LEITARTIKEL

Vertrauensfrage bei Bitcoin

Am Kryptomarkt ist nur die Unsicherheit gewiss. Dieses Paradoxon gilt trotz der kräftigen Kursspurts, in deren Verlauf die führende Digitalwährung Bitcoin seit Anfang Oktober über 40 % an Wert gewonnen und mit fast 14 900 Dollar den höchsten Stand...

Vertrauensfrage bei Bitcoin

Am Kryptomarkt ist nur die Unsicherheit gewiss. Dieses Paradoxon gilt trotz der kräftigen Kursspurts, in deren Verlauf die führende Digitalwährung Bitcoin seit Anfang Oktober über 40 % an Wert gewonnen und mit fast 14 900 Dollar den höchsten Stand seit Januar 2018 erreicht hat, auch für die kommenden Monate. Dabei lässt sich allerdings nicht bestreiten, dass sich die Aussichten am Kryptomarkt in jüngster Vergangenheit gebessert haben. So scheint die Reaktion der Notenbanken auf die makroökonomische Lage durchaus für Bitcoin & Co. zu sprechen. Schließlich verursachen die im Zuge der Coronakrise ergriffenen geldpolitischen Lockerungen Druck auf die etablierten Zentralbankwährungen und tragen nach Ansicht von Investoren zu einer höheren Fragilität des Finanzsystems bei. Wenn die Europäische Zentralbank im Dezember tatsächlich weitere Maßnahmen ergreift, dürfte das demnach weiteren Gegenwind für den Euro bedeuten und die Attraktivität privat emittierter, notenbankunabhängiger Devisen erhöhen. Allerdings gilt es dabei auf kurze Sicht auch zu beachten, dass ein schwächerer Euro eine Dollar-Aufwertung nach sich ziehen könnte. Für die bekanntesten Kryptowährungen, deren Spotpreise in Dollar berechnet werden, wäre dies wiederum eine Belastung.Langfristig stellt sich aber vor allem die Frage, ob es Bitcoin & Co. schaffen, bei mehr Investoren Vertrauen zu gewinnen. Bislang steht dem unter anderem der Ruf der Kryptowährungen als gern genutztes Mittel zur Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche entgegen. Auch die Betreiber einiger Handelsplattformen müssen sich regelmäßig mit Vorwürfen der Marktmanipulation und des laxen Anlegerschutzes auseinandersetzen. Anfang Oktober haben US-Behörden Anklage gegen die Gründer der Bitmex, einer der führenden Kryptoderivatebörsen, erhoben. Diese hatten angeblich US-Gesetze zur Vorbeugung von Geldwäsche umgangen. Dass einige Marktteilnehmer die Anklage als Durchbruch in Sachen Glaubwürdigkeit feiern, ist dabei bezeichnend. Bei dem großen Teil der Investoren, die den Kryptomarkt bisher scheuen, dürfte in der Folge wohl kaum der Eindruck entstehen, dass die halbseidenen Elemente aus dem Segment vertrieben werden – sondern eher die Frage aufkommen, welchen Anbietern überhaupt zu trauen ist.Überzeugte Investoren zählen darauf, dass die Ende September vorgestellte Krypto-Regulierung der Europäischen Union den Digitalwährungen und den verbundenen Dienstleistungen zu mehr Seriosität verhilft. Experten loben die Vorgaben als detailliert und umfassend, nach Marktkapitalisierung fallen wohl rund 95 % der heute existierenden Krypto-Assets darunter. Inwieweit der breite Regulierungsaufschlag aus Brüssel tatsächlich im Blickfeld der breiten Masse ankommt, bleibt allerdings abzuwarten – zumal die Regulierung erst 2022 in Kraft treten soll und bei den Digitalwährungen bis dahin noch viel Kursvolatilität zu erwarten steht.Angesichts der relativ niedrigen Teilnehmerzahl am Kryptomarkt bedingen sich die Misstrauen erweckenden Schwankungen gewissermaßen selbst. Sogenannte Wale, also Wallet-Adressen, auf denen über zehntausend Einheiten Bitcoin lagern, können die Kurse mit einzelnen Transaktionen auf Berg-und-Tal-Fahrt schicken. Zwar schafft Volatilität auch höhere Gewinnchancen. Davon profitieren zumeist aber eingefleischte Profis. Denn sobald unerfahrene Anleger auf eine Rally bei Bitcoin oder anderen Kryptowährungen – die Kurse vieler digitaler Devisen sind stark miteinander korreliert – anspringen, ist meist schon deren Zenit erreicht. Die neuen Investoren verabschieden sich aus Enttäuschung wieder, da sich die schnellen Gewinne nicht einstellen. Neue, abschreckende Volatilität ist die Folge.——Von Alex WehnertDie Aussichten für Kryptowährungen haben sich verbessert. Die Bitcoin-Bullen legen den Fokus aber noch zu stark auf die Angebotsseite. ——