GASTBEITRAG ZUR SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (132)

Untergewichtungen im Dollar sind nicht mehr angemessen

Börsen-Zeitung, 22.8.2020 Der US-Dollar ist in den letzten Wochen unter Druck geraten. Manche sprechen bereits von einem Verfall der US-Währung. Aber was ist damit konkret gemeint? Eine weitere Dollar-Abwertung, gar ein Verlust der Funktion des...

Untergewichtungen im Dollar sind nicht mehr angemessen

Der US-Dollar ist in den letzten Wochen unter Druck geraten. Manche sprechen bereits von einem Verfall der US-Währung. Aber was ist damit konkret gemeint? Eine weitere Dollar-Abwertung, gar ein Verlust der Funktion des Dollar als internationale Reservewährung?Wechselkurse als Austauschrelationen zweier Währungen sind letztlich relative Preise für die dahinterstehenden Volkswirtschaften. Verschlechtert sich der Datenkranz einer Volkswirtschaft relativ zur anderen, wertet ihre Währung ab. Genau das ist mit dem Dollar (in Relation zum Euro, aber auch anderen Währungen) passiert. So hat sich der Dollar-Zinsvorteil in realer Rechnung in einen Zinsnachteil gewandelt: Die zweijährigen Realzinsen liegen in den USA heute einige Basispunkte unter denen der Eurozone, vor einem Jahr waren sie über 150 Basispunkte höher. Die amerikanische Notenbank steht in den Augen der Finanzmärkte im Verdacht, bei Bedarf deutlich aggressiver zu handeln als die Europäische Zentralbank. Und zwar weniger durch Zinsabsenkungen – negative Politikzinsen sind in den USA und bei der Fed (noch) nicht populär -, sondern eher durch Anleihekäufe und damit einhergehende Verlängerungen der Notenbankbilanz oder durch unterlassene Zinsanhebungen im Falle doch steigender Inflationsraten. Nach dem Konzept des “Average Inflation Targeting” könnten nach Jahren zu geringer Inflationsraten (in Relation zum ausgegebenen Inflationsziel) auch zu hohe Preissteigerungsraten toleriert werden. Das wird im Zweifel dazu führen, dass der reale Zinsnachteil noch größer wird. Allerdings: Die Beziehung zwischen Änderungen in den Zinsdifferenzen und dem Wechselkurs ist keinesfalls jederzeit so eindeutig wie beschrieben, phasenweise sogar invers, in dem Sinne, dass ein fallender (steigender) Zinsvorteil des Dollars mit einer Aufwertung (Abwertung) einherging.Nach vorn blickend dürften wahrscheinlich nur massive Veränderungen in den realen Zinsdifferenzen zu Lasten des Dollars ihn weiter abwerten lassen. Auslöser wären eine sehr aggressive Fed-Politik (mit sinkendem Nominalzins) oder eine sehr expansive Fiskalpolitik (mit steigenden Inflationserwartungen). Alles in allem sprechen die Faktoren Zins und Inflationserwartungen gegen eine spürbare Aufwertung des Dollar, ob sie die Kraft haben, ihn weiter zu schwächen, hängt wie beschrieben an der Politik von US-Notenbank und US-Finanzministerium. Zwillingsdefizite belastenAls belastend für den US-Dollar wirken ferner die Zwillingsdefizite in den USA. Das Staatsdefizit steigt in diesem Jahr auf 23,8 %, die Schuldenstandsquote auf 141,4 %. Die Eurozone ist zwar ebenfalls nicht kleinlich beim Schuldenmachen, das Budgetdefizit liegt aber dort in diesem Jahr “nur” bei vom IWF geschätzten 11,7 %, die Schuldenquote erreicht 105 %. Die aggressive Fiskalpolitik kann dazu führen, dass der Konjunkturoptimismus zunimmt und die Inflationserwartungen ansteigen, der Realzins damit sinkt und so der Dollar im Außenwert anfänglich weiter gedrückt wird. Das US-Handelsbilanzdefizit steigt in diesem Jahr an, die Eurozone kann einen Überschuss vorweisen.Zwillingsdefizite in Staatshaushalt und Handelsbilanz sind für den Dollar nichts Neues und nicht per se schädlich für den Dollar. Vor allem dann nicht, wenn sie in einer Phase auftreten, in der die Dollar-Realzinsen steigen; so geschehen zu Zeiten der “Reagonomics” in den 80er Jahren. Das ist wie gezeigt aktuell nicht der Fall. Das stark anschwellende US-Budgetdefizit wiederum wird – wenn nicht genügend inländische Ersparnis zur Verfügung steht (was nicht der Fall sein wird) – dazu führen, dass Kapitalimporte (und damit weitere Handelsbilanzdefizite) unumgänglich sind. Das Angebot steigt Der steigende Kapitalbedarf der US-Volkswirtschaft lässt das weltweite Dollarangebot steigen, bei zu geringer internationaler Nachfrage wird der Dollar so lange fallen, bis US-Dollar-denominierte Assets für Anleger günstig genug geworden sind. Diesen Punkt zu ermitteln, ist alles andere als einfach. Er könnte vielleicht schon erreicht sein. Immerhin scheint die Skepsis gegenüber dem