KREDITWÜRDIG

Trügerischer Optimismus bei Credits

Von Jan Holthusen *) Börsen-Zeitung, 20.8.2020 Ein Schiffbrüchiger, der sich Ende Februar mit lebensrettenden Utensilien und der Börsen-Zeitung im Gepäck auf eine einsame Insel gerettet hätte und Mitte August wohlbehalten in die Zivilisation...

Trügerischer Optimismus bei Credits

Von Jan Holthusen *)Ein Schiffbrüchiger, der sich Ende Februar mit lebensrettenden Utensilien und der Börsen-Zeitung im Gepäck auf eine einsame Insel gerettet hätte und Mitte August wohlbehalten in die Zivilisation zurückkehrte, würde sich die Augen reiben. Die Welt, wie er sie kannte, ist eine andere geworden. Covid-19 erfasst nicht nur weiterhin jeden Tag zehntausende Menschen weltweit. Auch unsere Gewohnheiten haben sich geändert, und die notwendigen staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus haben die Welt in eine Rezession gestürzt, wie sie kaum jemand von uns bisher erlebt hat. Vergleicht unser Schiffbrüchiger dann die aktuelle Lage an den Kapitalmärkten mit den Kursdaten vom 20. Februar, wird er sich erneut die Augen reiben, hat sich doch anscheinend in dem halben Jahr seines unfreiwilligen Exils erstaunlich wenig getan.Der deutsche Aktienindex Dax hat in diesen sechs Monaten rund 5,5 % verloren, keine große Bewegung für ein Halbjahr und angesichts der zu Jahresbeginn erreichten historischen Höchststände nicht mehr als eine kleine Korrektur. Der S&P 500 lag am 13. August sogar auf exakt dem gleichen Niveau wie am 20. Februar, genau wie die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen, die normalerweise ein sicherer Hafen in unsicheren Zeiten ist. Etwas spektakulärer stellt sich die Entwicklung des Goldpreises dar, der im vergangenen halben Jahr um gut 20 % zulegen konnte, während der Schweizer Franken, sonst Fluchtburg der Ängstlichen, zum Euro sogar leicht nachgegeben hat. Deutlicher Federn lassen musste der US-Dollar, der Mitte August rund 9,5 % schwächer notierte als vor einem halben Jahr. Spreads weiten sich ausSchaut unser Schiffbrüchiger auf die Credit-Märkte, wird das Bild für ihn nicht wirklich klarer. Der Asset-Swap-Spread von Bankanleihen (iBoxx EUR Banks Senior) verzeichnet in der Stichtagsbetrachtung vom 20. Februar bis zum 13. August 2020 moderate Ausweitungen (von 53 auf 74 Basispunkte (BP)), eine Entwicklung, wie wir sie in den vergangenen Jahren innerhalb eines halben Jahres häufiger zu sehen bekommen hatten. Auch die Renditeabstände von Unternehmensanleihen (iBoxx EUR Non Financials Senior) sind etwas weiter geworden. Sie haben sich von 63 BP am 20. Februar auf immerhin 87 BP ausgeweitet, was allerdings angesichts der recht engen Niveaus zu Anfang des Jahres auch in einem normalen Umfeld bei schwächelnder Konjunktur keine große Überraschung gewesen wäre. Der Spread zehnjähriger italienischer Staatsanleihen zu gleichlaufenden Bundestiteln hat sich dagegen nur ganz leicht ausgeweitet, und Italien kann sich bei der Emission von Zehnjährigen aktuell sogar über Renditen von unter 1 % freuen.Natürlich ist das nur die halbe Geschichte. So hat unser Schiffbrüchiger die blanke Panik verpasst, welche die Kapitalmärkte in den sechs Wochen von Ende Februar bis Mitte April erfasst hatte. Die Aktienmärkte fielen in diesem Zeitraum ins Bodenlose, die Renditen von Bundesanleihen erreichten neue historische Tiefs, und die Credit-Spreads schossen in die Höhe. Seit längerer Zeit aber scheint das nur noch eine Erinnerung an eine dunkle, längst vergangene Zeit zu sein. Mit massiver Hilfe der Zentralbanken konnten die Märkte sehr schnell stabilisiert werden. Unterstützt wurde das durch staatliche Konjunkturpakete in nie dagewesenem Umfang und