Chinesische Aktien

Ungemütliche Stimmung an Chinas Aktienmarkt

China-Anleger hatten im April einen unerwarteten Rückschlag zu verdauen. Trotz attraktiver Bewertungsrelationen und anziehenden Unternehmensgewinnen überwiegt eine pessimistische Grundstimmung, die nicht einfach zu verscheuchen sein wird.

Ungemütliche Stimmung an Chinas Aktienmarkt

Ungemütliche Stimmung an Chinas Aktienmarkt

Anleger zögern beim „Reopening Play“ – Geopolitische Störfaktoren belasten – Niedrige Bewertung lockt zum Langfristengagement

China-Anleger hatten im April einen unerwarteten Rückschlag zu verdauen. Trotz attraktiver Bewertungsrelationen und anziehenden Unternehmensgewinnen überwiegt eine pessimistische Grundstimmung, die nicht einfach zu verscheuchen sein wird.

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Aus fundamentaler Sicht spricht derzeit einiges für ein beherzteres Zugreifen bei China-Aktien, aber entsprechende Ermunterungen seitens globaler Investmentbanken stoßen bei internationalen Anlegern noch auf taube Ohren. Es überwiegt eine pessimistische Grundstimmung, die den MSCI China Index als wichtige Benchmark für das ausländischen Investoren gut zugängliche Spektrum an chinesischen Blue-Chip- und Midcap-Werten über den April hinweg fühlbar gedrückt.

Zur Wochenmitte ist zwar ein sich über sechs Handelstage hinwegziehender Sell-off bei China-Aktien wieder ausgetrudelt. Dennoch sieht man nicht genügend Zuversicht, um Analystenrufen zu folgen, die dazu auffordern, an einer länger gestreckten Rally früh zu partizipieren.

Der April hat zunächst einmal eine herbe Enttäuschung gebracht. Trotz ansprechender Konjunkturdaten mit einem über den Erwartungen liegenden Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 4,5% im ersten Quartal und einem im März sehr kräftigen Anstieg der Einzelhandelsumsätze von 10,6% gegenüber Vorjahresmonat hat sich die pessimistische Grundstimmung noch nicht gelegt. Nach Berechnungen von Bloomberg haben China-Aktien im April rund 450 Mrd. Dollar an Marktwert eingebüßt. Beim MSCI China registriert man die schlechteste Performance für einen Aprilmonat seit 2004.

Zum einen haben geopolitische Faktoren rund um die Taiwan-Frage und Chinas Haltung im Ukraine-Krieg neue Unsicherheit eingebracht und das Sentiment getrübt.

Zum anderen hegen die Investoren noch immer einige Zweifel, ob die wortreiche Bekundungen der nach dem Volkskongress im März neu aufgestellten chinesischen Regierung in Sachen verstärkte Unterstützung der Privatwirtschaft tatsächlich eine Abkehr von regulatorischen Kampagnen gegenüber besonders profitablen chinesischen Unternehmen etwa im Technologiesektor bedeuten.

Nach dem jüngsten Sell-off sprechen vor allem sehr stark gedrückte Bewertungsrelationen für eine Gegenbewegung, zumal wieder neuer Schwung in die Entwicklung der Unternehmensergebnisse kommt. Gegenwärtig werden die im MSCI China vertretenen Aktien mit einem Multiplikator von 7,6 auf die erwarteten operativen Gewinne bewertet. Damit liegt man fast 10% unter dem langfristigen Durchschnitt. Das aktuelle Bewertungsverhältnis weist eine extrem hohe Abweichung von 34% zum entsprechenden Multiplikator bei der globalen Benchmark MSCI All Country World Index (ACWI), gegenüber dem S&P 500 in den USA beträgt der Abstand gar 45%.   

Als Optimisten geoutet

Goldman Sachs und Morgan Stanley outen sich mit Blick auf die Bewertungsrelationen als Optimisten zum Markttrend in China und weisen auf positive Signale bei der gerade anstehenden Welle von Unternehmensergebnissen für das erste Quartal hin. Goldman Sachs zufolge haben 90% der bis Ende April über das erste Quartal berichtenden börsennotierten Unternehmen eine positive „Guidance“ zur Gewinnentwicklung verbreitet, was deutlich über dem historischen Durchschnitt von 60 bis 70% liegt.

