TECHNISCHE ANALYSE

Und plötzlich kommt alles ganz anders

Von Christoph Geyer *) Börsen-Zeitung, 11.5.2016 Die Marktteilnehmer haben die Wunden der schlimmen Börsenentwicklung in den ersten Monaten dieses Jahres noch nicht ganz verkraftet, da droht ihnen bereits neues Ungemach. Es ist in diesem Jahr...

Und plötzlich kommt alles ganz anders

Von Christoph Geyer *)Die Marktteilnehmer haben die Wunden der schlimmen Börsenentwicklung in den ersten Monaten dieses Jahres noch nicht ganz verkraftet, da droht ihnen bereits neues Ungemach. Es ist in diesem Jahr besonders auffällig, dass die üblichen Zyklen, die ein amerikanisches Präsidentschaftswahljahr normalerweise prägen, bisher keine Anwendung finden. Vermutlich liegt es auch daran, dass ein Präsidentschaftswahljahr nicht gleich ein Präsidentschaftswahljahr ist. In Jahren, in denen der Präsident wiedergewählt werden darf, weil er noch keine zweite Amtszeit hinter sich gebracht hat, verläuft der Markt nämlich besser als in einem Jahr, in dem ein neuer Kandidat gewählt werden muss. Aufwärtstrend gebrochenDiese Erkenntnis hat natürlich auch Auswirkungen auf den heimischen Dax. Ein Blick auf den langfristigen Chart offenbart, dass der seit Mitte 2011 bestehende Aufwärtstrend längst keine Rolle mehr spielt. Nachdem dieser Trend bereits Mitte 2014 gebrochen wurde, zeigte sich noch einmal ein kräftiger Anstieg mit neuen Topwerten. Diese wurden in der ersten Hälfte des zurückliegenden Jahres erreicht. Seither befindet sich der Markt aber in einem Abwärtstrend und hat sogar die wichtige Unterstützungslinie bei ungefähr 9 000 Punkten getestet. 9 000er Schwelle wichtigerEbenso wird im Langfristchart deutlich, dass die 9 000er Marke offenbar eine viel größere Bedeutung für die Marktteilnehmer hat als die immer wieder in den Medien diskutierte 10 000er Marke. Dieses Verhalten zeigt einmal mehr, dass große runde Marken zwar eine hohe Aufmerksamkeit genießen und auch eine psychologische Anziehungskraft besitzen, häufig aber keine signifikante technische Marke darstellen. Der bestehende übergeordnete Abwärtstrend ist weiterhin intakt und konnte auch mit dem jüngsten Anlauf nicht verlassen werden. Auch von der Indikatorenlage sieht die Situation alles andere als entspannt aus. Der MACD-Indikator kippt wieder nach unten, und der Stochastik-Indikator hat ein Verkaufssignal generiert. Oft ist es so, dass der MACD-Indikator wenig später das Signal des Stochastik-Indikators bestätigt. So könnte es auch dieses Mal wieder passieren.Im kurzfristigen Chart sieht die Lage nicht besser aus. Der Aufwärtstrend seit Mitte Februar stellt lediglich eine Korrekturbewegung im übergeordneten Abwärtstrend dar.Dieser Trend wurde bereits nach wenigen Wochen Ende März gebrochen. Genau wie im Langfristchart auch konnten anschließend zwar neue Höchststände generiert werden, diese wurden aber noch vor dem Erreichen der Abwärtstrendlinie wieder verlassen. Im Rahmen des neuen kurzfristigen Abwärtstrends war zu beobachten, dass an Tagen mit rückläufigen Notierungen die Umsätze angezogen haben, während Erholungstage eher von fallenden Volumen begleitet wurden. Vertrauen fehltDies ist ein Zeichen dafür, dass die Marktteilnehmer kein Vertrauen in eine möglicherweise beginnende freundlichere Bewegung haben. Ebenso auffällig gestaltet sich, genau wie beim Langfristchart, derzeit die Indikatorenlage. Zunächst hatte der Stochastik-Indikator ein Verkaufssignal generiert. Der MACD-Indikator bestätigte dieses wenig später. Somit dürfte der Ausbruchsversuch aus dem Abwärtstrend als gescheitert bezeichnet werden.Der Bereich um 10 000 Punkte stellte im März, anders als im übergeordneten Bild zu sehen, einen gewissen Widerstand dar. Als dieser im April gebrochen wurde, hätte er eigentlich zur Unterstützung werden sollen. Dass dies nicht der Fall war, wurde mit dem Unterschreiten dieses Bereichs Anfang Mai klar. Offenbar stellt die Marke also keine allzu große Orientierungsgröße für die Akteure dar. Test der 9 500er MarkeEine kurzfristig wichtigere Marke ist dagegen bei ca. 9 500 Punkten auszumachen. Hier fand der Index zuletzt Anfang März und Anfang April Halt. Die besagten Indikatoren deuten darauf hin, dass dieser Bereich erneut zumindest getestet wird. Ob dann ein Halten oder Unterschreiten dieser Linie erfolgt, kann jetzt noch nicht gesagt werden.Wie geht es aber mit der Zyklik weiter? Im aktuellen Präsidentschaftswahljahr sollte sich im zweiten Halbjahr eine Verbesserung der Lage einstellen. Was die Statistik allerdings nicht berücksichtigen kann, ist die Überlegung, ob der designierte Präsident auch der Wall Street gefällt. So gehen die Diskussionen derzeit weit auseinander, wie der neue Präsident oder die neue Präsidentin denn bei den Marktteilnehmern ankommt und wer denn die oder der Bessere wäre. Das Land scheint jedenfalls in dieser Frage gespaltener zu sein als sonst üblich. Gänzlich anderer VerlaufVor diesem Hintergrund könnte auch im zweiten Halbjahr die Statistik völlig negiert werden und sich ein gänzlich anderer Verlauf einstellen. So würde es in diesem Jahr plötzlich ganz anders kommen als in früheren Präsidentschaftswahljahren, in denen ein sich ein neuer Kandidat durchgesetzt hat.—-*) Christoph Geyer ist technischer Analyst bei der Commerzbank.