LEITARTIKEL

Unwetter an den Märkten

Ein Absturz des Pfund um bis zu 11 %, ein Einbruch der Aktie einer Großbank wie Barclays um bis 30 %, ein Anstieg des zehnjährige Bundesanleihen abbildenden Bund-Future um bis zu rund 5 Prozentpunkte: Das Pro-Brexit-Votum der Briten hat an den...

Unwetter an den Märkten

Ein Absturz des Pfund um bis zu 11 %, ein Einbruch der Aktie einer Großbank wie Barclays um bis 30 %, ein Anstieg des zehnjährige Bundesanleihen abbildenden Bund-Future um bis zu rund 5 Prozentpunkte: Das Pro-Brexit-Votum der Briten hat an den Finanzmärkten am Freitag ein schweres Unwetter ausgelöst. Das extreme Ausmaß der Bewegungen ist zwar zu einem guten Teil darauf zurückzuführen, dass die Marktteilnehmer in den Tagen zuvor auf eine Mehrheit für den Verbleib gesetzt hatten und somit zum Wochenschluss völlig auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Dennoch ist dies eine Schockreaktion, die den Vergleich mit dem 11. September 2001 oder dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers vom 15. September 2008 nicht scheuen muss.Der Vergleichbarkeit sind allerdings Grenzen gesetzt. Anders als bei den Ereignissen der Jahre 2001 und 2008 ist ja noch kein echter Schaden eingetreten. Großbritannien wird nicht von heute auf morgen aus der EU ausscheiden, sondern es wird noch geraume Zeit vergehen, bis die Trennung abgewickelt ist. Zwei Jahre werden die entsprechenden Verhandlungen dauern. Auch besteht die Möglichkeit, dass das zukünftige Verhältnis des Landes zur EU so gestaltet wird, dass sich die langfristigen Schäden des Brexit einigermaßen eingrenzen lassen. Aber bis Klarheit besteht, wird ebenfalls einige Zeit vergehen. Für Großbritannien – und hierin zeigt sich eine gewisse Vergleichbarkeit mit der realökonomischen Schockstarre nach dem Lehman-Desaster – wird das zu einer Lähmung führen, weil etwa Investitionen gestrichen oder zumindest auf die lange Bank geschoben werden.Aus Sicht der Finanzmärkte bedeutet die sich abzeichnende Phase anhaltender Unsicherheit, dass zumindest in der nächsten Zeit Risiko-Assets unter Druck stehen und sogenannte sichere Häfen gefragt sein werden. Die Staatsanleiherenditen haben bereits am Freitag Tiefen erreicht, die vor nicht allzu langer Zeit für nicht möglich gehalten wurden, so etwa die laufende Verzinsung der zehnjährigen Bundesanleihe, die nach zuletzt 0,10 % am Vortag innerhalb kürzester Zeit bis auf – 0,15 % abstürzte. In Kombination mit den EZB-Käufen besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Rendite noch tiefere Regionen ausloten wird. Dagegen werden etwa Aktien, Credits und die Preise konjunktursensitiver Rohstoffe weiter nachgeben.Eben daraus werden sich für Investoren letztlich aber auch wieder gute Einstiegsgelegenheiten ergeben. Die Welt ist nach Lehman nicht untergegangen und wird dies auch dieses Mal nicht tun. Zudem ist davon auszugehen, dass Zentralbanken und Regierungen stützend eingreifen könnten. An den Devisenmärkten hat es schon erste Interventionen gegeben. Außerdem sind nun die Risikoprämien für Aktien, Credits und Co. auf Staatsanleihen, die schon vor dem Brexit-Votum üppig waren, deutlich weiter gestiegen. Anders ausgedrückt: Die relative Attraktivität etwa von Dividendenwerten hat sich weiter erhöht.Schon jetzt zum Einstieg in deutlich günstiger gewordene Risiko-Assets zu blasen, dürfte jedoch zu früh und auch kaum verantwortbar sein. Niemand kann derzeit auch nur ansatzweise abschätzen, wie es weitergeht, und der Austritt eines Landes aus der EU, das noch dazu bisher die zweitgrößte Volkswirtschaft stellt, ist ein bislang einmaliger Vorgang. Mittel- bis langfristig wird auch für die Finanzmärkte überdies vieles davon abhängen, ob nur Großbritannien austritt oder ein Prozess angestoßen worden ist, der zur Zerbröselung der EU und des Euroraums führt.Das Votum der Briten ist auch nicht das einzige Problem. Aus Sicht der Aktienmärkte ist besonders bedenklich, dass mit dem Brexit in einer Phase eine weitere Belastung für die Weltwirtschaft hinzukommt, in der die Prognosen für das ohnehin schmale globale Wachstum immer weiter sinken. Es dürfte feststehen, dass die Weltbank ihre Annahmen für das laufende und das kommende Jahr kürzlich nicht zum letzten Mal gesenkt hat. Die Marktteilnehmer werden nicht umhinkommen, ihre Erwartungen an die Unternehmensgewinne weiter zurückzuschrauben. Die Hoffnung, dass sich die Gewinne nach dem wegfallenden negativen Effekt des Ölpreisverfalls erholen werden, hat einen empfindlichen Dämpfer erhalten. Dies wiederum geht zu Lasten der Attraktivität von Dividendentiteln und schmälert ihr Aufwärtspotenzial. Es wäre daher alles andere als verwunderlich, wenn das eine oder andere Institut in der nächsten Zeit seine Prognosen für Dax und Co. reduzieren würde.——–Von Christopher KalbhennDie Risikoprämien für Aktien, Credits und Co. auf Staatsanleihen, die schon vor dem Brexit-Votum üppig waren, sind deutlich weiter gestiegen.——-