Bei den Firmen, die bereits berichtet haben, stechen der als repräsentativer Konsumwert in den China-Portefeuilles globaler Fonds sehr stark vertretene Spirituosenriese Kweichow Moutai und der weltgrößte Batteriehersteller für Elektroautos CATL positiv hervor. In beiden Fällen haben die Gewinne im ersten Quartal die Schätzungen klar übertroffen, was zur Nervenberuhigung beitragen könnte. Seitens des Asienstrategie-Teams bei Morgan Stanley heißt es, die jüngste Kursdelle biete langfristig orientierten Investoren eine neue Einladung, sich bei Werten zu engagieren, die von der Konjunkturerholung beziehungsweise postpandemischen „Wiederöffnung“ der chinesischen Wirtschaft profitieren.

Große Enttäuschung

Als große Enttäuschung beim sogenannten „Reopening Play“ haben sich Chinas Onlinehändler erwiesen, wobei die deutlich hinter Alibaba rangierende hinter Nummer 2 im Markt, JD.com, besonderen Kummer macht. Bei JD.com wird rund die Hälfte des Umsatzvolumens im E-Commerce-Bereich mit elektronischen Konsumgeräten und größeren Haushaltsanschaffungen bestritten, damit in einem Ausschnitt des Retailgeschäfts, in dem sich die Verbrauchernachfrage nur sehr zäh erholt. Gleichzeitig hat JD.com die Anleger mit einer Preissenkungsoffensive verstört, die sich in die Margen zu fressen droht.

Allgemeiner Abverkauf

Konkurrenten wie Alibaba und Pinduoduo haben zwar unter dem allgemeinen Abverkauf bei chinesischen Tech-Werten in den letzten Wochen mitgelitten, JD.com aber hat es richtig kalt erwischt. Die Aktie weist die schlechteste Performance unter den im Hang Seng Tech Index an der Hongkonger Börse vertretenen Werten und hat im bisherigen Jahresverlauf trotz aller „Wiederöffnungsfantasie“ mehr als ein Drittel eingebüßt.

Bei der Frage, inwieweit die chinesische Wirtschaft vor allem über konsumgeleitete Impulse die relative Wachstumsschwäche des vergangenen Jahres überwindet und auf Normalisierung zusteuert, wird eine in Kürze beginnende Ferienpause rund um den Maifeiertag der nächste Hingucker sein. Marktbeobachter verfolgen mit Argusaugen, ob die sich nun abzeichnende erste große Reisewelle seit Aufgabe der chinesischen Pandemie-Restriktionen echte Aufbruchsstimmung erzeugen wird, die sich in Form eines gestärkten Konsumvertrauens auch auf den Aktienmarkt positiv auswirken sollte.

Dabei besteht freilich die Gefahr, dass hochgesteckte Erwartungen nicht erfüllt werden und das tatsächliche Ausgabeverhalten der Verbraucher beim ersten touristischen Saisonhöhepunkt seit dem Ausstieg aus Corona-Restriktionen gegenüber präpandemischen Zeiten weiter deutlich zurückliegt. Den chinesischen Festlandbörsen wird in der kommenden Woche feiertagsbedingt eine Verschnaufpause bis zum 3. Mai gegönnt. Dann werden die in China für die Maifeiertage sorgsam erfassten Aktivitätsdaten aus Tourismus und Einzelhandel einen neuen Orientierungspunkt zum Konsumtrend darstellen.

Sollten die Erwartungen der Investoren hier klar enttäuscht werden, müssen man sich freilich darauf gefasst machen, dass die pessimistische Stimmung über den Mai hinweg anhält und die Kombination aus robusteren Unternehmensgewinne und schwachen Bewertungsrelationen noch nicht dazu ausreicht, wieder „long“ in Aktien aus dem Reich der Mitte zu gehen.

Von Norbert Hellmann, Schanghai