US-Hochzinsinvestoren ignorieren Risiken
US-Hochzinsinvestoren ignorieren Risiken
Teilnehmer am Junk-Bond-Markt positionieren sich trotz gegenteiliger Signale für Ende von Zinserhöhungen – Niedrige Aufschläge gegenüber Staatsanleihen
Von Alex Wehnert, New York
Die Müllhalde des US-Bondmarkts füllt sich wieder. So belief sich das Emissionsvolumen von Ramschanleihen in den Vereinigten Staaten zwischen Jahresbeginn und Anfang Juni laut dem Datendienstleister Dealogic auf 67,1 Mrd. Dollar. Die Analysten von Pitchbook zählen für die ersten sechs Monate 2023 nach einem geschäftigen Juni sogar 91 Mrd. Dollar an neu begebenen Junk Bonds. Im Gesamtjahr 2022 war es infolge der restriktiven Geldpolitik der Federal Reserve und der resultierenden Kombination aus höheren Finanzierungskosten und geringerer Liquidität der Investoren noch auf 91,2 Mrd. Dollar eingebrochen – und hatte damit lediglich etwas mehr als ein Fünftel des 2021 markierten Rekordniveaus von 405 Mrd. Dollar erreicht.
Die Emittenten suchen potenzielle Zeichner unter anderem durch kürzere Laufzeiten davon zu überzeugen, dass auch das rund 1,4 Bill. Dollar schwere US-Hochzinssegment Möglichkeiten zur defensiven Positionierung bietet. Zugleich ist der Anteil neu begebener Anleihen, für die Sicherheiten hinterlegt sind und die Investoren bei Zahlungsausfällen damit mehr Schutz bieten, laut Pitchbook auf 62% gestiegen. So hoch fiel er seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 2005 nie aus.
Doch die große Emissionswelle rollt gemäß einer Auswertung der Investment-Banking-Plattform S&P Capital IQ im kommenden Jahr erst noch auf die Märkte zu. Denn viele Emittenten auch geringer Bonität nutzten die Jahre niedriger Zinsen vor der geldpolitischen Wende der Fed im Frühjahr 2022, um sich günstige langfristige Kredite zu sichern. Dass das verfügbare Angebot im Junk-Segment trotz wieder anziehender Begebungen noch recht niedrig ausfällt, trägt auch zu einer robusten Performance von Ramschanleihen am Sekundärmarkt bei.
Getrübte Wahrnehmung
Die vergleichsweise niedrigen Default-Raten – diese sind laut der Ratingagentur Moody’s zwischen April und Mai zwar um 20 Basispunkte auf 3,4% gestiegen, lagen damit aber unter dem historischen Durchschnitt von 4,1% – stützen das Interesse an Junk Bonds dabei ebenso wie eine Reihe an Upgrades. Die Zahl der sogenannten “Rising Stars” ist laut einer Analyse der Investmentbank Goldman Sachs im laufenden Jahr unerwartet stark gestiegen: Das Volumen ehemaliger Hochzinspapiere, die im laufenden Jahr Investment-Grade-Status erreicht haben, lag bis Mitte Mai bei 56 Mrd. Dollar. Dagegen rutschten nur 16,6 Mrd. Dollar vom High-Yield- in den Ramschbereich ab.
Dies birgt laut Marktbeobachtern indes auch Probleme für die Stabilität innerhalb des Ramschsegments und Risiken für Exchange Traded Funds, die sich auf den Ratingbereich fokussieren. Denn der Hochzinsmarkt verliert infolge der Heraufstufungen einige seiner stabilsten Adressen und erhält im Gegenzug ehemalige Investment-Grade-Titel, die sich im Abwärtstrend befinden. Hinzu kommt: Für viele im Junk-Segment haben die Ratingagenturen ihre Einstufungen indes noch nicht angepasst, eben weil ein bedeutender Anteil an Refinanzierungen erst in zwölf Monaten ansteht und damit in vergleichsweise ferner Finanzmarkt-Zukunft liegt. Vereinzelt kommt es zwar zu Herabstufungen, ihre Zahl fällt gemäß Daten von S&P Global aber deutlich geringer aus als beispielsweise im Vor-Corona-Jahr 2019. Dies trübt laut Analysten auch die Wahrnehmung im Junk-Bond-Sekundärmarkt, an dem die Investoren die Credit-Risiken derzeit offenbar als vernachlässigbar einschätzen.
Spreads eingeengt
Zwar haben sich die Spreads zwischen Investment-Grade- und High-Yield-Anleihen zuletzt ausgeweitet, in den Vereinigten Staaten allerdings weniger stark als auf globaler Ebene. Die Risikoaufschläge gegenüber US-Staatsanleihen sind zuletzt sogar deutlich zurückgegangen: Der optionsbereinigte Spread des ICE BofA BB US High Yield Index gegenüber einer Treasury-Spotkurve lag Ende der vergangenen Woche bei 2,66 Prozentpunkten.
