DEVISENWOCHE

Unabhängiges Schottland nur kurz eine Belastung

Von Ulrich Leuchtmann *) Börsen-Zeitung, 16.9.2014 Die Schotten stimmen am Donnerstag über ihre Unabhängigkeit ab. Auch wenn bislang die meisten Umfragen eine Mehrheit für den Verbleib im Vereinigten Königreich (United Kingdom, UK) andeuten, dürfte...

Unabhängiges Schottland nur kurz eine Belastung

Von Ulrich Leuchtmann *)Die Schotten stimmen am Donnerstag über ihre Unabhängigkeit ab. Auch wenn bislang die meisten Umfragen eine Mehrheit für den Verbleib im Vereinigten Königreich (United Kingdom, UK) andeuten, dürfte das Referendum knapper ausfallen, als viele lange angenommen hatten. Damit ist es ein Thema am Devisenmarkt. Hier werden die Szenarien, die für den Fall eines Ja-Votums (also für die Unabhängigkeit) gezeichnet werden, immer dramatischer. Mehr als 10 % würde das Pfund dauerhaft abwerten, argumentieren einige. Man sollte die Kirche im Dorf lassen.Ein Ja-Votum bedeutet nicht die sofortige Unabhängigkeit Schottlands. In 18 Monaten sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein und Schottland das Vereinigte Königreich verlassen. Der Devisenmarkt würde diese Entwicklung natürlich vorwegnehmen. Bereits in der Nacht auf Freitag würden wir deutliche Reaktionen sehen. Die wären vor allem der Tatsache geschuldet, dass wir im Fall eines Ja-Votums eine lange Phase der Unsicherheit vor uns hätten. Lange würde der Devisenmarkt nicht genau wissen, wie die Unabhängigkeit Schottlands ausgestaltet würde. Der Grad der Unsicherheit bestimmt somit, wie stark das Pfund belastet würde. Diesbezüglich müssen wir unterscheiden zwischen Theaterdonner vor dem Referendum und der Realität danach. Theaterdonner vor der WahlSo hatte der scheidende EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gedroht, Schottland könne im Fall der Unabhängigkeit aus der Europäischen Union fliegen. Die Unsicherheit, die Barroso erzeugte, ist Wahlkampfunterstützung für die Regierung in London und die “No”-Unterstützer in Schottland. Nach dem Referendum ist sie obsolet. Denn wer würde – wenn Schottlands Unabhängigkeit unumkehrbar wäre – noch ein Interesse daran haben, das Land aus der EU zu verstoßen? Die Mitgliedschaft ist keine Gnade der EU, sie ist im wechselseitigen Interesse. Freier Warenverkehr zwischen einem unabhängigen Schottland, Rest-UK und der restlichen EU ist insbesondere deshalb im Interesse aller, weil es bereits der Status quo ist und eine Änderung für alle Beteiligten unangemessene Anpassungskosten implizieren würde. Offizielle Währungsunion?Ähnliches gilt für die Frage der Währungsunion eines unabhängigen Schottlands mit Rest-UK. Momentan lehnen die britische Regierung und die Bank of England (BoE) solch eine Währungsunion kategorisch ab. Damit erhöhen sie das Risiko, das mit einem Ja-Votum verbunden ist. Die Argumente von Regierung und BoE gegen eine Währungsunion sind fadenscheinig. Entweder stellt das Vereinigte Königreich in der jetzigen Konstellation einen optimalen Währungsraum dar. Dann wäre es im Interesse des Rest-UK, mit einem unabhängigen Schottland eine Währungsunion einzugehen, um den optimalen Währungsraum zu erhalten. Oder der Pfund-Währungsraum ist im jetzigen Zuschnitt (inklusive Schottland) nicht optimal. Dann wäre eine Unabhängigkeit Schottlands inklusive der Abschaffung des Pfundes in Schottland die beste Lösung. In ihrer jetzigen Form macht die Argumentation von Regierung und BoE zur Währungsunion auf jeden Fall wenig Sinn. Sie dürfte als Unsicherheit erzeugender Theaterdonner anzusehen sein, der sich nach dem Referendum legen dürfte. Insgesamt gilt also: Die wichtigsten Punkte, die im Fall eines Ja-Votums das Pfund belasten würden, wären kurzfristiger Natur. Die Unsicherheitsprämie, die der Markt bei einem Ja einpreisen würde und die das Pfund belasten würde, dürfte geringer werden, sobald sich die Gemüter beruhigt hätten und vernünftige Verhandlungen geführt würden. Alternative “Pfundisierung”?Eine Alternative zur Währungsunion wäre die unilaterale Beibehaltung des Pfundes als Zahlungsmittel durch ein unabhängiges Schottland, ähnlich der “Dollarisierung” in einigen lateinamerikanischen Ländern. Klar, die BoE würde dann mit ihrer Geldpolitik nicht mehr direkt auf die besonderen Bedürfnisse Schottlands Rücksicht nehmen. Allerdings ist fraglich, in welchem Umfang sie das jetzt tut. Für das Pfund wäre das auf jeden Fall keine schlechte Nachricht. Die schottischen Banken könnten in Rest-UK domiziliert werden und wären dann weiterhin in der Lage, sich bei der BoE zu refinanzieren.Bleibt Schottland in der EU und geht eine Währungsunion mit Rest-UK ein (oder übernimmt das Pfund unilateral), muss man sich Fragen, was sich realwirtschaftlich ändert. Waren und Kapital könnten über die neue innerbritische Grenze weiterhin ungehindert fließen. Außer einem Grenzzeichen am Straßenrand bliebe zunächst alles beim Alten. Auch dass Rest-UK dann aufgrund der Notwendigkeit, Nordseeöl aus Schottland zu importieren, ein noch größeres Leistungsbilanzdefizit aufweisen würde, wäre für die Pfund-Wechselkurse wenig relevant. Denn Schottlands Leistungsbilanz würde einen entsprechenden Überschuss aufweisen. Was zählt, ist die Leistungsbilanzposition des Währungsraumes. Und die bliebe für den Pfund-Währungsraum insgesamt unverändert. Abschaffung des Pfundes?Anders sähe es aus, wenn Schottland nicht das Pfund übernehmen würde. Momentan sieht es nicht danach aus. Nach der Verhandlungsphase dürfte es entweder eine Währungsunion oder eine “Pfundisierung” geben. Langfristig könnte sich das freilich ändern. Schottland könnte sich entschließen, eine eigene Währung oder den Euro einzuführen. In dem Fall wird es kompliziert. Um eine Währungsreform (inklusive der Zerstörung großer Teile der Finanzvermögen) zu verhindern, müsste die schottische Regierung eine Währung einführen, deren Attraktivität sehr genau der des Pfundes entspricht. Sonst würde jedermann den Umtausch in die attraktivere der beiden Währungen wählen. Ob das ohne Friktionen gelingen könnte, ist fraglich. Wäre die neue schottische Währung attraktiver, könnte das Pfund abwerten – auch gegenüber Drittwährungen. Doch das ist Zukunftsmusik. Auf absehbare Zeit dürfte es keine schottische Währung geben.Das Pfund käme bei einem Votum für Schottlands Unabhängigkeit unter Druck. Doch die Folgen dürften weniger nachhaltig sein als von Pessimisten befürchtet. Die Unsicherheit darüber, wie es weitergeht, ist großenteils künstlich und wurde erzeugt, um ein für Londons Regierung genehmes Ergebnis zu befördern. Nach einem Ja-Votum wäre eine Pfund-Abschwächung kaum von langer Dauer.—-*) Ulrich Leuchtmann ist Leiter des Devisen-Research der Commerzbank.