US-Zinsstrukturkurve sackt auf historische Tiefs ab

30-jährige Anleihen nehmen 1-Prozent-Marke ins Visier - Rekordvolumina in Auktionen gehen gut weg

US-Zinsstrukturkurve sackt auf historische Tiefs ab

Von Kai Johannsen, FrankfurtDer US-Staatsanleihenmarkt hat seit Jahresanfang einen starken Renditerückgang erlebt. Mittlerweile bewegt sich die US-Renditestrukturkurve darauf zu, dass entlang der Fälligkeiten von zwei bis 30 Jahren die Renditen allesamt unter der Marke von 1 % liegen (vgl. Grafik). Dieses Phänomen war in diesem Jahr zwar schon einmal zu beobachten, und zwar am 9. März, als die internationalen Kapitalmärkte durcheinandergewirbelt wurden und die Anleger in großem Umfang die sicheren Häfen ansteuerten, wozu neben den Bundesanleihen auch die US-Staatspapiere (US-Treasuries) zählen. Bis auf 0,9380 % ging es im 30-jährigen US-Segment an diesem Tag herunter. Bei den zehnjährigen Renditen waren es am besagten Tag noch 0,4980 %. In der Folgezeit setzten sich die Renditen von den Tiefs zunächst ab, bevor die Talfahrt wieder aufgenommen wurde. Nun rechnen Marktakteure damit, dass die komplette Kurve bald wieder unter die Marke von 1 % rutscht. Die 30-jährige US-Rendite war gestern bei 1,32 %, der zehnjährige Satz bei 0,65 %, fünfjährige Laufzeiten bei 0,28 %, zweijährige Papiere sind mit 0,15 % kurz vor der Nulllinie – historisch niedrige Sätze.”Ich denke, der Abwärtsdruck bei den Renditen wird in der absehbaren Zeit weitergehen”, so die Einschätzung von Nick Maroutsos, Co-Head of Global Bonds bei Janus Henderson. In Anbetracht der Niveaus, auf denen Staatsanleiherenditen außerhalb der USA an den Märkten liegen, ist es für ihn nur eine Frage der Zeit, bis die gesamte US-Renditestrukturkurve unterhalb der 1 %-Marke angekommen sein wird. Hinter dem deutlichen Renditerückgang steht die Flucht der Anleger in sichere Häfen. Diese ist auch bei den Bundrenditen zu spüren oder etwa beim Goldpreis, der jüngst auf Rekordhöhe schnellte. Die Flucht der Anleger in Sicherheit gründet sich in den USA wie auch andernorts auf die Covid-19-Pandemie und die damit einhergehenden konjunkturellen Einbrüche. Am Markt wird erwartet, dass die US-Regierung der heimischen Wirtschaft weiter mit Konjunkturprogrammen helfen muss. Und auch die US-Notenbank wird in den nächsten Monaten Schützenhilfe über niedrige Leitzinsen und Bondkäufe leisten müssen. Direkte KurvenkontrolleImmer wieder wird in diesem Zusammenhang auch das direkte Steuern der Zinskurve durch die US-Zentralbank thematisiert. Bei der sogenannten Yield Curve Control würde die Fed mit ihren Anleihekäufen direkt an bestimmten Laufzeitenpunkten ansetzen und die Renditen mit diesen Käufen auf gewünschte Niveaus befördern. Vorstellbar wäre, dass sie die 30-jährigen US-Staatsanleiherenditen mit solchen Käufen dauerhaft, also über mehrere Monate oder sogar zwei bis drei Jahre unterhalb der Marke von 1 % hält. Der Marktmechanismus wäre somit völlig außer Kraft gesetzt. Die Renditen würden für Anleger niedrig bleiben, was wiederum für Verdrängungsprozesse der Investoren (crowding-out) in andere Segmente sorgen würde. Denn auf der Suche nach Rendite würden solch niedrige Staatsanleihesätze nicht mehr als auskömmlich angesehen und die Anleger wichen auf Bankbonds oder Unternehmenstitel aus. Das ist in der Eurozone auch ohne eine direkte Kurvenkontrolle durch die Europäische Zentralbank (EZB) oder die nationalen Notenbanken schon zu beobachten. Die Bondkäufe der europäischen Währungshüter haben seit Jahren diesen Crowding-out-Prozess befeuert und damit auch die Renditen der Firmenanleihen gedrückt.In den USA hat dieser Prozess durch die Unternehmensanleihekäufe seitens der Fed bereits eingesetzt, könnte durch eine eventuell eintretende direkte Kurvenkontrolle dann aber nochmals beschleunigt werden. Wie günstig sich die Unternehmen mittlerweile in den USA mit Fremdkapital versorgen können, machte die Google-Mutter Alphabet vor einigen Tagen deutlich. Sie nahm etwa in der fünfjährigen Frist 1 Mrd. Dollar zum Satz von 0,45 % auf. Zum Vergleich: Die fünfjährige US-Staatsanleihe liegt derzeit bei 0,28 %. Die Anleger nehmen die neuen US-Unternehmensanleihen denn auch gern in ihre Portfolios auf, wissen sie doch, dass die US-Währungshüter dem Markt auf absehbare Zeit Unterstützung geben werden. Denn ein baldiges Ende der Covid-19-Pandemie und damit eine Beeinträchtigung der US-Wirtschaft ist nicht absehbar. Auch für ausländische Investoren waren Investments in US-Staatspapiere auf währungsgesicherter Basis profitabel. Ungesichert können diese Gewinne durch einen weiter fallenden Dollarkurs aber auch schnell zunichte gemacht werden. Genügend NachschubZur Finanzierung der Konjunkturhilfen muss sich die US-Regierung wie andere Regierungen auch kräftig verschulden und die Mittelaufnahme über die Bondmärkte erhöhen. Zwar kam es jüngst angesichts von Auktionen mit rekordhohen Volumina zu leichten Renditeanstiegen. Aber der Markt dreht derzeit nicht nachhaltig nach oben. Die Auktionen verliefen bislang recht gut, das heißt das Angebot wurde gut vom Markt aufgenommen. Und es geht dabei um hohe Summen. Allein im dritten Quartal will das US-Schatzamt 947 Mrd. Dollar (ca. 800 Mrd. Euro) über Schuldtitel beschaffen, das sind nochmals 270 Mrd. Dollar mehr, als zunächst veranschlagt wurden. Zum Vergleich: Der Bund kommt auf einen Mittelbedarf von ca. 445 Mrd. Euro – allerdings für das gesamte Jahr. In dieser Woche gab es bereits zwei US-Versteigerungen mit Rekordvolumen. Am Dienstag kamen dreijährige Papiere über 48 Mrd. Dollar, am Mittwoch folgten zehnjährige Notes über 38 Mrd. Dollar. Beide Auktionen trafen auf solide Nachfrage. An Bondnachschub wird es in den nächsten Wochen und Monaten wieder dies- noch jenseits des Atlantiks einen Mangel geben. Und da die Notenbanken weiter fleißig auf der Käuferseite unterwegs sind, werden die US-Staatsanleiherenditen und die Renditen in der Eurozone wohl noch weiter auf Tauchstation gehen.