Während der Bankturbulenzen im März, als der Kollaps der Silicon Valley Bank Sorgen der Investoren um die Finanzstabilität weckte, war er noch auf 3,61 Prozentpunkte geklettert. Vor einem Jahr belief er sich gar auf 4,19 Prozentpunkte. Gerade im Vergleich zu historisch bedeutsamen Marken – mehr als 8 Prozentpunkten während des Corona-Crashs 2020 und mehr als 14 Prozentpunkten während der Finanzkrise 2008 – nimmt er sich derzeit äußerst niedrig aus.
Dies liegt auch an den jüngsten Kursrücksetzern bei US-Staatsanleihen. Die laufende Verzinsung zehnjähriger Treasuries kletterte Ende der vergangenen Woche erstmals seit März über die Marke von 4%, die Rendite des zweijährigen Titels erreichte mit 5,12% gar den höchsten Stand seit Juni 2007. Zuvor hatten anhaltend robuste Arbeitsmarktdaten die Befürchtungen der Investoren befeuert, dass die Fed die Leitzinsen im Kampf gegen die Inflation noch stärker anheben muss als zuvor angenommen – und sie auch länger auf diesen erhöhten Niveaus belassen muss.
Damit besteht also eine Diskrepanz zwischen den vorherrschenden Narrativen am amerikanischen Staats- und am Unternehmensanleihemarkt, an dem sich die Teilnehmer trotz gegenteiliger Signale führender Notenbanker noch immer für baldige Zinssenkungen positionieren. Lediglich die Anleihen einzelner BB-Emittenten wie des Medienunternehmens AMC Networks oder des Telekommunikationsanbieters Lumen Technologies und mit Single-B eingestufter Unternehmen wie des Bürobedarfshändlers Staples handeln zu Spreads, die Analysten zufolge auf eine Notlage des Schuldners hindeuten.
Korrekturen ab CCC
Insgesamt waren zwischenzeitliche Korrekturen im High-Yield-Segment zuletzt vor allem auf den Ratingbereich ab CCC abwärts zurückzuführen – wobei auch diese Titel im Vergleich zu Investment-Grade-Anleihen in den vergangenen Monaten eine robuste Performance gezeigt haben. So gab der ICE BofA AA US Corporate Index Total Return zwischen Juli 2022 und der vergangenen Woche um 1% nach – sein Gegenstück für den Hochzinsbereich legte im gleichen Zeitraum um mehr als 10% zu.
Der vergleichbare Single-B-Index schneidet mit einem Plus von 8,3% ebenfalls robust ab, zumal er zuvor weniger stark eingebrochen war als das CCC-Pendant. Setzt sich bei den Marktteilnehmern allerdings doch die Ansicht durch, dass die Zinsen länger auf höheren Niveaus verharren dürften, ist laut S&P Global mit einem plötzlichen Anstieg der Default-Erwartungen zu rechnen. Eine solche Entwicklung trifft Titel mit Single-B-Rating nach Erfahrung der Analysten üblicherweise besonders hart.
Dies gilt unter Bondstrategen gerade deshalb als besorgniserregend, weil in der entsprechenden Ratingkategorie mehr als die Hälfte der Volumina von privat gehaltenen Unternehmen stammen. Deren Anleihen stufen Investoren aufgrund geringerer Transparenz des Emittenten und mit Blick auf Kennziffern wie den Zinsdeckungsgrad – der wiedergibt, wie oft ein Unternehmen laufende Zinszahlungen aus dem operativen Gewinn decken kann – oder den Verschuldungsgrad häufig ohnehin schon als riskanter ein als die äquivalenten Papiere börsennotierter Unternehmen.
Hoher Verschuldungsgrad
Während des Buy-out-Booms 2021 finanzierten enorm viele Private-Equity-Sponsoren ihre Übernahmen über die Begabe von Junk Bonds, was die Verschuldungsgrade noch einmal antrieb. Bei privat gehaltenen Emittenten mit B-Rating summiert sich das Fremdkapital im Median laut Berechnungen von S&P Capital IQ und des “Wall Street Journal” auf mehr als das 3,5-Fache des Eigenkapitals, bei börsennotierten Unternehmen liegt das Verhältnis bei 1,7.
Bei einer anhaltend restriktiven Geldpolitik der Federal Reserve und dem verlangsamten Gewinnwachstum, das Goldman Sachs den Unternehmen aus dem Ramschsegment für die zweite Jahreshälfte voraussagt, dürfte der Zinsdienst laut Analysten auch für diejenigen hoch verschuldeten Unternehmen, die eigentlich stabile Cashflows aufweisen, bedeutend schwieriger zu bedienen sein. Der Müllhalde des US-Bondmarkts drohen also turbulente Monate.
Die Spreads von US-Hochzinsanleihen gegenüber Treasuries haben sich zuletzt eingeengt. Die Investoren im Junk-Bond-Markt positionieren sich damit trotz gegenteiliger Signale der Fed für eine weniger restriktive Geldpolitik. Nun drohen insbesondere Anleihen privat gehaltener Unternehmen schwere Rücksetzer.