Übernahmefantasie bei Fiat Chrysler?
Von Gerhard Bläske, MailandDer italienische Autokonzern Fiat Chrysler (FCA) hat seit April dieses Jahres etwa ein Viertel seines Wertes verloren. Der Absturz hat sich seit dem Sommer deutlich beschleunigt. Verantwortlich dafür sind wohl vor allem drei einschneidende Ereignisse. Am 1. Juni verkündete Konzernchef Sergio Marchionne einen Mehrjahresplan, der deutliche Absatz- und Gewinnsteigerungen, aber auch eine gewaltige Modelloffensive und den Aufbau der zwei Premiumpole Jeep/Ram und Alfa Romeo/Maserati vorsieht. Bis 2022 sollen 45 Mrd. Euro in neue Modelle und in alternative Antriebe investiert werden.Doch Ende Juli starb der langjährige Konzernchef nach einer Operation, in deren Folge es Komplikationen gegeben haben soll. Er hinterließ ein Unternehmen, das er zwar vor dem Untergang bewahrt und ertragsstark gemacht hatte, für das er aber keinen Partner gefunden hatte. Einen Tag nach Bekanntgabe seines Todes musste der kurzfristig ernannte Nachfolger Mike Manley eine Gewinnwarnung herausgeben, die den Kurs massiv einbrechen ließ. Große HerausforderungenDennoch glauben Andrea Balloni und Alessandro Tortora, Analysten bei Mediobanca, nicht, dass die bis Jahresanfang währende Kursrallye nun vorbei ist. Und dafür nennen sie vor allem einen Grund: “FCA bleibt der ideale Übernahmekandidat.” Der Konzern steht vor großen Herausforderungen wie der Erneuerung der überalterten Modellpalette, aber auch der Notwendigkeit, alternative Antriebe oder das autonome Fahren zu entwickeln. Da steht Italiens größter Industriekonzern schlecht da. “Allein bleiben ist unmöglich”, meint Fiat-Experte und Universitätsdozent Giuseppe Berta, angesichts des enormen Lastenhefts, das die italoamerikanische Gruppe zu meistern hat. Marchionne hatte den damaligen Fiat-Konzern einst vor der Pleite gerettet und mit der Übernahme von Chrysler/Jeep ein starkes Bein in Nordamerika erworben. Bei der Partnersuche aber war er gescheitert. Es gelang ihm weder Opel zu übernehmen noch mit General Motors zu fusionieren. Auch bei VW, Ford und Toyota biss er auf Granit. Interesse hat zuletzt Peugeot-Citroën (PSA) bekundet. Aber das dürfte schwierig sein, weil die Franzosen einen chinesischen Großaktionär haben, was US-Präsident Donald Trump gar nicht schmecken dürfte. An dieser Frage dürfte auch ein Bündnis mit Geely scheitern – selbst wenn FCA das wollte. Eine Allianz mit Hyundai, über die immer wieder spekuliert wird, hätte den Charme, die schwache Position in Asien auszugleichen. Möglicherweise versucht Paul Singer, Chef des US-Fonds Elliott, der bei Chrysler engagiert ist, hier zu intervenieren. Er ist in Italien gut verdrahtet (Fußballclub AC Mailand, Beteiligung an Telecom Italia) und hat den früheren FCA-Manager Alfredo Altavilla, der kurz nach der Ernennung Manleys zum neuen Ceo zurücktrat, in den TIM-Aufsichtsrat berufen. Es besteht Handlungsbedarf bei Fiat Chrysler – nicht nur in Sachen Partnersuche.Das machen die Zahlen für das erste Halbjahr deutlich. Marchionne-Nachfolger Manley musste die Prognosen für das Gesamtjahr nach unten korrigieren: für den Umsatz von 125 auf 115 bis 118 Mrd. Euro, für das Betriebsergebnis (Ebit) von 8,7 auf 7,5 bis 8 Mrd. Euro und für die Nettofinanzposition von 4 auf 3 Mrd. Euro. Nur die Vorhersage eines bereinigten Nettogewinns von 5 Mrd. Euro wurde bestätigt.Noch erschreckender ist aber: FCA hängt fast allein von der Marke Jeep ab, deren weltweiter Absatz im Quartal um 35 % stieg, sowie vom US-Markt der fast zwei Drittel zum Gesamtumsatz beiträgt. In Europa werden nur noch 20 % erlöst, wobei die Ertragssituation unterdurchschnittlich schlecht ist. Und im extrem wichtigen chinesischen Markt kommt FCA nur auf einen Marktanteil von 0,8 %. Die Verkäufe von Maserati, die mit Alfa Romeo die deutschen Premiummarken angreifen soll, gingen im Quartal um 41 % zurück. Die Premiumstrategie dürfte zum Scheitern verurteilt sein, obwohl Alfa zuletzt gute Zahlen vorgelegt hat: Alfa und Maserati haben einfach eine zu schmale Basis. Andere, wie Volvo oder Jaguar, sind da weiter, haben aber trotzdem noch einen riesigen Abstand zu den deutschen Platzhirschen. Fiat Chrysler verkaufte überdies im wachstums- und margenstarken asiatischen APAC-Raum gerade mal 55 000 Autos und fuhr hohe Verluste ein. Die Marken Chrysler und Fiat schließlich führen nur noch ein Nischendasein. Während Jeep deutlich zulegt, verliert Fiat massiv an Boden. Im Heimatmarkt Italien gingen die Verkaufszahlen im August um 15 % zurück. Die traditionsreiche Marke kam noch auf einen Marktanteil von 15,5 %, weil vor allem der Panda-Absatz massiv zurückgeht und die Punto-Produktion eingestellt wurde. Erstmals seit ewigen Zeiten steht mit dem Renault Clio ein nichtfranzösisches Auto an der Spitze der Verkaufsstatistik.Dennoch sieht Mediobanca gute Perspektiven für die Entwicklung des Börsenkurses des Konzerns. Denn die Aktie sei im Vergleich zu den Konkurrenten unterbewertet. Zudem mache der zum Jahresende geplante Spin-off (oder aber ein Verkauf) des Komponentengeschäfts von Magneti Marelli FCA deutlich interessanter. Jeep schließlich sei der kompletteste Anbieter von SUVs, einem sehr stark wachsenden Segment, so die Analysten der Bank.Ein möglicher Ausstieg von Großaktionär Exor, der knapp 30 % der Anteile hält und den Familien Agnelli/Elkann gehört, würde die Fantasie weiter anheizen. Berta glaubt, dass Exor nicht bereit ist, die notwendigen Investitionen bei FCA zu finanzieren und grundsätzlich verkaufswillig sei, “aber womöglich eine Beteiligung behalten” will.Kurzfristig droht jedoch Ungemach, das mit dem Tod Marchionnes zusammenhängt. Angeblich wollen mehrere Aktionäre das Unternehmen verklagen, weil es nicht rechtzeitig über den Gesundheitszustand Marchionnes kommuniziert habe, obwohl es dazu Spekulationen in den Medien gab, unter anderem in der Börsen-Zeitung. Die italienische Börsenaufsicht Consob soll in dieser Angelegenheit Ermittlungen aufgenommen haben.