LEITARTIKEL

Überzogene Hoffnungen

Wer hätte das gedacht? Inmitten der zweiten Welle der Coronavirus-Pandemie nimmt der Brent-Ölpreis Kurs auf die Marke von 50 Dollar je Barrel. Bis rund 49 Dollar ist der Preis bereits zeitweilig angestiegen. Brent Crude befindet sich damit auf dem...

Überzogene Hoffnungen

Wer hätte das gedacht? Inmitten der zweiten Welle der Coronavirus-Pandemie nimmt der Brent-Ölpreis Kurs auf die Marke von 50 Dollar je Barrel. Bis rund 49 Dollar ist der Preis bereits zeitweilig angestiegen. Brent Crude befindet sich damit auf dem höchsten Stand seit der ausgeprägten Abwärtsphase im März. Anfang November hatte der Ölpreis noch weniger als 36 Dollar betragen. Die laufende zweite Welle fällt derweil heftiger aus als die erste, wenngleich sich die Regierungen rund um den Globus bemühen, einen vollständigen Lockdown, wie es ihn noch im März gegeben hat, zu vermeiden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt indes, dass noch mit einer dritten Welle zu rechnen sei.Zurückzuführen ist der Optimismus vieler Akteure am Ölmarkt vor allem darauf, dass es allein im Westen mittlerweile vier Kandidaten für einen wirksamen Impfstoff gegen das Coronavirus gibt. Damit machen sich viele Marktteilnehmer Hoffnung, dass es eine zügige Rückkehr zur Normalität geben wird, was dem Ölpreis nach Einschätzung vieler Akteure weiteren Auftrieb geben könnte.Zudem wird angefügt, dass die Internationale Energieagentur IEA, die die Industrieländer in Fragen der Energiepolitik berät, für das kommende Jahr schon wieder von einem globalen Ölverbrauch von 97,1 Mill. Barrel pro Tag (bpd) ausgeht, was nicht mehr sehr weit entfernt wäre von den 100 Mill. bpd des Jahres 2019. Was die längerfristige Entwicklung betrifft, so lässt sich außerdem argumentieren, dass die Investitionen in der globalen Ölindustrie deutlich zurückgegangen sind. Betrugen sie 2019 noch 530 Mrd. Dollar, dürften es 2020 nach Schätzungen von Rystad Energy nur noch 380 Mrd. Dollar sein und 2021 möglicherweise sogar nur noch 300 Mrd. Dollar werden. Dies dürfte sich zumindest auf mittlere Sicht dämpfend auf die Entwicklung des Ölangebots auswirken.Die Ölpreis-Optimisten führen außerdem an, dass in den USA die Lagerbestände an Rohöl in der vergangenen Woche überraschend um 754 000 Barrel gesunken sind – während allgemein mit einem leichten Anstieg gerechnet wurde. Eugen Weinberg, Leiter des Rohstoff-Researchs der Commerzbank, bemerkt dazu allerdings, dass gleichzeitig die Benzinvorräte kräftig um 2,2 Mill. Barrel zugelegt haben. Dies werde in der gegenwärtig ausgelassenen Stimmung am Markt gerne übersehen.Den Ölpreis stützt ferner, dass das Produzentenkartell Opec, das sich durch das Bündnis mit weiteren wichtigen Erzeugerländern wie Russland deutlich aufgewertet hat, auf seinem Ministertreffen am kommenden Montag und Dienstag wohl eine Verlängerung der Förderkürzungen auf dem gegenwärtigen Niveau um drei Monate bis Ende März beschließen wird. Dies könnte den Ölpreis für eine Weile auf dem gegenwärtigen Niveau stabilisieren. Sollte es allerdings zu einem weiteren Anstieg kommen, wäre das zumindest fundamental nicht zu begründen. Denn dass sich die Opec noch zu weitergehenden Maßnahmen durchringt, die weitere Preisavancen rechtfertigen würden, ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Im Laufe der Zeit dürften mehr Opec-Mitglieder den Wunsch verspüren, ihre Förderung wieder stärker hochzufahren – sei es durch eine angestrebte Änderung der Beschlüsse oder schlicht durch deren Nichtbeachtung.Einem weiteren Anstieg des Ölpreises steht auch entgegen, dass die gegenwärtigen Hoffnungen hinsichtlich der Corona-Impfstoffe und der von Impfkampagnen ausgelösten wirtschaftlichen Erholung überzogen sind. So erfordern einige westliche Impfstoffe eine flächendeckende Infrastruktur für die Kühlung auf – 80° Celsius, die nur in wenigen Ländern zu realisieren ist. Außerdem entwickeln die meisten Impfstoffe erst nach 30 bis 40 Tagen ihre volle Wirksamkeit. Nicht unterschätzt werden sollte auch die Skepsis der Bevölkerung gegenüber den Impfstoffen in weiten Bereichen der westlichen Welt, die von der Pandemie besonders betroffen ist.Berücksichtigt man noch, dass sich die Gegenmaßnahmen der Regierungen in vielen Ländern gegenwärtig als zu wenig effektiv herausstellen, muss man damit rechnen, dass die Pandemie – wie von der WHO befürchtet – noch recht lange grassieren wird. Damit könnten sich Prognosen wie diejenige der IEA über den Ölverbrauch im kommenden Jahr als zu optimistisch herausstellen. Für den Ölpreis bedeutet dies, dass ausgehend vom aktuellen Niveau eher mit einer Korrektur nach unten als mit weiteren Anstiegen zu rechnen ist.——Von Dieter KuckelkornBeim Preis des Energieträgers Öl ist ausgehend vom aktuellen Niveau eher mit einer Korrektur nach unten als mit weiteren Anstiegen zu rechnen.——