IM INTERVIEW: MICHAEL HASENSTAB

"Überzogener Optimismus"

Franklin Templeton: Nationalistische Tendenzen in Europa noch lange nicht gebannt - Risiko für Investoren

"Überzogener Optimismus"

Der bekannte Anleihemanager Michael Hasenstab blickt skeptisch auf europäische Staatsanleihen. Käme es wie 2011 in Griechenland zu einer Krise, läge eine gemeinsame Lösung in weiter Ferne, warnt der Executive Vice President und Investmentchef der Franklin-Templeton-Konzerneinheit Templeton Global Macro.- Herr Hasenstab, in den von Ihnen verwalteten Anleihefonds haben Staatsanleihen aus Mexiko, Südkorea, Indien und Brasilien ein hohes Gewicht, während das für Titel aus der Eurozone nicht der Fall ist. Warum meiden Sie Europa?Das größte Risiko ist ein mangelnder politischer Zusammenhalt. Nach der Wahl des französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Mai hat sich ein überzogener Optimismus breitgemacht, dass die Eurozone gegen nationalistische Tendenzen gewappnet sei – dabei hat seine Herausforderin Marine Le Pen 34 % der Stimmen erhalten. Der Wahlerfolg der AfD in Deutschland und der rechtsgerichteten Koalition in Österreich sind ein weiteres Zeichen, ähnlich wie die Stärke der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit in Polen oder Fidesz in Ungarn. Die nationalistischen Tendenzen stehen einer politischen Integration im Weg. Es ist schwer zu sehen, wie Europa eine weitreichende Krise gemeinsam lösen könnte.- Aber die Integration ist vorangekommen, zum Beispiel mit der Bankenunion.Das stimmt, die Bankenunion ist ein großer Fortschritt. Aber die Stabilität der Eurozone beruht auch auf der Fiskal- und der politischen Union. In der Fiskalunion bewegt sich derzeit kaum etwas, und die politische Union geht in eine andere Richtung. Es gibt sicherlich Kräfte in Europa, die eine Integration voranbringen wollen. Aber ihre Fähigkeit ist geschwächt.- Welche Folgen sehen Sie für Investoren?Vorerst ist Europa stabil, aber bei einer Krise wäre das nicht mehr der Fall. Würden beispielsweise die zehnjährigen Anleiherenditen von Italien über die Marke von 4 % steigen, wäre eine Diskussion über die Stabilität des Landes die Folge. Ein gemeinsames Handeln wie bei der Griechenland-Rettung 2011 wäre heute schwer vorstellbar. Das ist ein Risiko für die Peripherieländer, für die Anleihemärkte und für den Wert des Euro. Gegen einen Wertverlust der Währung haben wir uns im Portfolio daher abgesichert.- Sie meiden derzeit nicht nur europäische, sondern auch US-amerikanische Anleihen. Was stimmt Sie skeptisch?Die Nachfrage nach US-Staatsanleihen dürfte sich abschwächen. Die Notenbank Federal Reserve hat seit dem Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise insgesamt rund ein Viertel der Nettokreditaufnahme der USA finanziert – doch nun zieht sich die Notenbank zurück. Das wird aus unserer Sicht dazu führen, dass die Anleiherenditen von US-Staatsanleihen steigen und der Wert der Papiere somit fällt.- Aber gibt es für US-Staatsanleihen nicht andere Käufer?Derzeit ist nicht absehbar, wer die Lücke füllen kann. Die Fed war anders als private Investoren bereit, auch bei sehr geringen Anleiherenditen zu kaufen. Auch Zentralbanken aus Asien, die über US-Anleihen Devisenreserven aufgebaut haben, sowie die Öl exportierenden Länder haben traditionell eine hohe Nachfrage nach US-Staatsanleihen gezeigt, halten sich nun aber zurück. Privatwirtschaftliche Investoren reagieren viel stärker auf den Preis. Sie greifen oft erst zu, wenn die Anleiherenditen gestiegen sind.