TECHNISCHE ANALYSE

Untere Umkehr der Zinsen nimmt Gestalt an

Von Jörg Scherer *) Börsen-Zeitung, 10.1.2018 Untere Zinswenden benötigen vor allem eines: viel Zeit! Im vergangenen Jahr fand dieses Börsen-Bonmot mal wieder eine Bestätigung. Zwar fiel die Bewegungsdynamik sowohl dies- als auch jenseits des...

Untere Umkehr der Zinsen nimmt Gestalt an

Von Jörg Scherer *)Untere Zinswenden benötigen vor allem eines: viel Zeit! Im vergangenen Jahr fand dieses Börsen-Bonmot mal wieder eine Bestätigung. Zwar fiel die Bewegungsdynamik sowohl dies- als auch jenseits des Atlantiks mager aus. Schließlich schwankten die zehnjährigen Renditen jeweils nur zwischen 0,15 % und 0,64 % (Deutschland) bzw. 2,02 % und 2,63 % (USA). Vor allem in Amerika ist der Bodenbildungsprozess, der die Marktteilnehmer bereits seit 2012 begleitet, wieder ein Jahr vorangeschritten. Klassisches MusterBeide Entwicklungen spiegeln sich im langfristigen Kursverlauf der zehnjährigen Rendite in den USA wider. Nach den beiden “Hammer”-Umkehrmustern von 2015 und 2016 weist der Jahreschart für die abgelaufenen zwölf Monate eine sogenannte “inside candle” aus. D.h. die Schwankungsbreite von 2017 verblieb vollständig innerhalb des Pendants des Vorjahres. Gleichzeitig stechen die markanten Lunten der letzten drei Jahre hervor, die den unterstützenden Charakter der 2 %-Marke unterstreichen. Für sich genommen bildet die 2017er-Kerze zudem einen klassischen “Doji” – ein Kerzenmuster, welches eine prozyklische Positionierung nahelegt. Dazu passen auch die letzten beiden Jahreshochs. Mit 2,63 % bzw. 2,64 % wurden diese auf nahezu identischem Niveau ausgeprägt. Strategischer SignalgeberMit anderen Worten: Einem Anstieg über die Schlüsselgröße bei 2,64 % messen wir einen signalgebenden Charakter bei. Schließlich würde eine solche Weichenstellung nicht nur den beschriebenen “Doji”, sondern auch den “Hammer” aus 2016 “bullish” auflösen. Gelingt der skizzierte Befreiungsschlag, dürfte die zehnjährige Rendite die Hochs der Jahre 2013/14 bei 3,04 % ins Visier nehmen. Die Bedeutung dieses Levels wird dabei noch zusätzlich durch das Zinstief von 2003 (3,07 %) unterstrichen. Oberhalb dieser Widerstandszone wäre darüber hinaus der sich im langfristigen Chartverlauf andeutende Doppelboden komplettiert, dessen rechnerisches Anschlusspotenzial sich auf knapp 1,70 Prozentpunkte taxieren lässt. Im Erfolgsfall wird demnach ein Test des seit Beginn der 1980er Jahre dominierenden Baissetrends (aktuell bei 3,36 %) mehr als wahrscheinlich. Da der Bodenbildungsprozess Investoren nun schon seit mindestens fünf Jahren begleitet, sind die zeitlichen Mindestanforderungen an eine untere Zinswende inzwischen mehr und mehr erfüllt. Um diesen Prozess nicht zu gefährden, gilt es in Zukunft das 2017er-Tief (2,02 %) – verstärkt durch das Pendant aus dem Jahr 2008 (2,04 %) – nicht mehr zu unterschreiten. Markante DochteDas Spiegelbild der Rendite – der US-T-Note-Future – liefert auf Jahresbasis einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Anders als der Renditechart blieb der US-T-Note-Future in den letzten Jahren neue Extrema schuldig. Hier stammt das Allzeithoch (135 29/32) aus dem Jahr 2012. Darüber hinaus weisen die letzten vier Jahreskerzen jeweils markante Dochte auf. Die letzten drei Kerzen sind dabei sogar als klassische “shooting stars” einzustufen, so dass Investoren derzeit eine Vielzahl von negativen Argumenten ausmachen können. Die Kursentwicklung des abgelaufenen Jahres vollzog sich auch hier innerhalb der großen “shooting stars” aus dem Vorjahr.In der Konsequenz liegt also ebenfalls ein klassisches “inside year” vor, welches bei Notierungen unterhalb der Marke von 123 “bearish” aufgelöst wäre. Bei genauerer Betrachtung fällt sogar auf, dass in vier der letzten fünf Jahre die Tiefs zwischen 123 10/32 und 122 23/32 ausgeprägt wurden. Auf diesem Niveau hat sich somit eine eminent wichtige Haltezone etabliert, deren Unterschreiten zu einem Brandbeschleuniger für den US-T-Note-Future werden könnte. Mögliches Doppel-TopDie Seitwärtsentwicklung der letzten Jahre zeugt durchaus von einem aufgestauten Bewegungspotenzial. Die bereits oben erwähnten markanten Dochte unterstreichen, dass sich dieses eher auf der Unterseite entladen wird. Fällt die beschriebene Bastion, dann dürfte der seit Ende der 1980er Jahre bestehende Aufwärtstrend (aktuell bei 118 27/32) sofort unter Druck geraten. Die These wird untermauert, wenn Anleger die Zeitebene auf den Monatschart des Rentenbarometers herunterbrechen – eine methodische Vorgehensweise, die wir grundsätzlich ans Herz legen. Wenn es noch eines Beweises für die Bedeutung der genannten Schlüsselmarke bei rund 123 bedurft hätte, der Monatschart liefert ihn. Schließlich definiert dieses Level die Nackenlinie eines potenziellen Doppel-Tops. Erschwerend kommt hinzu, dass die Erholung des abgelaufenen Jahres exakt im Dunstkreis der Glättungslinien der letzten 38 bzw. 90 Monate (aktuell bei 127 22/32 bzw. 127 23/32) versandete und zudem ein negatives Schnittmuster der beiden Durchschnitte vorliegt. Ein abgeschlossenes Doppel-Top rückt nicht nur den oben genannten Basisaufwärtstrend – verstärkt durch die 200-Monats-Linie (aktuell bei 119 10/32) – in den Fokus, sondern hält langfristig sogar ein Abschlagspotenzial von rund elf “big figures” bereit. Zumindest in den USA gewinnt die untere Umkehr am Rentenmarkt demnach an Konturen.—-*) Jörg Scherer ist Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland.