GELD ODER BRIEF

Verfall der Energiepreise setzt Gazprom zu

Von Eduard Steiner, Moskau Börsen-Zeitung, 21.8.2015 Seit die Türkei zum zweitgrößten Abnehmer russischen Gases aufgestiegen ist, herrscht bei Gazprom richtig Euphorie. Und weil sich diese beim weltweit größten Gaskonzern gern im Pipelinebau...

Verfall der Energiepreise setzt Gazprom zu

Von Eduard Steiner, MoskauSeit die Türkei zum zweitgrößten Abnehmer russischen Gases aufgestiegen ist, herrscht bei Gazprom richtig Euphorie. Und weil sich diese beim weltweit größten Gaskonzern gern im Pipelinebau materialisiert, wird seit Jahresbeginn die Errichtung einer neuen Exportroute namens “Turkish Stream” propagiert. Nicht nur die Türkei soll über sie versorgt werden, auch Europa soll nach dem Wunsch der Russen jährlich 47 Mrd. Kubikmeter über den türkischen Transit erhalten, wenn 2019 der Gastransitvertrag über die Ukraine ausläuft.So glatt, wie Gazprom sich das vorgestellt hat, läuft die Sache freilich nicht. Im Gegenteil: Gerade in letzter Zeit wird immer schleierhafter, ob und wie es mit “Turkish Stream” weitergeht. Die Verhandlungen darüber seien nicht abgebrochen, sie seien lediglich bis zum Treffen der beiden Staatschefs im Herbst verschoben, hielt Putins Sprecher, Dmitri Peskow, vor wenigen Tagen fest. Mittlerweile wird überlegt, vorerst nur einen der vier Stränge ausschließlich zur Versorgung der Türkei zu bauen.Ankara, das wegen seiner schwachen Lira im vergangenen Halbjahr plötzlich 8 % weniger Gas in Moskau eingekauft hat, ist eine harte Nuss. Das hatte Gazprom-Chef Alexej Miller offenbar nicht bedacht, als er noch vor wenigen Monaten seinen europäischen Hauptkunden im zuletzt üblichen drohenden Ton signalisiert hatte, dass sie sich schleunigst um eine Anschlusspipeline aus der Türkei nach Westeuropa kümmern sollen, wenn sie nach 2019 über die Südroute noch aus Russland versorgt werden wollen. Schwieriges MarktumfeldInzwischen ist es leiser geworden. Das hat auch mit dem schwierigen Marktumfeld zu tun, das sich über Russland und über Gazprom zusammengebraut hat. Der Ölpreis ist abermals abgesackt. Das verheißt für den Gaspreis, der nach russischer Preisformel den Ölpreis mit einer mehrmonatigen Verzögerung abbildet und daher erst im zweiten Quartal 2015 so richtig eingebrochen ist, auch für 2016 nichts Gutes. Immerhin konnte Gazprom zuletzt für das erste Quartal einen Gewinnsprung um 71 % auf 382 Mrd. Rubel (5,45 Mrd. Euro) vermelden, während der Umsatz um 5,7 % auf 1,65 Bill. Rubel gestiegen ist. Im gesamten Vorjahr war der Gewinn um 86 % auf 2,8 Mrd. Euro eingebrochen. Der Gewinnsprung im ersten Quartal verdankt sich einerseits dem Rubel-Verfall. Andererseits konnte der Gaspreis aufgrund der genannten Preisformel noch ziemlich hoch gehalten werden. Zu schaffen machte Gazprom aber der Rückgang der Exportvolumina. Auf Gazproms ertragreichstem Markt, Europa, wurden im ersten Quartal 16 %, in den GUS-Staaten 20 % und im Inland 5 % weniger abgesetzt.Seither hat sich das Blatt allerdings gewendet. Weil der Gaspreis im Keller ist, sind europäische Kunden zuletzt dazu übergegangen, kräftig bei Gazprom einzukaufen, um die