Verschnaufpause für den Dollar
Von Wolfgang Kiener*)
Die Positionierung der Akteure an den Finanzmärkten ist oftmals durchaus richtig im Hinblick auf mittelfristige Entwicklungen. Ebenso häufig zeigen sich die Marktteilnehmer aber recht hilflos im Hinblick auf das genauere Timing. Dies lässt sich auch derzeit bei der Abwertung des Dollar beobachten. Im Sommer 2020, mit einem ersten Dollar-Abwertungsschub auf 1,18 Dollar je Euro, stiegen die negativen Erwartungen vieler Marktteilnehmer zum Dollar bzw. die positiven Erwartungen zum Euro massiv an (siehe Grafik unten). Just als diese Erwartungen sich dem oberen Ende der historischen Bandbreite genähert hatten, setzte beim Dollar indes eine Stabilisierung ein. Denn damals im Herbst erhielt er eine erste Verschnaufpause, als sich die Konjunkturindikatoren in den USA im Vergleich zum Euroraum besser entwickelten und die Möglichkeit eines Siegs der Demokraten bei den US-Wahlen (inklusive Senatsmehrheit) und eines umfangreichen Konjunkturpakets die US-Währung stützte.
Mit dem zweiten Dollar-Abwertungsschub auf über 1,20 Dollar je Euro stiegen zur Jahreswende die Erwartungen der Marktteilnehmer „pro Euro“ bzw. „kontra Dollar“ erneut auf einen sehr hohen Wert. Die Stabilisierung des Dollar seither illustriert nicht nur das problematische Timing der Erwartungen. Vielmehr zeigt sie, dass Hoch- oder Tiefstände bei solchen Sentiment-Erhebungen kurzfristig sogar Kontraindikatoren darstellen. Denn die negativen Erwartungen für den Dollar sind tendenziell dann besonders ausgeprägt, wenn viele Marktteilnehmer in Erwartung einer Abwertung bereits Dollar verkauft haben, so dass kurzfristig der weitere Dollar-Verkaufsdruck gering ist. Zudem stehen derzeit nicht nur Stimmungsindikatoren auf Extremniveaus, sondern es ist auch die Konsensmeinung unter Analysten (z. B. gemäß Reuters-Umfragen), dass der Dollar abwertet. Fast bekommt man den Eindruck, „die Spatzen pfeifen es von den Dächern“.
Tatsächlich erwarten wir in der kurzen Frist, dass der Dollar eine zweite Verschnaufpause in seinem Abwertungstrend einlegt. Kurzfristig dürften die geplanten Ausgabenprogramme von Präsident Biden die Konjunktur in den USA stärker antreiben als der EU-„Wiederaufbaufonds“ dies in Europa tut, zumal hierzulande die Wirtschaft stärker unter Corona-Bekämpfungsmaßnahmen zu leiden hat. Daher werden wohl auch zugunsten des Dollar die Konsenserwartungen für das BIP-Wachstum in den USA stärker ansteigen als diejenigen für den Euroraum. Des Weiteren sollte sich angesichts der US-Fiskalpläne die Zinsdifferenz zwischen länger laufenden US- und Bundesanleihen (Transatlantik-Spread) noch etwas ausweiten, was den Dollar ebenfalls unterstützen dürfte.
In diesem Zusammenhang ist auch auf ein Risikoszenario hinzuweisen, bei dem es durch Bidens Stimulierungsausgaben und das Zurückdrängen der Corona-Pandemie zu einem Konsumboom käme und die Amerikaner ihre zuletzt hohe Sparquote schnell normalisierten. Auch wenn die Fed jüngst Tapering-Diskussionen (über eine Verringerung der QE-Anleihekäufe) als verfrüht abgewiesen hat, würde es in diesem Fall wohl zu entsprechenden Spekulationen und einem weiteren Anstieg der US-Zinsen kommen, auch bei den Realzinsen. Denn immerhin vier FOMC-Mitglieder hatten zuvor Tapering-Diskussionen nicht von vornherein abgelehnt. Hinzu kommt, dass auch die offenen Dollar-Shortpositionen gegenüber dem Euro seit längerer Zeit nahe am oberen Ende ihrer historischen Bandbreite liegen. Bei überraschenden, unerwarteten Entwicklungen könnte es schnell zu einer Welle von Dollar-Eindeckungskäufen auf diese Shortpositionen kommen, da die Positionsinhaber bisherige Gewinne mitnehmen oder Verluste begrenzen wollen. Dabei spielt keine Rolle, ob die Überraschung aus dem beschriebenen Tapering-Risikoszenario kommt oder einem Szenario wieder stark steigender Risikoaversion, bei dem der Dollar als sicherer Hafen gefragt wäre. In diesen Szenarien wäre nicht nur mit einer Verschnaufpause für den Dollar, sondern einer richtiggehenden Gegenbewegung zum bisherigen Dollar-Abwertungstrend zu rechnen – allerdings gehen wir derzeit von keinem dieser Szenarien aus.
Keine Trendwende
Längerfristig hingegen spricht vieles für eine Fortsetzung der Abwertung des Dollar. Nach Überwindung der aktuellen Verzögerungen werden auch im Euroraum die Corona-Impfungen fortschreiten und ab Jahresmitte zugunsten des Euro eine Erholung der Konjunktur ermöglichen, zumal der EU-„Wiederaufbaufonds“ längerfristiger als die US-Konjunkturpakete angelegt ist. Dies sollte auch die Risikoaversion senken und die Nachfrage nach dem Dollar als sicherem Hafen weiter verringern. Zudem ist zur Eindämmung des riesigen US-Haushaltsdefizits mittelfristig mit einer restriktiven Fiskalpolitik zu rechnen, die einen Konjunkturdämpfer darstellen wird.
Die wieder einsetzende Dollar-Abwertung könnte dadurch verstärkt werden, dass europäische Investoren angesichts auflaufender Wechselkursverluste ihre oft ungesicherten US-Anlagen zu verkaufen beginnen – oder mit nachträglichen FX-Sicherungsgeschäften versehen, was den Dollar ebenso belastet. Dies ist umso wahrscheinlicher, als die derzeit noch hohe Bewertung des Dollar gemessen an der Kaufkraftparität von rund 1,40 Dollar je Euro (laut OECD) verdeutlicht, welch großes Abwertungspotenzial hier besteht. In den Jahren bis 2019 war die Dollar-Stärke durch positive US-Realzinsen gerechtfertigt – Letztere gibt es nun jedoch nicht mehr. Daher wird 2021 insbesondere spannend, wie lange die Verschnaufpause für den Dollar anhält – und wann die eben genannten Faktoren für die nächste Etappe im Dollar-Abwertungstrend sorgen.
*) Wolfgang Kiener ist Senior Analyst Investment Research bei der BayernLB.