TECHNISCHE ANALYSE

Unsicherheiten? Welche Unsicherheiten?

Von Christoph Geyer *) Börsen-Zeitung, 17.5.2017 Es ist ja allgemein bekannt, dass politische Börsen kurze Beine haben. Aber dass diese so kurz sind wie in den vergangenen Monaten, hat wohl kaum jemand gedacht. Die Wahl des neuen US-Präsidenten,...

Unsicherheiten? Welche Unsicherheiten?

Von Christoph Geyer *)Es ist ja allgemein bekannt, dass politische Börsen kurze Beine haben. Aber dass diese so kurz sind wie in den vergangenen Monaten, hat wohl kaum jemand gedacht. Die Wahl des neuen US-Präsidenten, vor der sich doch viele Marktteilnehmer gefürchtet hatten, brachte lediglich zur Börseneröffnung eine Abwärtsbewegung. Anschließend startete der Dax eine beispiellose Rally. Die Wahl in den Niederlanden, die ebenfalls von vielen Börsianern zur Schicksalswahl hochstilisiert wurde, brachte anschließend keine Entlastungsrally. Auch was die Wahl in Frankreich betraf, machten sich die Anleger im Vorfeld viele Sorgen um einen Rechtsruck. Dieser blieb aus, und die Notierungen am Tag nach der Wahl bewegten sich, nachdem im Vorfeld der Stichwahl schon einiges eingepreist war, kaum von der Stelle. Natürlich, werden Kritiker nun sagen, es hätte alles auch ganz anders kommen können. Kaum KorrekturenDas ist selbstverständlich richtig und soll auch nicht wegdiskutiert werden. Ungeachtet dessen ist es trotzdem auffällig, wie wenig die Märkte die unbestritten anhaltenden Unsicherheiten in den verschiedenen Regionen der Erde bewerten. Es hat fast den Anschein, als würden die Anleger die wirtschaftlichen Ereignisse von den Sorgen und Nöten in der Welt trennen. Es ist beachtlich, welche Aufwärtsbewegung der Dax seit Anfang 2016 vollzogen hat. Von einer Basis unter 9 000 Punkten konnte er sich in nur wenig länger als einem Jahr auf einen neuen Rekordwert bewegen. Dabei gab es Mitte letzten Jahres immerhin eine Korrekturbewegung um über 1 000 Punkte. Auch in der zweiten Jahreshälfte war eine Schwankungsbreite um mehrere hundert Punkte zu beobachten. Seit dem US-Wahltag im Spätherbst letzten Jahres waren die Korrekturbewegungen aber kaum noch der Rede wert. Auffällig war wenige Wochen nach der Wahl der Ausbruch über den Widerstand und der damit verbundene nachhaltige Bruch des Abwärtstrends, der schon seit Anfang 2015 bestanden hatte. Neuer Trend eingeleitetDamit wurde ein neuer Trend eingeleitet, der bis heute anhält. Betrachtet man die Indikatoren auf Wochenbasis, so hat der MACD-Indikator zuletzt mit dem Abprallen an der eigenen Triggerlinie ein neues, vielleicht aber auch finales Kaufsignal generiert. Dies bedeutet, dass der Dax zwar noch einen kräftigen Anstieg sehen könnte, im Sommer aber dann mit Gewinnmitnahmen gerechnet werden darf.Der Blick auf den kurzfristigen Chart gibt weitere interessante Einblicke in die aktuelle technische Lage. Der bereits im Langfristchart beschriebene Ausbruch im Dezember 2016 wird hier in seiner ganzen Deutlichkeit sichtbar. Erfreulich war zu diesem Zeitpunkt auch das Anziehen der Umsätze. Seitdem befindet sich der Markt in einem Aufwärtstrend, der lediglich durch sehr kurze, kaum wahrnehmbare Korrekturen unterbrochen wurde. Trotz des anhaltenden Anstiegs konnten die Divergenzen beim MACD-Indikator nicht abgebaut werden. Selbst das jüngste Rekordhoch im Index sorgte bislang nicht dafür, dass der MACD-Indikator an sein Top von Ende Dezember letzten Jahres heranlaufen konnte. WarnsignalDer Blick auf den Stochastik-Indikator zeigt zunächst ein Verkaufssignal. Dieses darf aber bei einem solch stabilen Trend, wie er sich beim Dax darstellt, nicht überbewertet werden, da dieser Indikator in starken Trends nicht funktioniert. Gleichwohl kann dieser bei einer Trendwende wichtige Hinweise auf die weitere Entwicklung geben, weshalb darauf nicht gänzlich verzichtet werden sollte. Eine solche Divergenz ist zwar kein Verkaufssignal, sie steht aber als Warnsignal für eine Änderung im Trend.Diese muss nicht zwangsläufig entstehen, und eine Divergenz kann auch ohne Korrektur abgebaut werden. Nach einem Trend, der bislang aber ohne größere Korrekturen abgelaufen ist, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine ausgeprägte Gegenbewegung entsteht. Hinzu kommt, dass eine statistische Betrachtung zeigt, dass Jahre, die auf 7 enden, und Jahre, die auf ein US-Wahljahr folgen, in der zweiten Jahreshälfte eher zu einer Konsolidierung neigen als andere Jahre. Dies bedeutet nicht, dass es auch so kommen muss. Es ist lediglich eine statistische Wahrscheinlichkeit. Wichtig für den weiteren Jahresverlauf ist es, den bestehenden Trend genau zu beobachten. Stopp-Kurse zur AbsicherungSolange dieser intakt ist, darf auf keinen Fall eine Positionierung vorgenommen werden, die auf fallende Kurse ausgerichtet ist. Dies würde ein Spekulieren gegen den Trend bedeuten, was meistens teuer bezahlt wird. Sollten sich aber im Spätsommer die Anzeichen häufen, dass eine Korrektur bevorsteht, sollten bestehende Positionen eng mit Stopp-Kursen abgesichert werden. Der spekulative Anleger hat dann die Möglichkeit, aggressiver an den Markt heranzugehen. Dabei ist immer zu beachten, dass die ganze Statistik in den Wind geschrieben werden muss, sobald Ereignisse eintreten, die kein Analyst und kein Analyseansatz der Welt vorhersehen können. Auch aus diesem Grund sollte niemals auf ein aktives Geldmanagement und entsprechende Stopp-Kurse verzichtet werden.—-*) Christoph Geyer ist technischer Analyst bei der Commerzbank.