Dollar groß zu sein: Die auf einen schwächeren Dollar zielenden Netto-Short-Positionen auf den Währungsterminmärkten sind auf einem mehrjährigen Hoch. Langfristig relativ stabilDas Euro-Dollar-Wechselkursverhältnis ist langfristig betrachtet relativ stabil, sofern man den Korridor hinreichend breit wählt. Bei zu großen Abweichungen von seinem “fairen Wert” scheint er zu diesem wieder hingezogen zu werden. Aktuell ist er ziemlich nahe an seinem langjährigen Mittel von 1,20 Euro. Die Kaufkraftparität als langfristige Gleichgewichtsrelation zwischen Euro und Dollar notiert nur wenig darüber. Insofern befindet sich der Dollar in einem neutralen Terrain.Die US-Währung hat noch weitere Eigenschaften: Sie ist zum einen eine antizyklische Währung, und zum anderen eine “Risk-off-Währung”. Die US-Ökonomie ist generell weniger zyklisch als die viele ihrer Handelspartner. Bei einer globalen Wachstumsbeschleunigung tendiert das internationale Kapital dazu, in die Regionen mit der stärksten Wachstumsamplitude zu strömen. Kapital wird aus den USA abgezogen und wandert zum Beispiel in die stärker wachsenden Schwellenländer oder nach Europa und Asien. “Risk-off” wiederum bezeichnet den Zustand, dass in Phasen, in denen geopolitische oder wirtschaftliche Risiken zunehmen, Kapital in den liquiden US-Staatsanleihenmarkt wandert. Die Dollar-Nachfrage steigt, mit ihr ceteris paribus die Währung.Möglicherweise liegt in diesen beiden Faktoren der Schlüssel zur “richtigen” Dollar-Prognose für die nächsten Monate. Eine Fortsetzung der konjunkturellen Dynamik in den kommenden Monaten ist nicht garantiert. Konsumenten und Investoren üben sich weltweit in Zurückhaltung, der Dienstleistungssektor insbesondere hat Mühe zu alten Niveaus in Beschäftigung und Leistungserbringung zurückzukehren. Fiskalprogramme setzen zwar Anreize, liefern aber nicht direkt und in gleicher Größenordnung mehr Wachstum. Kapitalmarktrisiken sollten nicht ignoriert werden. Allgemein wird in den kommenden Monaten eine Zunahme der Ausfallraten in bestimmten Sektoren, die am stärksten unter dem Wirtschaftseinbruch leiden, erwartet. Das Volumen notleidender Kredite und Herabstufungen bei Anleihen nähmen zu, Bankenstress wäre vorprogrammiert. Die Währungen von Schwellenländern sind bis heute unter Druck, ebenso die für ihre Volkswirtschaft und ihren Staatshaushalt wichtigen Rohstoffpreise. 60 Prozent der ReservenEine Ablösung des US-Dollar als internationale Reservewährung ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Noch immer werden gut 60 % aller globalen Währungsreserven in Dollar gehalten, auf den Euro entfallen 20 %. Es mangelt schlicht an Alternativen für eine neue, den Dollar ablösende Reservewährung. Die Emittentin einer Reservewährung muss eine große, offene Volkswirtschaft sein, deren Währung frei konvertierbar ist und die über einen hoch liquiden Markt für Staatsanleihen bester Bonität verfügt, in denen die Währungsreserven gehalten werden können. Dafür qualifiziert sich zum Beispiel China nicht (Konvertibilität und Kapitalmarktreife fehlen) und die Eurozone nur bedingt (einheitlicher Kapitalmarkt fehlt). Das Zwillingsdefizit sorgt aber zugleich dafür, dass die Rolle des Dollar als Reservewährung über sein steigendes Angebot gestärkt und nicht geschwächt wird. Erst ein weltweiter Vertrauensverlust in den Dollar und die Existenz einer echten Alternative zu ihm würden seinen Status als Reservewährung untergraben. Einiges bereits eingepreistFür die kurz- bis mittelfristige Dollar-Entwicklung stehen sich zwei Pole gegenüber. Zum einen reale Zinsdifferenzen, die bei expansiver werdender US-Wirtschaftspolitik noch nachteiliger für den Dollar werden; zum anderen die zyklischen Eigenschaften des Dollars. Wachstumsenttäuschungen oder die Rückkehr von Kapitalmarktrisiken stärken ihn. Da unseres Erachtens bereits Einiges im Dollar-Kurs enthalten (“eingepreist”) ist, halten wir ausgeprägte Untergewichtungen im Dollar zum jetzigen Zeitpunkt für nicht mehr angemessen. Aber noch einmal: Es gilt beide Pole zu beobachten und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Dollar-Entwicklung ist keine Einbahnstraße. Zuletzt erschienen: Covid-19 ist der “Super Case” für Anbieter von Sicherheitslösungen (131), Pictet Asset Management TINA und die Asset-Klassen (130), Metzler Capital Markets Anlegersorgen um Ausfallrisiken in Schwellenländern sind übertrieben (129), Vontobel Assel Management —-Burkhard Allgeier, Chief Investment Officer Hauck & Aufhäuser Privatbankiers