- Sie haben in den zurückliegenden Monaten vor einer möglichen Rezession der US-Wirtschaft gewarnt. Wann wird es aus Ihrer Sicht dazu kommen?Vorerst sind die Aussichten robust. Die Steuern dürften auf die eine oder andere Weise sinken, während – noch wichtiger – die Finanzregulierung gelockert wird. Die Beschäftigung wird voraussichtlich weiter wachsen. Eine Begrenzung der Einwanderung – der legalen und der illegalen Einwanderung – wird dazu führen, dass die Löhne steigen und die Inflation anzieht. Für die nächsten ein oder zwei Jahre sind die Aussichten gut, doch irgendwann könnte ein Wendepunkt kommen. Wir wissen es derzeit noch nicht.- Können Sie sich vorstellen, wieder US-Staatsanleihen zu kaufen?Das ist jederzeit denkbar und hängt vom Bewertungsniveau und dem Stand im Konjunkturzyklus ab. US-Staatsanleihen sind zwar stark gestiegen. Sollte es zu einer typischen Rezession ohne Inflation kommen, ist der Kauf von US-Staatsanleihen aber plausibel. Sollten wir allerdings das Risiko einer Stagflation sehen, also einer Rezession mit hoher Inflation, wären US-Staatsanleihen vermutlich nicht das beste Investment. Eine Stagflation könnte sich durch starke Einschränkungen im Handel und in der Einwanderung ergeben.- Auch aus Japan, einem weiteren großen Industrieland, halten Sie sich derzeit zurück.Der japanische Premierminister Shinzo Abe hat gerade eine weitere Wahl gewonnen. Die Politik des Quantitative Easing ist verankert und er hat die gesamte Führung der Bank of Japan mit Tauben, also expansiv agierenden Notenbankern, besetzt. Es ist wahrscheinlich, dass die Notenbank weiterhin Anleiherenditen nahe der Nullmarke anstrebt, während die Federal Reserve in den USA die Leitzinsen anhebt und ihr Anleihekaufprogramm zurückfährt. Die Lücke zwischen dem Zinsniveau in den USA und in Japan dürfte also zunehmen. Das wird den Yen schwächen.- Sie blicken kritisch auf die Japan, Europa und Japan. Sind Sie also ein Fan von Schwellenländern?Nicht jedes Schwellenland erscheint attraktiv. Wir gehen selektiv vor und sind beispielsweise nicht in Russland, der Türkei, Nigeria oder Venezuela investiert. Aber viele Schwellenländer sind heute stabiler aufgestellt als früher. Sie sind weniger abhängig von Auslandsschulden, türmen keine großen Handelsdefizite mehr auf und wenden sich gegen Inflation. Wir sehen eine fiskalpolitische Disziplin, eine zurückhaltende Geldpolitik, ein Öffnen der Märkte, eine eher orthodoxe Politik also, anders als in weiten Teilen der westlichen Welt. Die Zinssätze sind hoch und liegen etwa im zweistelligen Prozentbereich in Argentinien oder im oberen einstelligen Bereich in Indien, Mexiko und Indonesien. Auch wenn die Zinsen in den USA steigen, besteht immer noch eine große Differenz. Darin sehen wir eine Chance.- Sie verantworten ein Vermögen von rund 130 Mrd. Dollar. Ist Ihr Einfluss auf Regierungen nicht außerordentlich stark?Unsere Größe ermöglicht eine strategische Partnerschaft. Wir können bei der Entwicklung des Marktzugangs helfen. Wenn wir als Investoren an einem Land interessiert sind, fragen wir auch lange Laufzeiten nach und fördern mit unserer Nachfrage die Liquidität, so dass ein Land einen besseren Marktzugang erhält. Das ist eine Win-win-Situation.- Haben Investoren einen Einfluss auf die Politik eines Landes?Einen großen Einfluss sehe ich nicht. Politiker müssen verschiedene Interessen berücksichtigen. Eine gute Finanz-, Geld- und Handelspolitik ist ja auch nicht nur Voraussetzung für eine solide Rendite für Investoren, sondern auch im Interesse des Landes. Uns geht es nicht gut, wenn es dem Land nicht auch gut geht. Die Interessen stimmen also überein.—-Das Interview führte Jan Schrader.