Überzogene Erwartungen

Viele Marktakteure rechnen mit einer weiteren Abwertung des Euro - Risiko bei Zinsprognosen

Überzogene Erwartungen

Eine weitere Abwertung des Euro zum Dollar gilt vielen als ausgemachte Sache. Grund dafür ist die Erwartung einer wachsenden Zinsdifferenz zwischen den beiden Währungsräumen. Die Parität scheint in Reichweite. Doch diese Erwartung könnte verfrüht sein.Von Stefan Schaaf, FrankfurtMit 1,0623 Dollar ist der Euro gestern – wie bereits am Dienstag – auf den tiefsten Stand seit 16. April gefallen. Damit war er nur noch knapp 2 US-Cent von seinem Jahrestief von 1,0456 Dollar entfernt, das er am 16. März erreicht hatte. Dieses Niveau und sogar die Parität der beiden Währungen werden nach Einschätzung vieler Marktteilnehmer bald schon erreicht werden. Der Reuters-Konsens von Anfang des Monats sagt für 2016 einen Fall Richtung 1,05 Dollar voraus. Grund für diese Prognose ist die Erwartung, dass sich die Zinsdifferenz zwischen der Eurozone und den USA weiter ausweitet. “Die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung durch die Federal Reserve steigt, während die Europäische Zentralbank weiter zu lockern scheint”, schreibt Mark Schofield, Stratege bei der Citigroup.Derzeit liegt der Spread zwischen US-Treasuries und den für die Eurozone richtungweisenden Bundesanleihen im zinssensitiven Zweijahresbereich bei gut 120 Basispunkten, nachdem es Mitte Oktober nur rund 80 Basispunkte waren. Seither hat der Euro rund 7 % an Wert verloren. In dieser Richtung sollte es weitergehen, wenn sich die Zinsdifferenz weiter ausweitet. Der Markt schätzt derzeit die Wahrscheinlichkeit einer US-Zinserhöhung am 16. Dezember auf rund 70 % ein. “Die Arbeitslosenquote liegt mit 5 % auf Vollbeschäftigungsniveau”, sagt Frank Hübner, Volkswirt bei Sal. Oppenheim. “Der Arbeitsmarkt signalisiert daher der Fed grünes Licht für die Leitzinswende.” Auch die Inflationsrate bewegt sich auf die von der Fed angestrebte Marke von 2 % hin. Im Oktober stiegen die Verbraucherpreise in der Kernrate (ohne die volatilen Komponenten Energie und Nahrungsmittel) auf Jahressicht um 1,9 %, so dass die Veröffentlichung der November-Daten ebenso wie der Arbeitsmarktbericht für diesen Monat mit großer Spannung erwartet wird. Beide Daten könnten eine Vorentscheidung über den “Lift-off” sein.Dem steht die Erwartung gegenüber, dass die EZB ihre Geldpolitik bereits am 3. Dezember und damit am Tag vor dem US-Arbeitsmarktbericht weiter lockern wird. Dementsprechend wurden Äußerungen von Notenbankchef Mario Draghi interpretiert, der offenbar eine Entankerung der Inflationserwartungen befürchtet. Im Oktober stagnierten die Verbraucherpreise in der von der EZB stark beachteten breiten Definition inklusive Energie und Nahrungsmittel (“Headline”). “Verdächtig eindeutig”Doch die Erwartungen an die beiden global führenden Notenbanken könnten überzogen sein. Die DZ Bank sieht “fast schon verdächtig eindeutige Perspektiven”. Im Fall der EZB liegen die Erwartungen inzwischen sehr hoch, weil die EZB zuletzt meist stärker gelockert hat als erwartet. Zudem hat die Inflation jüngst leicht angezogen, der Basiseffekt gesunkener Rohstoffpreise läuft zunehmend aus. Ferner bleibt die Wirtschaft der Währungsunion auf moderatem Wachstumskurs, wie die Einkaufsmanagerindizes zeigen. Der Euro würde nach Einschätzung der Deutschen Bank im Fall einer ausbleibenden Lockerung einen Großteil seiner seit Oktober erzielten Kursverluste zum Dollar wieder wettmachen. Zugleich zweifeln einige Volkswirte an der Sinnhaftigkeit einer Zinserhöhung durch die Fed. Folker Hellmeyer von der Bremer Landesbank hält die US-Wirtschaft für noch nicht reif für den “Lift-off”. Für Albert Edwards von der Société Générale, dessen skeptische Sicht an den Märkten immer wieder starke Aufmerksamkeit findet, ist der richtige Zeitpunkt für eine US-Zinserhöhung sogar bereits verstrichen.Zudem spricht auch die neue Rolle des Euro als Finanzierungswährung für risikoreiche Anlagen gegen ein rasches Erreichen der Parität. Im Fall steigender Risikoaversion – abgeleitet etwa aus fallenden Aktienmärkten infolge steigender US-Zinsen – könnte die Gemeinschaftswährung dann aufwerten. Eine ähnliche Reaktion war im August im Zuge der China-Nervosität zu beobachten.