Erleichterungen durch die Finanzaufsicht.Wie die Entwicklung der vorigen Wochen zeigt, ist die Coronakrise aber alles andere als vorbei. Prekär ist die Lage nach wie vor in den Vereinigten Staaten, und auch Länder wie Brasilien, Südafrika und Indien melden weiterhin sehr hohe Zahlen von Neuinfizierten. Mit der Lockerung der Restriktionen, den Urlaubsheimkehrern und teilweise wieder nachlässiger gehandhabten Präventions- und Schutzmaßnahmen von Teilen der Bevölkerung (“Coronamüdigkeit”) scheint auch in Westeuropa die gefürchtete zweite Welle anzurollen, was die Credit-Märkte bisher jedoch geflissentlich ignorieren. Unsichere PrognosenPreisen sie also im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Pandemie und die künftige wirtschaftliche Entwicklung tatsächlich so viel Optimismus ein? Ist eine schnelle Konjunkturerholung wirklich das Basisszenario am Markt? Ist die Möglichkeit einer erneuten deutlichen Eskalation der Pandemie komplett irrelevant? Steigt die Zahl der Neuinfektionen in Europa weiter so stark an wie in den vorigen Wochen, werden schnell wieder Diskussionen über Lockdowns laut werden. Selbst wenn es nicht dazu kommt, weil man es sich wirtschaftlich “nicht leisten kann”, werden die damit verbundenen negativen Auswirkungen wie Zurückhaltung der Konsumenten, freiwilliges “Stay-at-home” und möglicherweise ein drohender Kollaps nationaler Gesundheitssysteme weitgehend ignoriert. Auch die Verfügbarkeit von Medikamenten und Impfstoffen ist trotz aller Anstrengungen nicht sichergestellt, zu ungewiss ist der Erfolg dieser Bemühungen, zu unsicher sind die Prognosen.Schon heute ist absehbar, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in den kommenden Quartalen deutlich ansteigen wird, selbst wenn sich die Konjunktur wie erwartet erholen sollte. Der Rückgang der in vielen Ländern sprunghaft gestiegenen Arbeitslosenzahlen würde damit verlangsamt oder möglicherweise ganz gestoppt. Steigende Unternehmensinsolvenzen und anhaltend hohe Arbeitslosenquoten würden auch den Druck auf die Banken erhöhen. Sie könnten in Staaten, in denen der Bankensektor ohnehin auf wackligen Beinen steht, für zusätzliche Probleme sorgen, auch wenn dieser Sektor insgesamt deutlich besser aufgestellt ist als vor der Krise 2008/09.Blickt man also nur auf die Fundamentaldaten, sind die Spreads an den Credit-Märkten deutlich zu eng. Der wesentliche Grund für den massiven Rückgang seit den Spread-Hochs von Ende März/Anfang April liegt vor allem, möglicherweise ausschließlich, in der massiven Unterstützung durch die Notenbanken. Die enormen Käufe von Anleihen durch die Zentralbanken, die Flutung der Märkte mit Liquidität und die in vielen Währungsräumen deutlich negativen Renditen sicherer Anlagen haben die Investoren in eine Jagd nach Rendite getrieben. Je weiter sich die Spreads von ihren Hochs entfernten, desto stärker wurde der Druck auf diejenigen, die sich bisher noch zurückgehalten hatten. Das expansive geldpolitische Umfeld sollte auch in den kommenden Monaten und Quartalen anhalten. Je schlechter die fundamentale Situation wird, desto stärker dürfte zudem die Hoffnung auf noch mehr Maßnahmen der Zentralbanken werden. Angesichts der höchst fragilen fundamentalen Situation sind die Credit-Märkte inzwischen allerdings alles andere als günstig bewertet. Allein die Unterstützung durch die Europäische Zentralbank dürfte nicht ausreichen, um eine erneute Stimmungsverschlechterung an den europäischen Credit-Märkten zu verhindern. Rückschläge sollten daher einkalkuliert werden – die von unserem Schiffbrüchigen wahrgenommene Ruhe muss nicht von Dauer sein. *) Jan Holthusen ist Leiter des Fixed Income Research der DZ Bank.