dort auch nicht mehr das ist, was es einmal war. Altlasten aus dem zurückliegenden Kreditzyklus, die immer näher rückenden demografischen Verwerfungen oder die arbeitssparenden Eigenschaften neuer Technologien: Die Liste der möglichen Erklärungen ist lang. Übrig bleibt, dass dem weltweiten Wachstum in den kommenden Jahren nicht wesentlich mehr zugetraut wird.Zweitens: Da wo die Welt noch einigermaßen wächst, da fehlt etwas, was wir sonst für selbstverständlich halten: Inflation. Gemessen am Auslastungsgrad am Arbeitsmarkt hätte die Leitzinswende in den USA bereits Mitte 2014 erfolgen müssen. Für Ende des Jahres hätte sich nach den vor der Finanzkrise gängigen Modellen bereits ein angemessenes Leitzinsniveau im Bereich von 2,5 bis 3 % errechnet. Aber von einer Lohn-Preis-Spirale in den USA ist nichts zu sehen. In Deutschland führen Lohnsteigerungen und geringe Inflation gemeinsam in diesem und in den kommenden Jahren zu den höchsten realen Einkommenszuwächsen seit 25 Jahren. Immer noch vorhandene versteckte und offene Unterauslastungen an den Arbeitsmärkten sowie eine weiterhin geschwächte Verhandlungsmacht von Arbeitnehmern, insbesondere in den Sektoren einfacherer Tätigkeiten, mögen hier eine Rolle spielen. Auf der Suche nach InflationDie Analysten sind weiterhin auf der Suche nach der verlorenen Inflation. Obwohl sie bereits Argumente für ein neues Inflationsregime ausgegeben haben – von den neuen Gemeinguteigenschaften vieler Produktionsprozesse bis hin zur demografischen Entwicklung -, sollte die Möglichkeit nicht außer Betracht gelassen werden, dass die alten Mechanismen von Auslastungsgrad und Inflation zeitverzögert doch wieder in Gang kommen. In diesem Jahr ging es allerdings eher noch in die andere Richtung: Rohstoffpreise sanken stärker als erwartet, und die Inflationserwartungen mit. Das hat zur Folge, dass die Zinsen weiter niedrig bleiben. Selbst ein Zinserhöhungskurs der US-Notenbank Fed führt historisch gesehen durch flaches Gewässer. Auch dabei bleibt es.Und schließlich mussten sich die Märkte drittens auch in diesem Jahr mit Dingen plagen, deren Vorläufer bereits 2013/14 aufzogen: die neue Bedeutung der Geopolitik und die neue Rolle der inneren Sicherheit.Die Welt ist in verstärkte politische und wirtschaftliche Umbrüche eingetreten. Sowohl die politische Ost-West-Trennung als auch die wirtschaftliche Einteilung in Nord und Süd sind aufgebrochen. Diese Entwicklungen haben neue Themen und Konflikte heraufbeschworen. Gegen die damit verbundene Volatilität an den Finanzmärkten lassen sich kaum Vorkehrungen treffen. Flüchtlingsströme sind zunächst ein gesellschaftliches und politisches Thema und erst in zweiter Linie ein wirtschaftliches. So haben die Finanzmärkte kaum auf dieses Krisenthema reagiert, das nun seit Wochen die Schlagzeilen beherrscht. In Euroland wie in Deutschland sind die wirtschaftlichen Kosten der Flüchtlingswelle beherrschbar. Diese Kosten bewegen sich im Bereich weniger Zehntel des Bruttoinlandsprodukts. Zwar ist der Ausgleich des Bundeshaushaltes für 2016 darüber in Gefahr, aber diese Summen bedeuten keine Neuausrichtung der Finanzpolitik und auch kein nennenswertes Konjunkturprogramm. Alte Probleme verdrängtIn Euroland haben im Jahr 2015 die neuen geopolitischen Themen die alten Finanzprobleme verdrängt. So droht dem Euro der politische Unterbau zu erodieren. Konnte man bislang noch darauf hoffen, dass der Rückgang der Zustimmung zum Euro nur in den Umfragen stattfand und damit temporär bleiben würde, so könnte sich mit dem Erstarken nationalistischer Parteien das Bild ändern. Mittlerweile besitzen europaskeptische Parteien in vielen Ländern eine gewichtige Stimme im politischen, teilweise sogar im parlamentarischen Geschehen. Werden hier noch die Anteile von Parteien hinzugefügt, die wirtschaftliche Reformen als unnötig ansehen, ergeben sich nach dem gegenwärtigen Bild in einigen Ländern Mehrheiten, mit denen die notwendigen anstehenden Reformen zur Weiterentwicklung etwa der Europäischen Währungsunion nicht möglich sind – wenn nicht gar eine Rückentwicklung der bisherigen Integration angelegt ist.Trotz des vermeintlichen Stillstandes an den Kapitalmärkten wandeln sich die darunter liegenden politischen und wirtschaftlichen Trends langsam. Wirtschaftlich gibt es Anzeichen dafür, dass in den USA und zeitverzögert in Europa ganz allmählich die Zeit extremer geldpolitischer Maßnahmen zu Ende geht und das Zinsniveau wieder moderat ansteigen könnte. Die politischen Entwicklungen sind demgegenüber so dynamisch, dass die Marktteilnehmer sich auf manche Risikoprämie gefasst machen können.—-*) Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der DekaBank.