TECHNISCHE ANALYSE

Trendwechsel beim Euro-Dollar-Kurs

Von Karen Jones *) Börsen-Zeitung, 5.8.2020 Beim Euro-Dollar-Wechselkurs ist es mit einem Anstieg um fast 12 % in der ersten Jahreshälfte 2020 zu einer fulminanten Klettertour gekommen. Unterstützt wurde diese Bewegung zuerst von einem schwächer...

Trendwechsel beim Euro-Dollar-Kurs

Von Karen Jones *)Beim Euro-Dollar-Wechselkurs ist es mit einem Anstieg um fast 12 % in der ersten Jahreshälfte 2020 zu einer fulminanten Klettertour gekommen. Unterstützt wurde diese Bewegung zuerst von einem schwächer werdenden US-Dollar, der unter der derzeit in den Vereinigten Staaten zu beobachtenden “Corona-Infektionswelle” leidet. Es besteht anhaltende Besorgnis über die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, was die US-Währung unter Druck setzt. Dies hat den Sonderstatus des Greenback als “sicherer Hafen” angekratzt. Dabei sind die zuletzt wieder verstärkten geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China ein weiterer Einflussfaktor. Hinzu kommt aber auch, dass der Euro vom europäischen “Corona-Krisenmanagement” und vom sehr umfangreichen EU-Hilfspaket für die Eurozone profitiert.Der Euro hat zuletzt seine zwölfjährige Abwärtstrendlinie, die über die Höchststände von 2008 bei 1,6040 und von 2014 bei 1,3995 Dollar läuft und aktuell im Bereich um 1,1828 Dollar, zur Disposition gestellt. Da der Euro-Dollar-Wechselkurs in dieser Region weitere charttechnische Widerstände hat, wie z. B. das Kurshoch vom September 2018 bei 1,1815 und ein Fibonacci-Retracement bei 1,1822 Euro, stellt diese Gesamtzone einen wichtigen, zentralen Bereich für den Markt (nach oben) dar. Diese Zone ist auf Schlusskursbasis noch nicht überwunden worden: Es sollte deshalb nicht überraschen, wenn sich im Umfeld zunächst eine “normale” Konsolidierung zum Abbau der kurzfristig überkauften Lage, die nach der Rally der Vorwochen vorliegt, herausbildet.Ein Baissetrend definiert sich mit Blick auf die Kursentwicklung über fallende Hoch- und Tiefpunkte. Somit wurde der zwölfjährige Baissetrend beim Euro-Dollar-Wechselkurs bereits zu Jahresbeginn 2020 aus übergeordneter, technischer Sicht zum ersten Mal in Frage gestellt, als das mittelfristige Kurstief vom Januar 2020 bei 1,0636 Dollar höher lag als das vorherige mittelfristige Kurstief aus 2017 bei 1,0340 Dollar. Seitdem war der langfristige Trend zumindest in eine “neutrale Position” gelaufen. Kommt es in den kommenden Wochen zu einem nachhaltigen Sprung über die gestaffelte Widerstandszone im Bereich um 1,18 Dollar und damit zu einem Durchbruch über den zwölfjährigen Abwärtstrend (nach oben), so sollte Euro in neue mittel- und langfristige Trends bzw. Trendphasen hineinlaufen. Als Konsequenz würde sich der Euro wieder in einer langfristigen technischen Hausse befinden. Ein Wochenschluss über 1,1828 und speziell oberhalb der psychologischen Marke von 1,20 Euro würde diese neue Bewegung bestätigen.Hervorzuheben ist, dass es beim Euro-Dollar-Wechselkurs seit 2015 zu mehreren Tests des Bereichs von 1,0636/1,0340 Dollar gekommen ist, wodurch sich geradezu ein Band von Unterstützungen bei diesem Kursniveau aufgebaut hat. Diese Gesamtentwicklung der letzten Jahre weist aus charttechnischer Sicht den Charakter einer “Bodenformation” auf.Sollte es zu einem technischen Ausbruch kommen (d. h. einem Wochenschluss deutlich über 1,1828 Dollar), erwarten wir, dass sich – getragen von einer US-Dollar-Schwäche – die technische Klettertour im Euro fortsetzt. Das sollte ausreichen, um ein mittelfristiges technisches Kurspotenzial bis zum Kurshoch aus 2018 bei 1,2556 und der 200-Monate-Linie bei 1,2636 Dollar, die zusammen die nächste mittelfristige kräftige gestaffelte Widerstandszone darstellen, auszulösen. Damit würde der Euro zu seinem langfristigen gleitenden Durchschnitt zurückkehren. So eine “Mean Reversion” zu den langfristigen gleitenden Durchschnitten war zum Beispiel nach der Lehman-Krise 2008 wiederholt zu beobachten. Im Verlauf der aktuellen Krise deutet die technische Gesamtlage damit die gleiche (Kurs-)Entwicklung an.Längerfristig gesehen – bedeutet aus technischer Sicht aktuell mehrere Jahre – ist es wahrscheinlich, dass dieser Bereich um die 200-Monate-Linie überwunden wird und der Euro seine Klettertour – unter Schwankungen – in Richtung des Bands bzw. der Widerstandszone von 1,38 bis 1,40 fortsetzt. Zunächst erwarten wir für den Rest des Jahres jedoch ein Heranlaufen an die 200-Monate-Linie und dann eine erneute Konsolidierung in dieser Kursregion. “Mentaler Stopp”Trotz dieses positiven Gesamtbildes sollte ein “Mentaler Stopp” gesetzt werden. Kommt es zu einem Rücksetzer und sollte dieser die 55- Monate-Linie bei 1,1325 Dollar unterschreiten, würden wir den dargestellten technischen Ausblick relativieren. In diesem Fall würde der Euro-Dollar-Wechselkurs wieder in den mittelfristigen Konsolidierungsmodus zurückfallen. Wir betrachten es jedoch aus technischer Gesamtsicht auch dann als unwahrscheinlich, dass der Euro die Unterstützungen um 1,07 Dollar erneut testet. *) Karen Jones ist bei der Commerzbank im Bereich FICC Technische Analyse Research tätig.