unterirdischen Speicher für den Winter aufzufüllen. Im Juli betrug der Export 14,29 Mrd. Kubikmeter – ein Plus von 23 % zum Vorjahr. Die diesjährigen Exportvolumina nach Europa und in die Türkei werden den Rekord laut Gazprom “wahrscheinlich brechen”.Jeder Teilerfolg zählt für die Russen. Und jedes Jahr, in dem sie mit Europa ein einigermaßen gutes Geschäft machen, wird mit Erleichterung abgehakt. Denn auch wenn man es in Moskau nicht zugeben will: Der Haussegen zwischen Gazprom und der EU hängt schiefer denn je. Und es ist so, dass Gazproms hoher Marktanteil in Europa von Jahr zu Jahr mehr gefährdet ist. Noch ist man dort unangefochten Nummer 1. Merkbar kleiner werden dürfte der Marktanteil aber ab 2018, so die Deutsche Bank: Ab dann nämlich kämen neue Angebote in Form von Flüssiggas aus den USA und in Form von aserbaidschanischem Gas über eine neue Pipeline vom Kaspischen Meer auf den europäischen Markt. Gazprom wappnet sich. Und weil Turkish Stream stockt, hat Gazprom sich kürzlich mit einigen europäischen Abnehmern darauf geeinigt, das Verhältnis mit Europa dort auszubauen, wo es bislang am wenigsten Schwierigkeiten gab: bei der Ostsee-Pipeline Nord-Stream. Im Juni hat der Konzern mit Eon, OMV und Royal Dutch Shell eine Absichtserklärung zum Bau von zwei weiteren Strängen nach Deutschland unterzeichnet. Ende Juli schloss sich auch Wintershall an. Die beiden neuen Stränge sollen 55 Mrd. Kubikmeter Gas zusätzlich in die EU leiten. Der Ausbau von Nord Stream habe bei Gazproms Plänen für Europa nun oberste Priorität, so kürzlich die russische Zeitung “Nezawissimaja Gazeta”.Statt lauter Konfrontation stille Annäherung? Nicht ausgeschlossen, bedenkt man auch, dass Europa es konsequent vermeidet, die Russland-Sanktionen auf Gazprom auszuweiten. Im Unterschied zu den USA, die vor wenigen Tagen Gazproms Offshore-Lagerstätte “Juschno-Kirinskoje” vor der pazifischen Insel Sachalin auf die Sanktionsliste gesetzt haben: Ab sofort dürfen keine Anlagen zur Erschließung dieser riesigen Lagerstätte, die vom Volumen her Deutschland allein etwa acht Jahre lang versorgen könnte, mehr verkauft werden. Damit ist zum ersten Mal der Gassektor direkt unter Sanktionen gestellt. Amerika nütze die Sanktionen auch dazu, Gazprom als Konkurrenten gezielt zu schwächen, meint Valeri Nesterow, Gasanalyst bei Sberbank Investment Research.Das Gas von Sachalin war für den asiatischen Markt vorgesehen. Der größte Hoffnungsträger dort bleibt China, mit dem Gazprom im Mai 2014 einen Vertrag über 30 Jahre Lieferung von jährlich 38 Mrd. Kubikmeter abgeschlossen hat. Der Bau der dafür nötigen Pipeline “Kraft Sibiriens” hat im September begonnen. Frühestens 2019 und spätestens 2021 wird Russland die Chinesen mit Gas zu beliefern beginnen. Gazproms Problem: Seit der Vertragsunterzeichnung hat sich der Ölpreis halbiert, weshalb auch der Gaspreis einbricht. Experten errechneten, dass der Gaspreis zumindest bei 350 Dollar je 1 000 Kubikmeter an der chinesischen Grenze betragen müsste, damit sich das Pipelineprojekt rechnet. Das erfordere aber einen Ölpreis von 100 Dollar je Barrel. Aktuell liegt der Ölpreis unter 50 Dollar.